Faktencheck

Polen informiert die Ukraine nicht über wehrpflichtige Männer, die nach Deutschland reisen

Meldet Polen wehrpflichtige ukrainische Geflüchtete, die nach einem Besuch in der Ukraine zurück nach Deutschland reisen an die Ukraine? Nein, sagen die polnischen Behörden.

von Gabriele Scherndl

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Auf Tiktok kursieren mehrere Videos, in denen behauptet wird, Polen melde ukrainische Geflüchtete im wehrpflichtigen Alter, die nach einem Besuch in der Ukraine wieder das Land verlassen an die dortigen Behörden. Das stimmt laut den polnischen Behörden nicht. (Quelle: Tiktok; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Polen würde alle wehrpflichtigen ukrainischen Männer, die Urlaub in der Ukraine machen und auf dem Rückweg nach Deutschland sind, an die ukrainischen Behörden melden.
Bewertung
Falsch. Das polnische Innenministerium dementiert ein solches Vorgehen, auch das UNHCR und das Rote Kreuz haben keine Kenntnis von derartigen Fällen.

Hunderttausende Nutzerinnen und Nutzer sahen auf Tiktok eine Behauptung über den Umgang Polens mit in Deutschland lebenden ukrainischen Geflüchteten. In mehreren Videos heißt es, dass Polen alle wehrpflichtigen Ukrainer den ukrainischen Behörden melden würde, die das Land über Polen zurück nach Deutschland verlassen. Gemeint scheint: Menschen würden aus der Ukraine nach Deutschland flüchten, machten dann „Urlaub“ in der Ukraine und wollten dann über Polen zurück nach Deutschland.

In den Kommentaren reagieren manche mit Skepsis, andere mit Hass und Hetze gegen Geflüchtete aus der Ukraine. „Entweder man flüchtet vor dem Krieg, dann darf ich auch kein Urlaub in dem Kriegsgebiet machen“, schreibt etwa ein Account. Die meisten in den Kommentaren gehen also davon aus, dass es um Personen geht, die in der Ukraine „Urlaub“ machen. 

Screenshot des Tiktok-Beitrags, er hat über 37.000 Likes.
Der Beitrag erhielt auf Tiktok zehntausende Likes – doch die vermeintlichen Informationen darin sind falsch (Quelle: Tiktok; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Polnisches Innenministerium dementiert derartige Zusammenarbeit mit ukrainischen Behörden

Ein Sprecher des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schreibt auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck, es würden zu einem derartigen Vorgehen keine Informationen vorliegen, er verweist auf die polnischen Behörden. Das polnische Innenministerium dementiert die Behauptung. Man führe „keine Maßnahmen zur Ausweisung ukrainischer Staatsbürger auf Ersuchen der Mobilisierungsdienste der Ukraine durch“, schreibt die Pressestelle.

Das ukrainische Verteidigungsministerium verweist auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck auf das Zentrum für die Bekämpfung von Desinformation beim Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine. Dort reagierte man bislang nicht auf die Anfrage.

Auch dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) und dem Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), ist ein solches Vorgehen nicht bekannt. Julian Merzbacher, Sprecher des DRK, schreibt auf Anfrage, man habe dazu „weder in die eine, noch in die andere Richtung“ Informationen vorliegen. Chris Melzer, Sprecher des UNHCR schreibt, das UNHCR habe „keine Hinweise, dass die Behörden der Ukraine und Polens in dieser Hinsicht zusammenarbeiten“. 

Je nach Lesart des Tiktok-Beitrags könnten in dem Beitrag auch ukrainische Geflüchtete gemeint sein, die in Polen Urlaub machen und dann den Behörden gemeldet werden würden. Dem DRK und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge liegen auch dazu keine Informationen vor. Das polnische Innenministerium reagierte nicht auf eine Nachfrage zu diesem konkreten Szenario.

CORRECTIV.Faktencheck fragte den Tiktok-Account, der als erste auffindbare Quelle die Behauptung verbreitet hat, nach Belegen dafür. Er antwortete nicht.

Ukraine arbeitet an neuem Mobilisierungsgesetz 

Darüber, dass polnische Behörden ukrainische Geflüchtete – egal, wohin diese verreisen würden – an die dortigen Behörden melden würden, gibt es auch keine Medienberichte. Google-Suchen bringen weder auf Deutsch, noch auf Ukrainisch oder Polnisch entsprechende Ergebnisse.

Dass Vertreter der Ukraine sich wünschen, dass wehrpflichtige Männer zurück ins Land kommen, ist bekannt und wurde mehrfach in den Medien thematisiert. Konkrete Schritte für Auslieferungen sind bisher nicht bekannt. Ende Januar sagte Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj im Interview mit der ARD: „Ich rufe Olaf Scholz sicher nicht zu: Bring sie schnell zurück.“ Wenn sich Menschen unrechtmäßig außerhalb ihres Landes befänden, brauche es ein Gesetz, nach dem die zuständigen Behörden ihre Arbeit machen müssten. Derzeit dürfen Männer im wehrpflichtigen Alter zwischen 18 und 60 die Ukraine nur verlassen, wenn sie zum Beispiel mindestens drei Kinder betreuen oder es gesundheitliche Gründe gibt, die sie von der Wehrpflicht entbinden. 

Im Februar berichtete der Spiegel über den Entwurf eines geplanten neuen Mobilisierungsgesetzes: Es soll unter anderem vorsehen, dass Männer per Online-Bescheid eingezogen werden können. Wer nicht erscheine, dem könnten dann Konto gesperrt und Führerschein blockiert werden. Wann das Gesetz in Kraft tritt, ist bislang unklar.

Ukrainische Geflüchtete in Deutschland können laut Informationen des BAMF unter bestimmten Voraussetzungen in die Ukraine reisen. Die Dauer der Reise wirkt sich vor allem auf den Bürgergeld- und den Aufenthaltsanspruch aus. Wer einen vorübergehenden Schutzstatus habe, könne (mit Zustimmung des Jobcenters) bis zu drei Wochen pro Jahr in die Ukraine reisen und wiederkommen, ohne den Anspruch auf Bürgergeld zu verlieren. Bei langfristigen Reisen bis zu sechs Monaten erlischt der Bürgergeld-Anspruch nach sechs Wochen, das BAMF rät außerdem: „Es empfiehlt sich (…), vor der Ausreise in die Ukraine die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels zu überprüfen und gegebenenfalls deren Verlängerung zu beantragen“.

Bereits zum Jahreswechsel 2023/2024 verbreitete sich zudem die Behauptung, Polen hätte seine Grenze zur Ukraine geschlossen. Das stellte sich als falsch heraus. 

Alle Faktenchecks zu Falschmeldungen und Gerüchten zum Krieg gegen die Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Matthias Bau, Uschi Jonas

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