Sind Stifte mit AfD-Logo an Brandenburger Schulen verboten? Was hinter dieser Behauptung steckt
Privatpersonen und die AfD berichten in Sozialen Netzwerken von einem neuen Verbot: AfD-Stifte sollen in Brandenburger Schulen nicht mehr erlaubt sein. Doch so einfach ist es nicht. Ein Faktencheck.
In den Kommentaren sehen sich Nutzerinnen und Nutzer an Nordkorea, die DDR und den Faschismus erinnert. Der Grund: Zu einem Tiktok-Video vom 3. März 2024 heißt es, Stifte mit AfD-Logo seien in Brandenburger Schulen verboten. Hunderttausende sahen den Beitrag, er kursiert auch auf Facebook und Youtube.
In dem Video spricht Dennis Hohloch, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion Brandenburg. Er sagt: Schreibe ein Schüler seine Klassenarbeit mit einem AfD-Stift, sei der Lehrer gezwungen, sofort Ordnungsmaßnahmen einzuleiten.
Hohloch veröffentlichte seine Rede bereits Ende Januar auf Tiktok – allerdings in einer längeren Version. Darin wird deutlich: Es geht um eine geplante Gesetzesänderung, mit der ein „Extremismusparagraf“ in das Brandenburgische Schulgesetz eingebaut werden soll. Eine noch längere Version der Rede veröffentlichte Anfang Februar die AfD Hannover auf Youtube, dort sagt Hohloch, der Stift in seiner Hand sei einer der „Landtagsfraktion“, also der Brandenburger AfD-Fraktion. An anderer Stelle spricht er hingegen von der AfD Thüringen.
Was genau ist nun an Brandenburger Schulen verboten?
Was steht im neuen Extremismus-Verbot im Brandenburgischen Schulgesetz?
Anstoß für die Rede ist eine Änderung im Brandenburgischen Schulgesetz, die der Brandenburger Landtag am 25. Januar 2024 beschlossen hat und die am 1. Februar 2024 in Kraft getreten ist.
In das Gesetz wurde mit Paragraf 64a ein Verbot verfassungsfeindlicher Handlungen eingefügt. Dort heißt es: „Es ist verboten, in der Schule […] Kennzeichen und Propagandamittel verfassungsfeindlicher Organisationen […] zu zeigen.“ Eine solche Verfassungsfeindlichkeit werde dann vermutet, wenn eine Organisation „in einem Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistisch benannt“ werde.
Die Begründung zum Gesetzentwurf konkretisiert: Eine Benennung als Verdachtsfall oder eine beiläufige Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht reiche nicht aus, um als verfassungsfeindlich zu gelten.
Was bedeutet das für die AfD und ihre einzelnen Organisationen?
Die Bundespartei der AfD ist laut dem aktuellen Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft – wogegen die AfD erfolglos gerichtlich vorging. Aktuell liegt der Fall beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Auch der AfD Landesverband Brandenburg ist ein solcher Verdachtsfall, wie es im Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2022 heißt.
Anders ist das bei der dortigen Jugendorganisation der AfD: Die Junge Alternative für Deutschland (JA) Landesverband Brandenburg gilt laut Verfassungsschutz Brandenburg seit Sommer 2023 eine „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“, unter anderem wegen einer „Nähe zur Ideologie des Nationalsozialismus“. Auch auf Bundesebene hat der Verfassungsschutz die Junge Alternative 2023 als gesichert rechtsextrem eingestuft.
In drei Bundesländern stuft das jeweilige Landesamts für Verfassungsschutz die AfD als rechtsextrem ein: Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Das Gesetz betrifft also genau diese Organisationen der AfD und nicht die AfD in Brandenburg, deren Stift Hohloch im Video zeigt. Kennzeichen der AfD Thüringen hingegen – die er in seiner Rede in der längeren Version auch nennt – wären tatsächlich betroffen.
In den Augen des Bildungsministeriums von Brandenburg gilt das auch für die Jugendorganisation der AfD Brandenburg, die im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 zwar noch als Verdachtsfall geführt wird, aber im Juli 2023 hochgestuft wurde. Das schreibt Ministeriumssprecherin Ulrike Grönefeld auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck.
Gilt das Gesetz wirklich auch für Stifte?
Grönefeld schreibt weiter: Das Verbot gelte auch für Stifte – genauso wie für Taschen oder Kleidung. Sollte also eine Schülerin oder ein Schüler einen Stift der AfD Thüringen (nicht aber der Bundes-AfD) oder einer anderen extremistischen Organisation benutzen, sei der Vorfall dem staatlichen Schulamt zu melden. Außerdem solle die Schülerin oder der Schüler aufgefordert werden, einen anderen Stift zu benutzen und das Verhalten inhaltlich im Unterricht aufgearbeitet werden.
Grönefeld betont in ihrer Antwort: Die AfD Brandenburg und die Bundespartei wären davon nicht betroffen. Die Kennzeichen auf den Stiften müssten also eindeutig den entsprechenden Landes- oder Teilorganisationen zuzuordnen sein, um unter den Paragrafen zu fallen. „Die Prüfung mag im Einzelfall zu einem höheren Aufwand führen; es ist aber davon auszugehen, dass die Lehrkräfte die Differenzierung durchaus verantwortlich vornehmen können“, schreibt Grönefeld.
Ein von CORRECTIV.Faktencheck dazu befragter Experte bezweifelt, dass dieses Vorgehen verhältnismäßig wäre. Fabian Wittreck, Leiter des Instituts für Öffentliches Recht und Politik an der Uni Münster, sagt, Stifte würden seiner Meinung nach „unterhalb der verhältnismäßig angewandten Eingriffsschwelle der Norm“ liegen – also unter der Bagatellgrenze. „Ich würde die Grenze eher bei Propaganda-Videos, vielleicht noch bei bestimmter Kleidung ziehen“, schreibt er.
Daher könnten Schülerinnen und Schüler, gegen die etwa wegen eines Stiftes der AfD Thüringen an der Schule vorgegangen werde, (oder deren Eltern) wegen eines Eingriffs in das Grundrecht der Meinungsfreiheit vor dem Verwaltungsgericht klagen. Damit wäre die Frage, ob der Stift verboten ist, am Ende nach der Auffassung von Wittreck eine Entscheidung des Gerichts.
Kann die Partei AfD im Brandenburgischen Schulgesetz überhaupt als Organisation gelten?
Thorsten Koch, Jurist mit Fachgebiet Parteienrecht und Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, zweifelt ebenfalls an der Rechtsansicht des Ministeriums und spricht eine grundlegende Fragestellung an: Nämlich ob Parteien überhaupt als Organisationen – von denen im Brandenburgischen Schulgesetz ja die Rede ist – gelten können.
Koch verweist dazu auf das Parteienprivileg. Danach kann eine Partei nur vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft und verboten werden. Über ein solches Parteiverbotsverfahren gegen die AfD wird seit Monaten diskutiert, bisher wurde es jedoch nicht eingeleitet. „Auf dieser Grundlage ist ein administratives Vorgehen des Landes Brandenburg gegen die AfD nicht möglich. Die AfD-Kugelschreiber könnten daher nicht verboten werden“, schreibt Koch.
In der Praxis würde, so Koch, auch diese Einschränkung im Einzelfall vor einem Verwaltungsgericht geklärt werden müssen.
Laut Bildungsministerium Brandenburg sind bislang keine Fälle bekannt, in denen wegen eines verbotenen Stiftes eingegriffen werden musste.
Hohloch reagierte bisher nicht auf Anfragen von CORRECTIV.Faktencheck. Von der AfD-Fraktion Hannover meldete sich der stellvertretende Kreisvorsitzende Frank Hellmold und teilte sinngemäß mit, dass man zur Veröffentlichung des Videos auf Youtube stehe, es sei ein „Dokument der Zeitgeschichte“.
Redigatur: Viktor Marinov, Alice Echtermann
Update, 12. April 2024: Nach der Veröffentlichung des Textes beantwortete das Bildungsministerium Brandenburg unsere Anfrage, ob bei Fällen von verbotenen Stiften bereits Maßnahmen ergriffen wurden. Wir haben die Antwort ergänzt.
Update, 23. April 2024: Wir haben die rechtliche Einschätzung von Thorsten Koch ergänzt.
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Achtes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Schulgesetzes, 31. Januar 2024: Link (PDF, archiviert)
- Gesetzentwurf der Landesregierung, 28. September 2023: Link (PDF, archiviert)
- Verfassungsschutzbericht 2022, Bundesinnenministerium: Link (PDF, archiviert)
- Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2022, Pressefassung: Link (PDF, archiviert)
- Pressemeldung des Innenministeriums von Brandenburg, 13. Juli 2023: Link (archiviert)
- Verfassungsschutzbericht 2022, Freistaat Thüringen, Pressefassung: Link (PDF, archiviert)
- Pressemeldung des Landesamts für Verfassungsschutz Sachsen, 8. Dezember 2023: Link (PDF, archiviert)
- Bericht über rechtsextremistische Parteien, Land Sachsen-Anhalt, abgerufen am 8. April 2024: Link (archiviert)