Faktencheck

15 Grad im Januar 1974: Warum ein alter Welt-Artikel nicht gegen den Klimawandel spricht

Weil es 1974 ungewöhnlich warme Temperaturen im Januar gab, zweifeln Nutzerinnen und Nutzer online am menschengemachten Klimawandel. Doch dabei wird ein wichtiger Unterschied ignoriert, nämlich der zwischen Wetter und Klima.

von Paulina Thom

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Auch in der Vergangenheit gab es teilweise zu warme Winter, doch seit Jahrzehnten häufen sie sich. Eine Ursache dafür ist der Klimawandel. (Symbolbild: Frank Rumpenhorst / DPA / Picture Alliance)
Behauptung
Ein Welt-Artikel vom 14. Januar 1974, laut dem es im Januar 15 Grad gewesen sei, belege, dass es keinen Klimawandel gibt.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Die Temperaturangaben im Welt-Artikel sind nach Auskunft des Bayerischen Landesamtes für Umwelt und des Deutschen Wetterdienstes im Groben richtig. Der Januar 1974 war ein vergleichsweise warmer Wintermonat. Doch das Wetter eines einzelnen Tages oder Monats spricht nicht gegen den menschengemachten Klimawandel. Der entscheidende langfristige Trend zeigt: Die Temperaturen im Januar steigen seit Jahrzehnten.

Seit Wochen dauere der „Frühling im Winter“ an, heißt es auf einer vergilbten Zeitungsseite der Welt vom 14. Januar 1974, die als Foto auf Facebook und X kursiert. Die Temperatur habe mit 15 Grad in einigen Alpentälern und im bayerischen Flachland „einen neuen Höhepunkt“ erreicht, steht im Artikel. Auf der Zugspitze sei sogar „die für Januar sensationelle Temperatur von 0 Grad gemessen“ worden. 

„Nix Klimakatastrophe. Alles Lügen“, folgert ein X-Nutzer. Ein weiterer Beitrag auf X kommentiert den Zeitungsausschnitt mit den Worten, „schön blöd, wenn noch eine Zeitung von 1974 existiert“, und erreicht damit mehr als eine Viertelmillion Aufrufe. 

Screenshot eines X-Beitrages
Ein X-Nutzer schreibt, dieser alte Zeitungsartikel über einen warmen Januar 1974 belege eine „Klimalüge“. Das stimmt nicht. (Quelle: X; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Der Januar 1974 war in Deutschland und Bayern vergleichsweise warm

Ein Pressesprecher der Welt bestätigte uns auf Anfrage, dass der Artikel echt und 1974 gedruckt worden sei. Doch stimmen die Angaben darin, die sich auf Sonntag, also den 13. Januar 1974 beziehen? 

Auf der Zugspitze, so schreibt uns ein Sprecher des Bayerischen Landesamts für Umwelt auf Anfrage, habe es eine Tagesdurchschnittstemperatur von minus 4,2 Grad Celsius gegeben, die maximale Temperatur habe an diesem Tag minus 0,5 Grad betragen. Das bestätigt auch Lothar Bock vom Klimabüro München des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und verweist auf eine Karte, auf der jeder und jede die Temperaturen interaktiv nachschauen kann. Dort findet sich an allen vorherigen Tagen im Januar kein Datum, an dem die Temperatur null Grad betrug.

„Im Alpenvorland lagen die Temperaturwerte an den damals vorhandenen Stationen meist zwischen 10 und 12 Grad Celsius“, schreibt Bock weiter. Das schließe lokal lokale höhere Werte, wie sie im Zeitungsbeitrag genannt wurden, aber nicht aus. Für die 15 Grad im bayerischen Flachland fanden wir also keine Belege, sie könnte es aber in diesem warmen Januar tatsächlich gegeben haben. Der Ort der Messung geht aus dem Welt-Artikel nicht hervor.

Die Wetterdaten des DWD zeigen: Ja, 1974 war der Januar in Deutschland vergleichsweise warm. Die Temperatur lag um fast 4 Grad höher als im Vergleichszeitraum (1961 bis 1990). Bezogen auf Deutschland rangiert das Jahr 1974 auf Platz elf der wärmsten Januare seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881, in Bayern auf Platz zehn. 

Wetter ist nicht gleich Klima

Aber bedeutet das, dass der Klimawandel eine „Lüge“ ist, wie manche Beiträge in Sozialen Netzwerken behaupten? Nein, denn hier werden zwei unterschiedliche Dinge miteinander vermischt: Wetter und Klima. 

Das Wetter ist laut Bundesumweltamt „der physikalische Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort oder in einem Gebiet zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem kurzen Zeitraum von Stunden bis hin zu wenigen Tagen.“ Es schwankt ständig, wird regelmäßig gemessen und aufgezeichnet. Das Wetter ist also ein kurzfristiges Ereignis, es ist das, was wir tagtäglich sehen und erleben. 

Das Klima ist laut Bundesumweltamt dagegen „der mittlere Zustand der ⁠Atmosphäre⁠ an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Gebiet über einen längeren Zeitraum.“. Entscheidend bei der Frage, ob sich das Klima erwärmt oder abkühlt, sind langjährige Trends und Durchschnittswerte des Wetters. Erst wenn die Temperaturen eines Monats überdurchschnittlich oft vom langjährigen Durchschnitt abweichen, spricht man von einer Klimaveränderung. Die Weltorganisation für Meteorologie empfiehlt einen Zeitraum von 30 Jahren. 

Der entscheidende Unterschied zwischen den Begriffen Wetter und Klima ist also der Zeitraum, der betrachtet wird. „So kann etwa aus drei aufeinander folgenden heißen Sommern nicht auf eine Erwärmung des Klimas geschlossen werden. Auch bedeutet eine Reihe von kühlen Jahren in einem Jahrzehnt nicht unbedingt, dass sich das Klima abkühlt. Das könnte der Fall sein, wenn sich die Abkühlung über mehrere Jahrzehnte hinweg fortsetzt,“ erklärt das Umweltbundesamt

Wie haben sich die Temperaturen im Januar in Deutschland langfristig verändert?

Halten wir also fest: Das Wetter, in diesem Fall die warmen Temperaturen im Januar 1974, sind weder ein Beleg für den Klimawandel noch gegen ihn. „Letztendlich sind solche Phasen ‚abnormer‘ Temperaturen, egal in welche Richtung, Wetter beziehungsweise Witterung und haben mit einem sich wandelnden Klima erst einmal nichts zu tun“, schreibt uns Lothar Bock vom DWD. 

Wie sieht es aber nun mit dem Klima aus? Auf der Webseite des DWD lassen sich in einem Diagramm die Temperaturtrends unter anderem für bestimmte Monate und Regionen anzeigen. Verglichen werden die Temperaturen der einzelnen Jahre mit einem Durchschnittswert der Temperaturen zwischen 1961 und 1990, also der oben erwähnten Periode von 30 Jahren. Ihre Abweichung von diesem Wert, auch Temperaturanomalie genannt, ist in roten und blauen Balken abgebildet – je nachdem, ob der Januar wärmer oder kälter als der Durchschnittswert war. 

Grafik des DWD mit den Temperaturanomalien im Januar seit 1881
Die Temperatur im Januar ist in Deutschland laut DWD seit 1881 im Schnitt um 2,4 Grad angestiegen, das erkennt man am linearen Trend (gestrichelte Linie) (Quelle: DWD; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

In dem Diagramm ist gut zu erkennen, dass es auch früher bereits überdurchschnittlich warme Januare gegeben hat, z.B. 1916, 1921 oder 1975. Zu erkennen ist aber auch, dass es in den letzten Jahrzehnten immer häufiger zu wärmeren Abweichungen kam. Das zeigt sich auch im linearen Trend (schwarze gestrichelte Linie): Langfristig betrachtet sind die Temperaturen im Januar in Deutschland zwischen 1881 und 2024 im Durchschnitt um 2,4 Grad Celsius gestiegen. Damit ist der Januar sogar der Monat des Jahres mit dem stärksten Temperaturanstieg seit 1881. Bayern liegt mit einer Erwärmung von 2,6 Grad im Januar sogar etwas über dem bundesweiten Trend. 

Anzahl kalter Tage und Winter ist in den letzten Jahrzehnten gesunken

Das Bayerische Landesamt für Umwelt stellt auf seiner Webseite einen Bericht über den Klimawandel im Bundesland zum Download zur Verfügung (PDF). Darin heißt es auf Seite 9: „Bis zum Beginn dieses Jahrtausends verlief der Temperaturanstieg in den Wintermonaten noch recht moderat. In den vergangenen Jahren gab es jedoch kaum noch kalte Winter.“ Zwischen 1951 und 2019 ist die Anzahl der Tage unter 0 Grad im Jahr in Bayern um 15 zurückgegangen. 

Lothar Bock vom DWD schreibt uns: „Sehr kalte Winter mit Abweichungen von mehr als 3 Grad Celsius unterhalb des vieljährigen Mittels, wie sie es noch bis in die 1980er Jahre gab und die zum Teil in Gruppen auftraten, kamen seitdem nicht mehr vor.“

Schaubild mit den Folgen des Klimawandels in Bayern
So hat sich das Klima in Bayern laut dem Landesamt für Umwelt verändert (Quelle: Bayerisches Landesamt für Umwelt; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Es ist nicht das erste Mal, dass mit alten Zeitungsberichten online Stimmung gegen den Klimawandel gemacht wird, wie wir hier und hier berichteten.

Redigatur: Matthias Bau, Viktor Marinov

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Bayerisches Landesamt für Umwelt: „Bayerns Klima im Wandel – Heute und in der Zukunft“: Link (PDF, Download)