Faktencheck

Kanada: Änderungsvorschlag des Strafgesetzbuchs hat keine Christenverfolgung oder Gebetsverbote zum Ziel

Laut Beiträgen auf X und Telegram stehen Christen in Kanada dunkle Zeiten bevor. Ein Änderungsvorschlag für das Strafgesetzbuch soll angeblich bei Verabschiedung Christenverfolgung legalisieren und Gebete strafbar machen. Das stimmt nicht.

von Steffen Kutzner

Symbolbild Kirchenaustritt, Ein Mann hält ein schwarzes Buch in einer Kirche mit Aufschrift: und tschüss! FOTOMONTAGE
In Kanada herrscht Religionsfreiheit. Auch ein aktueller Änderungsvorschlag im Strafgesetzbuch ändert daran nichts. (Symbolbild: Michael Bihlmayer / Chromorange / Picture Alliance)
Behauptung
Der Gesetzentwurf C-367 könne bei Einführung Christenverfolgung in Kanada legalisieren. Christen könnten dann ins Gefängnis kommen, wenn sie die Bibel zitierten, beteten oder eine glaubensbasierte Meinung äußerten.
Bewertung
Falsch. Es handelt sich um einen Änderungsvorschlag des Strafgesetzbuchs. Bei Verabschiedung würde künftig ein religiöser Kontext das Äußern von Hassrede oder Antisemitismus nicht mehr vor Strafverfolgung schützen.

Glaubt man Beiträgen in Sozialen Netzwerken, müssten Christen in Kanada unter Umständen künftig aufpassen, wenn sie aus der Bibel zitieren: „In Kanada steht die Einführung der Christenverfolgung bevor“, wird etwa auf X behauptet. Und weiter: „Im Falle seiner Verabschiedung könnte der Gesetzentwurf C-367 dazu führen, dass Christen ins Gefängnis kommen, wenn sie die Bibel zitieren oder eine glaubensbasierte Meinung äußern“. 

Auf Telegram wird sogar behauptet, dass Gebete nach Verabschiedung des Gesetzentwurfs verboten würden: „Der Gesetzentwurf C-367, der das Strafgesetzbuch ändern soll, wird die Grenzen der Redefreiheit neu definieren und öffentliche Bibellesungen, Gebete und andere Äußerungen christlicher Lehren unter Strafe stellen.“ Das stimmt nicht. Die vorgeschlagene Gesetzesänderung hat einen anderen Hintergrund und zielt nicht auf ein allgemeines Verbot oder Einschränkungen christlicher Religionsausübung ab. Doch worum geht es dann?

Gesetzesentwurf will zwei Absätze aus kanadischem Strafgesetzbuch streichen – Hintergrund ist Antisemitismus

Der Gesetzentwurf schlägt vor, Absatz 3 (b) und Absatz 3.1 (b) des Paragraphs 319 im kanadischen Strafgesetzbuch zu streichen. Diesem zufolge ist es strafbar, vorsätzlich Antisemitismus oder Hass gegen eine bestimmbare Personengruppe zu fördern. Die genannten Absätze definieren jedoch Ausnahmen, nämlich dann, wenn die Äußerungen in religiösem Kontext getätigt werden. Diese Ausnahmen würde durch die Gesetzesänderung entfallen. 

Aus der Bibel zu zitieren, zu beten, oder eine glaubensbasierte Meinung zu äußern, wäre also auch durch die vorgeschlagene Änderung des Strafgesetzbuchs nicht prinzipiell strafbar, sondern nur wenn das mit Hassrede einhergeht. 

Der Entwurf wurde noch nicht im kanadischen Parlament diskutiert, er steht, vereinfacht gesagt, auf der Warteliste. Lediglich die erste Lesung – sprich Vorstellung des Änderungsvorschlags – fand bereits im November 2023 statt. Eine Diskussion darüber stehe noch aus, wie uns Mathieu Gravel von der Pressestelle des kanadischen Unterhauses per E-Mail erklärt. Wann die zweite Lesung, also die inhaltliche Debatte, im Parlament folgt, steht noch nicht fest, schreibt uns Joanie Riopel, die Pressesprecherin des Parteivorsitzenden der Partei Bloc Québécois, die den Gesetzentwurf vorschlug.

Riopel erklärt zudem den Hintergrund des Vorschlags: „Im Zusammenhang mit dem Krieg im Nahen Osten haben wir eine Zunahme von Hassrede, Gewalt und Antisemitismus in Quebec und Kanada festgestellt, insbesondere als ein religiöser Prediger in Montreal den Tod der ‚Feinde des Gazastreifens‘ forderte.“ 

Religiöse Hassrede ist in Deutschland nicht straffrei

Wie urteilt dagegen die deutsche Gesetzgebung? Wir haben Stefan Conen, Anwalt für Strafrecht in Berlin, gefragt, welche Rechte gegeneinander abgewogen werden müssen, wenn Religionsausübung Hassrede enthält.

Conen erklärte uns telefonisch, dass Hassrede, auch religiöse Hassrede, den Paragraf der Volksverhetzung (§130 StGB) erfüllen könne. Demnach sei, so Conen, der Straftatbestand erfüllt, wenn „eine abgrenzbare Minderheit in einer Art und Weise verächtlich gemacht wird […], dass es den öffentlichen Frieden stört“. Man könne nicht so reden, wie man wolle, nur weil der „Deckmantel der Religion“ darüberliege, die Strafbarkeit greife dennoch. 

Als Beispiel führt Conen ein Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart an, in dem ein Prediger des Islam äußerte, wer den Ramadan nicht befolge, sei zu töten. An dieser Stelle würde Artikel 4 des Grundgesetzes, die freie Religionsausübung, eingeschränkt durch den Grundsatz der unantastbaren Menschenwürde – denn wer für todeswürdig erklärt werde, dessen Menschenwürde werde bestritten. Es gehe, so Conen, allerdings allein um das Interpretieren von Textstellen, nicht um das Vorlesen. Wenn Bibel, Koran oder andere religiöse Texte in bestimmten Passagen zu Völkermord oder ähnlichem aufrufen, darf man diese in Deutschland also wörtlich vorlesen, ohne dass Strafverfolgung droht. Völkermord als eigene Interpretation wiedergeben, dürfe man jedoch nicht.

Severin Riemenschneider, Anwalt für Medienrecht in Frankfurt am Main, sieht abgesehen von Volksverhetzung noch Beleidigung (§ 185 StGB) oder Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) als mögliche relevante Paragrafen bei religiöser Hassrede. Dabei sei auch der Ort der Äußerung nicht relevant, erklärt Riemenschneider uns per E-Mail: „Kirchen, Moscheen und andere religiöse Einrichtungen sind keine rechtsfreien Räume. Unser Recht kennt demnach auch keine Straffreiheit von Hassrede im religiösen Kontext.“ Das gelte unabhängig davon, ob die Äußerung auf der Straße, in Sozialen Netzwerken oder in einer religiösen Einrichtung stattfinde.

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Uschi Jonas