Faktencheck

Nein, im April sind nicht alle Corona-Maßnahmen unwiderruflich ausgelaufen

Auf Telegram und Tiktok kursiert ein Schreiben, das Corona-Maßnahmen rechtlich einordnet. Darin stecken einige Falschbehauptungen, wie die Einschätzung von Fachleuten und die Gesetzeslage zeigen.

von Gabriele Scherndl

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In Sozialen Netzwerken macht eine Einschätzung von erlaubten Corona-Maßnahmen die Runde. Das meiste darin stimmt nicht. (Foto: D. Kerlekin / Snowfield Photography / Picture Alliance)
Behauptung
Die gesetzliche Grundlage für alle Corona-Schutzmaßnahmen sei am 7. April 2023 unwiderruflich ausgelaufen. Unternehmen müssten, wenn sie eine Masken- oder Testpflicht vorschreiben wollen, eine Gefährdungsbeurteilung vorlegen. Das Hausrecht reiche dafür nicht aus.
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. Es gibt noch Gesetze, die, wenn nötig, Corona-Maßnahmen erlauben – etwa die Absonderung Krankheitsverdächtiger. Tatsächlich spielt eine Gefährdungsbeurteilung eine Rolle, wenn Unternehmen eine Masken- oder Testpflicht bestimmen wollen, doch auch das Hausrecht und Weisungen können das regeln.

Die gesetzliche Grundlage für „jedwede“ Corona-Schutzmaßnahme sei schon am 7. April 2023 ausgelaufen, steht in einer Nachricht, die auf Tiktok und Telegram hunderttausende Menschen erreichte. Darin heißt es unter anderem, dass eine Arbeitgeberin oder ein Arbeitgeber den Beschäftigten keine Maskenpflicht vorschreiben kann, wenn keine „valide Gefährdungseinschätzung“ vorliegt. 

Das stimmt so nicht. Es gibt weiter Gesetze, die Corona-Maßnahmen möglich machen, wenn sich die epidemiologische Lage wieder verschärft. Einige Aussagen zum Arbeitsrecht, die auf Tiktok und Telegram verbreitet werden, sind falsch. Obwohl Gefährdungseinschätzungen eine Rolle spielen, sind sie für eine Maskenpflicht in Unternehmen nicht zwingend nötig. Das Hausrecht oder einfache Dienstanweisungen können ausreichen.

In einem Tiktok-Beitrag steht, die gesetzliche Grundlage für „jedwede“ Corona-Schutzmaßnahme sei schon am 7. April 2023 ausgelaufen.
Diese Nachricht machte unter anderem auf Tiktok die Runde. Was da steht, stimmt allerdings nicht. (Quelle:Tiktok; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Infektionsschutzgesetz beinhaltet nach wie vor Maßnahmen, die gegen Corona verhängt werden können

Am 7. April 2023 sind die letzten Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland ausgelaufen. Trotzdem ermöglicht das Infektionsschutzgesetz (IfSG) Corona-Maßnahmen. Die lassen sich in drei Kategorien einteilen.

Erstens: Maßnahmen, die nur in einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite verhängt werden können. Eine solche wird vom Bundestag festgestellt und existierte bis zum 23. November 2021. Sie ist laut Paragraf 5 IfSG Grundlage für die in Paragraf 28a aufgezählten Maßnahmen. Darunter fallen etwa Abstandsregeln, Ausgangsbeschränkungen, Veranstaltungsverbote, Gastronomie-Schließungen, Verpflichtung zur Vorlage eines Impf-, Genesenen- oder Testnachweises und eine Maskenpflicht.

Eine Maskenpflicht könne theoretisch auch ohne eine epidemische Lage von nationaler Tragweite verhängt werden, schreibt Andrea Kießling, Professorin für Gesundheitsrecht an der Uni Frankfurt auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck. Das sei durch eine Generalklausel in Paragraf 28 Abs. 1 IfSG denkbar. Dagegen spreche, so Kießling, dass diese Generalklausel für unvorhergesehene Maßnahmen gedacht sei. Eine Maskenpflicht ist aber mittlerweile bekannt. Kießling ist der Ansicht, dafür brauche es eine Gesetzesänderung.

Zweitens: Maßnahmen, die nicht von einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite abhängig sind, aber nur bis zum 7. April 2023 verhängt werden konnten. Diese sind in Paragraf 28b festgeschrieben. Darunter fallen etwa eine FFP2-Maskenpflicht in Bus und Bahn, eine Masken- und Testpflicht für alle, die ein Krankenhaus betreten, oder eine Testpflicht an Schulen.

Drittens: Maßnahmen, die unabhängig von einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite und auch heute noch verhängt werden können. Das betrifft laut Kießling alle Maßnahmen in den Paragrafen 28 Abs. 1 und 29 bis 31 IfSG. Darunter fallen vor allem Regeln zum Absondern und Beobachten Kranker und Krankheitsverdächtiger. Außerdem kann die zuständige Behörde ihnen das Arbeiten verbieten.

All das ist nicht „unwiderruflich“, wie in der Nachricht steht. Der Bundestag kann mit Zustimmung des Bundesrats das Infektionsschutzgesetz ändern – und tat das in der Vergangenheit auch mehrmals.

Gefährdungsbeurteilung spielt bei Maske im Job tatsächlich eine Rolle

Im Rest der Nachricht auf Telegram und Tiktok steht sinngemäß: Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssten, wenn sie wollen, dass Angestellte eine Maske tragen, eine Gefährdungsbeurteilung vorlegen. Das Hausrecht greife in dem Fall nicht, weil es körperliche Eingriffe nicht abdecke. Außerdem würden Arbeitgebende für Schäden durch angeordnete Masken oder Tests haften. In der Nachricht ist explizit von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern die Rede, dort steht aber auch, das gelte für alles, „was es sonst noch so alles da draußen gibt“.

Diese Aussagen ordnet Adam Sagan, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, europäisches und deutsches Arbeitsrecht an der Universität Bayreuth, für CORRECTIV.Faktencheck ein. Er schreibt: Die Sars-Cov-2-Arbeitsschutzverordnung 2022 sei am 2. Februar 2023 aufgehoben worden. Darin stand, dass, sollte eine Gefährdungsbeurteilung dies ergeben, Unternehmen verpflichtet waren, Masken bereitzustellen und dass Angestellte diese tragen müssten.

Dass die Verordnung aufgehoben wurde, „bedeutet nicht, dass nunmehr am Arbeitsplatz keine Masken mehr getragen werden müssen“, schreibt Sagan. Denn laut den Paragrafen 5 und 6 im Arbeitsschutzgesetz bleiben Unternehmen und Betriebe zu einer Gefährdungsbeurteilung verpflichtet. Ob eine Maskenpflicht sinnvoll und erforderlich sei, sei eine Frage des Einzelfalles.

Hausrecht kann auch bei der Maskenpflicht greifen

Die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber haben gegenüber den Arbeitnehmenden auch ein Weisungsrecht. Das geht aus Paragraph 106 der Gewerbeordnung hervor. So eine Weisung könne, so Sagan, unter bestimmten Umständen auch eine Maskenpflicht beinhalten. Sie sei wirksam, wenn sie die „gegensätzlichen Interessen der Vertragsparteien angemessen zum Ausgleich bringt“ – ist also eine Frage des Einzelfalls.

So eine Weisung kann laut Sagan unabhängig von der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz sein: „Entscheidend ist allein, dass der Arbeitgeber die Grenze billigen Ermessens im konkreten Einzelfall wahrt.“ Würde eine Arbeitgeberin oder ein Arbeitgeber diese Grenzen überschreiten – also eine rechtswidrige Weisung zur Maskenpflicht erteilen – sei eine Schadenersatzhaftung denkbar. „Die Eingriffe sind jedoch so marginal, dass in typischen Fällen weder eine vermögenswerter Schaden entsteht noch Schmerzensgeld verlangt werden kann“, schreibt Sagan. Laut dem Institut für Wissen in der Wirtschaft verlieren Arbeitnehmende ihren Anspruch auf Lohn, wenn sie sich weigern, einer rechtmäßigen Anweisung zu folgen.

Dass das Hausrecht in solchen Fällen nicht ausreiche, wie in der Telegram-Nachricht steht, stimmt nicht. Über das Hausrecht können Betriebe Regeln festlegen, unter welchen Bedingungen eine Person Zutritt zum Betrieb bekommt – allerdings müssen dabei die Interessen der Angestellten (nämlich zur Arbeit zu gehen) ebenfalls im Blick behalten werden. Auch hier gilt also keine allgemeine Formel, was erlaubt ist und was nicht. Ein Beispielfall: Die Uni Marburg stützte ihre Maskenpflicht auf das Hausrecht und bekam vom Verwaltungsgericht Recht.

Tests sind kein schwerer Eingriff

In der Nachricht auf Telegram und Tiktok ist auch von Tests die Rede. Auch diese könnten Unternehmen nicht mehr vorschreiben, heißt es. Auch das stimmt so nicht. Die Rechtslage zu Tests sei „sehr ähnlich, nahezu parallel“, zu jener bei den Masken, schreibt Sagan.

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Unternehmen grundsätzlich im Rahmen des billigen Ermessens Weisungen für Corona-Tests erteilen können. Tests sind laut dem Urteil nur ein geringfügiger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. 

Das Urteil bezog sich auf eine frühe Phase der Pandemie – die Zeit vom 24. August bis zum 29. Oktober 2020. Sagan schreibt: „Die Güterabwägung müsste auch unter den aktuellen Bedingungen nicht grundlegend anders ausfallen“. Eine Gefährdungsbeurteilung sei, so Sagan, keine zwingende Voraussetzung für so eine Weisung.

Fazit: Auch heute, nach April 2023, regeln Gesetze, dass Corona-Maßnahmen verhängt werden können. Das Infektionsschutzgesetz ermöglicht zum Beispiel die Absonderung Kranker oder Krankheitsverdächtiger. Dass Unternehmen nur dann eine Masken- oder Testpflicht verhängen können, wenn sie eine Gefährdungseinschätzung vorlegen können, ist nicht ganz richtig. Zwar verlangt das Arbeitsrecht eine solche Einschätzung, doch Unternehmen können in begründeten Fällen auch Weisungen erteilen oder das Hausrecht nutzen.

Redigatur: Steffen Kutzner, Matthias Bau

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Infektionsschutzgesetz, Stand 3. November 2023: Link (PDF, archiviert)
  • Arbeitsschutzgesetz, Stand 3. November 2023: Link (PDF, archiviert)
  • Gewerbeordnung, Stand 3. November 2023: Link (PDF, archiviert)