Warum ein alter Zeitungsbericht über Hitzeperioden kein Widerspruch zum Klimawandel ist
Ein Foto eines Zeitungsartikels von 1995 kursiert im Netz, aufgezählt werden darin mehrere heiße Sommer seit 1911. Für einige Nutzerinnen und Nutzer ist der Artikel ein Beleg gegen den vom Menschen verursachten Klimawandel. Das ist jedoch ein Irrtum.
„Nach Jahrhundertsommer 1911 immer wieder Hitzeperioden“ – ein Foto eines Zeitungsartikel mit diesem Titel wurde auf Facebook knapp 25.000 Mal geteilt. Den Artikel will der Nutzer beim „Kramen nach Fotos“ entdeckt haben, er soll von 1995 sein. Im Artikel selbst zählt dessen Autor, Adolf Hirth, dutzende heiße Sommer in seiner Region, der Stadt Bühl in Baden-Württemberg, seit dem Jahr 1911 auf.
In den Kommentaren zu dem Facebook-Beitrag schildern einige Nutzerinnen und Nutzer ihre Erinnerungen an heiße Sommer in ihrer Kindheit und Jugend, manche zweifeln dabei auch den Klimawandel an. Die gegenwärtige Klimahysterie rege ihn auf, schreibt ein Nutzer. Und ein weiterer: „Es ist alles gelogen, es gibt keinen Klimanotstand.“
Fakt ist: Ja, auch früher hat es Hitzeperioden im Sommer gegeben. Das ist aber kein Argument gegen den Klimawandel, denn die ungewöhnlich heißen Sommer und die Hitzetage werden in Deutschland seit Jahrzehnten häufiger. Und für die Zukunft gehen Expertinnen und Experten mit jedem weiteren Schritt der globalen Erwärmung von einer Verstärkung von Hitzeperioden aus.
Zeitungsartikel ist echt und stammt von 1995
Laut einem Artikel von Baden Online hat der 2016 verstorbene Heimatforscher Adolf Hirth tatsächlich Zeitungsartikel verfasst. In Bühl gibt es mehrere Lokalzeitungen, die wir kontaktiert haben. Der Leiter der Bühler Redaktion der Badischen Neuesten Nachrichten bestätigte uns per Telefon, dass der Artikel echt und 1995 veröffentlicht worden sei.
Hirth listet in dem Artikel insgesamt 20 heiße Sommer auf. Das Jahr 1947 hebt er als besonderes Rekordjahr hervor. Damals seien „in vielen Städten und Dörfern“ die „höchsten jemals gemessenen Temperaturen verzeichnet“ worden. Woher Hirth seine Angaben bezieht, geht aus dem Artikel nicht hervor.
Seit 1990 starke Zunahme von Hitzeperioden
Wir haben Hirths Angaben mit Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) verglichen. Die Grafik des DWD zeigt Temperaturanomalien, also Abweichungen von einem vieljährigen Mittelwert, in diesem Fall der Jahre 1961 bis 1990. In der Grafik ist zu erkennen, dass die Kernbehauptung des Artikels stimmt: Es gab auch früher schon einzelne heiße und extrem heiße Sommer – teilweise auch mehrere Jahre in Folge.
1947 zum Beispiel – in Hirths Artikel als Rekordjahr bezeichnet – sticht im 20. Jahrhundert besonders hervor. Das trifft nicht auf alle im Artikel genannten Sommer zu. Einige Jahre mit heißen Sommern, wie etwa 1983 oder 1994, finden im Artikel keine Erwähnung. Und andere Jahre, wie etwa 1949 oder 1961, werden von Hirth als heiße Sommer gezählt, beim DWD liegen sie aber unter dem Durchschnitt. Das kann daran liegen, dass Hirth über seine Heimatregion in Baden-Württemberg schrieb, die Daten des DWD sich aber auf ganz Deutschland beziehen.
Die Grafik zeigt aber noch etwas anderes: Ab 1990 wurden Hitzeperioden in Deutschland immer häufiger. Seit 1997 liegen alle Sommer über dem Durchschnitt des Mittelwertes von 1961 bis 1990, mehrere sogar deutlich. Das bestätigt auch ein Blick auf eine Tabelle des DWD, in der die Sommer nach ihrer Durchschnittstemperatur sortiert sind: Von den 20 heißesten Sommern in Deutschland seit 1881 fallen 14 auf das 21. Jahrhundert. Das „Rekordjahr“ 1947 ist mittlerweile auf Platz 5 der heißesten jemals gemessenen Sommer. Mit einer Durchschnittstemperatur von 19,7 Grad steht der Sommer des Jahres 2003 an der Spitze.
2020 erklärte der DWD: „Die Temperatur der extremsten Sommer vor dem Jahr 1990 ist in den letzten 30 Jahren zum Durchschnitt eines Sommers geworden. Was früher ein extrem heißer Sommer war, ist heute ein durchschnittlicher Sommer.“
Hitzetage in Deutschland haben sich seit den 1950er Jahren verdreifacht
Dass die Hitze in Deutschland zugenommen hat, zeigt auch die Zahl der Hitzetage, also der Tage mit mindestens 30 Grad Celsius. Über ganz Deutschland gemittelt hat sich seit den 1950er Jahren die Anzahl solcher Tage von etwa drei auf derzeit durchschnittlich neun Tage pro Jahr verdreifacht, schreibt der DWD in einem Bericht (PDF) von 2021.
Deutlich zugenommen haben dem DWD zufolge auch Hitzewellen, also Serien von mindestens 14 Tagen, an denen der Durchschnitt der täglichen Höchsttemperatur mindestens 30 Grad Celsius beträgt. Ein Beispiel: Eine solche Hitzewelle gab es in Hamburg laut dem DWD vor 1994 nie, seitdem jedoch schon sechs Mal.
Zunahme der Hitze in Deutschland nur durch Klimawandel zu erklären
Fest steht: Ein einzelnes Extremwetterereignis muss nicht zwangsläufig eine Folge des Klimawandels sein, es hat sie auch in der Vergangenheit gegeben. Ein solches Ereignis „ist erstmal immer nur eine Manifestation von Wetter. Das kann theoretisch unter vielen Klimabedingungen auftreten“, erklärt Karsten Haustein, Klimawissenschaftler an der Universität Leipzig dem Science Media Center. Was sich durch den Klimawandel ändere, sei die Häufigkeit bestimmter Wetterlagen.
Nicht bei allen Extremwettern in Deutschland ist die Zuordnung zum Klimawandel bisher eindeutig. Das betrifft zum Beispiel Stürme oder Dürren, gilt jedoch nicht für das Thema Hitze. „Bei Hitzeextremen ist der Einfluss des Klimawandels sehr klar und wir können mittlerweile sagen, dass quasi jede Hitzewelle durch den Klimawandel in ihrer Intensität verstärkt wurde“, sagt der Erdsystemforscher Jakob Zscheischler gegenüber dem Science Media Center.
Zu diesem Ergebnis kommt auch der Weltklima-Rat der Vereinten Nationen in seinem letzten Bericht von 2021: „Es ist praktisch sicher, dass Hitzeextreme (einschließlich Hitzewellen) seit den 1950er Jahren in den meisten Landregionen häufiger und intensiver geworden sind […], wobei mit hoher Wahrscheinlichkeit der vom Menschen verursachte Klimawandel die Hauptursache für diese Veränderungen ist.“
Expertinnen und Experten gehen zudem davon aus, dass Hitzeextreme mit steigender globaler Erwärmung weiter zunehmen werden. „Bei weltweit unverändertem Ausstoß von Treibhausgasen werden Sommer, die heute für uns extrem heiß sind, Ende des Jahrhunderts der Normalfall sein,“ erklärte der DWD 2020. Für Deutschland rechnet er bei ungebremstem Treibhausgasausstoß bis 2060 mit einer weiteren Zunahme von fünf bis zehn heißen Tagen im Jahr in Norddeutschland und zehn bis zwanzig heißen Tagen in Süddeutschland.
Redigatur: Matthias Bau, Steffen Kutzner