Saatgutverordnung der EU: Nein, der Anbau von Obst und Gemüse wird nicht verboten
Im Jahr 2014 scheiterte die EU-Kommission mit ihrem Reformvorschlag für eine neue Saatgutverordnung. Ein neuer Vorschlag wird aktuell verhandelt. Damals wie heute kursieren Falschmeldungen dazu, was die Reform für den Anbau im heimischen Garten bedeutet. Ein Faktencheck.
Will die EU Obst- und Gemüseanbau in Gärten verbieten? Das behauptet ein Instagram-Beitrag vom 17. April, der mehr als 150.000 Aufrufe erzielte. Die EU plane die Kontrolle jeglichen Saatguts und wolle Landwirten und Gärtnern „Einheits-Saatgut” vorschreiben. Auch alte und seltene Sorten hätten „kaum Chancen auf Zulassung“, der Anbau werde strafbar, selbst wenn er im eigenen Garten stattfinde.
Die Meldung regt Nutzerinnen und Nutzer sichtbar auf: „Wenn das kommt, bin ich für die Abschaffung der EU“, kommentiert ein Account; „Ich pflanze in MEIN [sic] Garten was ich will und keiner wird mich daran hindern“, ein anderer.
Wie wir schon 2022 berichteten, gibt die Meldung einen Reformvorschlag der EU von 2013 falsch wieder. Auch der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission zu Pflanzenvermehrungsmaterialen, also beispielsweise Saatgut oder Jungpflanzen, sieht kein solches Verbot vor.
Meldung zu EU-Reformvorschlag stammt von 2013
Woher das Sharepic aus dem Instagram-Beitrag stammt, ist unklar. Ein Blog-Eintrag ohne Datum ähnelt in Wortlaut, Hintergrundfarbe und Schrift dem Bild, das aktuell geteilt wird – vermutlich stammt der Screenshot von dieser Seite. Die älteste archivierte Version des Beitrags ist von Januar 2017. In dem Blog-Eintrag und auf Instagram wird als Quelle die Webseite Deutsche Wirtschaftsnachrichten angegeben. Wer dem Link folgt, landet bei einem Artikel der Webseite vom 23. April 2013.
Dort heißt es in der Überschrift, anders als im Sharepic, die EU wolle den Anbau von Obst und Gemüse in Gärten „regulieren“. Der Halbsatz im Instagram-Beitrag, dass der Anbau angeblich strafbar wird, fehlt im Artikel. Ein Blick auf eine archivierte Version zeigt aber, dass er mindestens bis Ende April 2015 zunächst so im Artikel stand, und später entfernt wurde. In der URL des Artikels findet sich das Wort „verbieten“ ebenfalls, im Titel ist es in keiner archivierten Version zu finden.
Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten fielen in der Vergangenheit schon öfter mit falschen und irreführenden Meldungen auf, in einem Beitrag des ZDF von 2014 ist von einer „Anti-EU-Haltung“ der Webseite die Rede.
EU-Parlament lehnte Saatgut-Reform 2014 ab
Doch was steckt hinter der Meldung von 2013? Es geht um einen Reformvorschlag der EU-Kommission aus demselben Jahr für „die Erzeugung von Pflanzenvermehrungsmaterial und dessen Bereitstellung auf dem Markt“. Die sogenannte Saatgutverordnung sollte nach Angaben der Kommission die bis dahin gültigen und alten Regelungen vereinfachen.
An dem Vorschlag gab es mehrere Kritikpunkte, wie wir bereits 2022 berichteten. Die Reform begünstige einerseits vor allem große Agrarkonzerne, andererseits seien hohe bürokratische Auflagen für seltene und alte Sorten zu befürchten. Dass die Regeln nicht Privatgärtner betreffen, stellte die EU-Kommission nach Spekulationen in einer Pressemitteilung klar.
Zur Umsetzung des Reformvorschlags kam es in jedem Fall nicht. Das EU-Parlament lehnte die Reform 2014 mit großer Mehrheit ab.
Saatgutverordnung regelt nicht den Anbau von Obst-und Gemüse
Im Juli 2023 legte die EU-Kommission schließlich einen neuen Reformvorschlag vor. Damit sollen zehn Richtlinien zu verschiedenen Arten von Pflanzenvermehrungsmaterial wie Saatgut, Jungpflanzen und Knollen in einer einzigen Verordnung zusammengefasst werden. Wie der Tagesspiegel schreibt, gelte der Vorschlag „als besonders relevant für die Markteinführung von Pflanzen, die mit neuen genomischen Techniken gezüchtet werden“.
Die Novelle betreffe nicht den Anbau von Obst- und Gemüse, erklärt der EU-Abgeordnete Herbert Dorfmann auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck. Als zuständiger Berichterstatter entwarf er den Text samt Änderungsanträgen für das EU-Parlament zur Abstimmung. „Die Verordnung […] regelt vielmehr die Herstellung und den Verkauf von pflanzlichem Reproduktionsmaterial“, schreibt er. „Die Freiheit der Züchter bleibt unangetastet, Zucht zu betreiben und neu gezüchtete Sorten zur Verfügung zu stellen“.
Auch Anna Grey, Pressesprecherin der EU-Kommission, dementiert, dass damit der Anbau von Obst- und Gemüse verboten werde. Hobbygärtner seien von den Vorschriften zum Verkauf oder Austausch von Saatgut ausgenommen. „Auf keinen Fall“ werde „Einheits-Saatgut“ vorgeschrieben oder gebe es Strafen für die Nutzung von altem oder nicht zertifiziertem Saatgut.
Ende April 2024 stimmte das EU-Parlament mit einigen Änderungsvorschlägen für den neuen Vorschlag. Die wichtigsten Änderungen, die das Parlament zu der Novelle anmerkte, „zielen darauf ab, bessere Voraussetzungen und weniger Bürokratie für diejenigen zu schaffen, die alte Sorten und Landsorten vermehren“, so der EU-Abgeordnete Dorfmann. Landwirten soll etwa unter gewissen Voraussetzungen der Austausch von Pflanzenvermehrungsmaterialen ermöglicht werden und es soll Ausnahmen für den Verkauf von sogenannten Erhaltungssorten geben.
Greenpeace und der Verein Arche Noah hatten bürokratische Hürden oder eine Gefährdung der Saatgutvielfalt bei dem Vorschlag der EU-Kommission kritisiert. Anders sieht es der Lobbyverband der europäischen Saatgutindustrie, Euroseeds. Durch die Änderungsvorschläge des EU-Parlaments gebe es „viel zu weit gefasste Ausnahmeregelungen und mangelnde Qualitätssicherung“.
Der Beschluss wird nun weiter verhandelt.
Redigatur: Max Bernhard, Matthias Bau
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die über die Erzeugung von Pflanzenvermehrungsmaterial und dessen Bereitstellung auf dem Markt, 6. Mai 2013: Link (archiviert)
- Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die über die Erzeugung und das Inverkehrbringen von Pflanzenvermehrungsmaterial in der Union, 5. Juli 2023: Link (archiviert)
- Abstimmung des Europäischen Parlaments über den Vorschlag und Änderungsvorschläge, 24. April 2024: Link (archiviert)