Faktencheck

Erfundene Entführung eines Mädchens dient dem Datendiebstahl

In Beiträgen auf Facebook kursiert die Schreckensnachricht: „Ein kleines Mädchen ist entführt worden!“ Doch diese Entführungsfälle sind erfunden, um Nutzerinnen und Nutzer auf eine bestimmte Webseite zu leiten. Dahinter steckt der Versuch, persönliche Daten abzugreifen.

von Kimberly Nicolaus

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Die im Facebook-Beitrag verwendeten Fotos stammen aus anderen polizeilichen Ermittlungen (Quelle: Facebook; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Ein Mädchen sei laut eines Videos in Uslar, Simmering oder Steyr entführt worden. Die Polizei bitte um Hilfe bei der Identifizierung des Täters.
Bewertung
Frei erfunden
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Frei erfunden. Diese Entführungsfälle gibt es nicht. Das Foto des Mädchens sowie das Phantombild des Täters stehen in Zusammenhang mit polizeilichen Ermittlungen in Australien und den USA. Das angebliche Video führt zu einer Webseite, die unter Verdacht steht, Daten abzugreifen.

„Wir müssen dieses Mädchen finden!“, lautet die Aufforderung, die sich zu einem Foto eines Mädchens und einem Täter-Phantombild auf Facebook Anfang August verbreitet. Der Fall soll sich in Uslar, Niedersachsen, ereignet haben. Doch dieselben Fotos werden auch zu einem angeblichen Entführungsfall im österreichischen Steyr und im Wiener Stadtteil Simmering auf Facebook geteilt. 

Das allein passt schon nicht zusammen und unsere Recherche zeigt: Den verantwortlichen Polizeistellen ist ein solcher Entführungsfall nicht bekannt. Dahinter steckt eine Betrugsmasche. Die Verbreiter betreiben Phishing, sie versuchen also, persönliche Daten zu klauen. 

Diesen angeblichen Entführungsfall in Uslar gibt es laut Polizeiangaben nicht.
Auf Facebook kursieren immer wieder erfundene Fälle von Entführungen, um Nutzerinnen und Nutzern persönliche Daten zu entlocken (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Fotos stammen von Fällen in Australien und den USA

Eine Bilder-Rückwärtssuche mit dem Foto des Mädchens führt nach Australien. Die Tageszeitung The West Australian berichtete am 19. August 2022 über die fünfjährige Grace, die am 7. August 2022 in der Gegend von Berrimah, Northern Territory, gemeinsam mit ihrer Mutter vermisst gemeldet wurde. Am 19. August 2022 seien beide lebend aufgefunden worden.

Das Täter-Phantombild in den Facebook-Beiträgen hat dagegen keinen Bezug zu dem entführten Mädchen in Australien – und auch nicht zu Uslar, Simmering oder Steyr. Das ist das Ergebnis einer weiteren Bilder-Rückwärtssuche, die zu einer Pressemitteilung vom 27. August 2019 von der Chesterfield Polizeistation in Detroit, im US-Bundesstaat Michigan, führt. Demnach wurde der Mann wegen eines bewaffneten Raubüberfalls gesucht.

Facebook-Beiträge zu erfundener Entführung sind Betrugsmasche

Wir haben zusätzlich bei den für Simmering, Steyr und Uslar zuständigen Polizeistellen nachgefragt. Keine der Pressestellen weiß von einem solchen Entführungsfall. Seitens der Polizeidirektion Göttingen hieß es, identische Facebook-Beiträge mit anderen Ortsangaben, wie Göttingen oder Osterode, seien bereits Anfang August veröffentlicht worden. Diese seien nur kurz online gewesen und inzwischen nicht mehr abrufbar. 

Hinter den erfundenen Entführungsfällen steckt der Versuch, persönliche Daten von Nutzerinnen und Nutzern abzugreifen. Das zeigt ein Klick auf den beigefügten Link bei einem der Facebook-Beiträge. Anstatt einer Webseite zeigen die Internetbrowser Mozilla Firefox und Google Chrome einen Warnhinweis an, der auf einen Phishing-Versuch hinweist: 

Mozilla Firefox warnt vor einem Phishing-Versuch.
Einer der Facebook-Beiträge mit dem erfundenen Entführungsfall führt zu einer Webseite, die laut Google Chrome und Mozilla Firefox unter Phishing-Verdacht steht (Quelle: Mozilla Firefox; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Eine archivierte Version des Links zeigt, dass dahinter ein Facebook-Beitrag mit dem angeblichen Beweisvideo steckt. Wer sich das Video ansehen will, wird aufgefordert, sein Alter und das persönliche Facebook-Passwort anzugeben – hier werden also sensible Daten abgegriffen. 

Über einen ähnlichen Betrugsfall berichteten wir bereits im Februar und Mai 2023. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik warnt: Das Fischen nach Passwörtern könne gravierende Folgen haben. Es stehe „am Anfang verschiedenartiger Delikte, die vom ‚einfachen‘ Datendiebstahl über illegale Kontoabbuchungen bis hin zu Angriffen auf kritische Infrastrukturen reicht“. Die Polizei rät dazu, in verdächtigen Situationen stets die Adresszeile eines Links zu prüfen und keine vertraulichen Daten anzugeben.

Redigatur: Paulina Thom, Steffen Kutzner