Faktencheck

Nein, das Selbstbestimmungsgesetz ist kein Einfallstor für Kreditbetrug

Kaum ist das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft getreten, kursieren irreführende Behauptungen im Netz: So heißt es, ein Betrüger komme angeblich mit Kreditschulden davon, wenn er sein Geschlecht ändere – die Polizei finde die Person dann wegen des Offenbarungsverbots nicht mehr. Das ist falsch.

von Johannes Gille

SBGG_Offenbarungsverbot_titelbild
Mit diesem Sharepic wird die Behauptung verbreitet, durch das neue Selbstbestimmungsgesetz könne man sich der Strafverfolgung entziehen (Quelle: Facebook; Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
Behauptung
Wer als Mann einen Kredit aufnimmt, sich dann als Frau umbenennen lässt und den Kredit nicht abbezahlt, sei fein raus. Die Polizei dürfe wegen des Offenbarungsverbots im Selbstbestimmungsgesetz nur nach einem Mann suchen.
Bewertung
Das Offenbarungsverbot im Rahmen des Selbstbestimmungsgesetzes verbietet zwar grundsätzlich, den alten Namen und das frühere Geschlecht einer Person zu offenbaren oder auszuforschen. Für straf- und zivilrechtliche Verfahren gelten jedoch Ausnahmen. Das Offenbarungsverbot galt zudem auch schon vor Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes in derselben Form.

Seit November 2024 ist in Deutschland das sogenannte Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag, kurz Selbstbestimmungsgesetz (SBGG), in Kraft. Es soll es für für trans-, intergeschlechtliche und nichtbinäre Personen vereinfachen, Vornamen und Geschlechtseintrag zu ändern. In Sozialen Netzwerken wird gegen das Gesetz immer wieder Stimmung gemacht, insbesondere mit Behauptungen zu dessen angeblichem Missbrauchspotential.

So kursiert kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes die Behauptung: „Wer als Mann einen Kredit aufnimmt, aber dann als Frau nicht mehr abbezahlt, ist fein raus.“ Die Polizei dürfe dann wegen des Offenbarungsverbots nur nach einem Mann suchen, heißt es in hundertfach geteilten Beiträgen auf Facebook und auf X.

Doch das stimmt nicht. Wir erklären, worum es beim Selbstbestimmungsgesetz und dem enthaltenen Offenbarungsverbot tatsächlich geht und welche Ausnahmen für Strafverfolgung und Zivilrechtsverfahren gelten.

Was sich durch das Selbstbestimmungsgesetz ändert

Das Selbstbestimmungsgesetz soll es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen leichter machen, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister („männlich“, „weiblich“, „divers“ oder „Keine Angabe“) und ihren Vornamen ändern zu lassen. Dafür genügt künftig eine Erklärung gegenüber dem Standesamt – eine richterliche Entscheidung und die Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens entfallen. Das SBGG ersetzt somit das „Transsexuellengesetz“, das das Bundesverfassungsgericht im Mai 2008 für verfassungswidrig befand, da es verheirateten Personen eine Änderung des Geschlechtseintrags untersagte. Auch entfällt Paragraph 45b des Personenstandsgesetzes, wodurch intergeschlechtliche Personen kein ärztliches Attest mehr benötigen, um vom Recht, Vornamen und Geschlechtseintrag zu ändern, Gebrauch zu machen.

Was bedeutet trans, nichtbinär und intergeschlechtlich?

Eine trans Person ist jemand, dessen Geschlechtsidentität sich von ihrem bei der Geburt eingetragenen Geschlecht unterscheidet. Dazu zählt zum Beispiel eine Person, die als Frau geboren wurde, sich jedoch als Mann identifiziert, und auch als solcher nach außen wahrgenommen werden möchte.

Nichtbinäre Personen sind Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht eindeutig zugehörig fühlen. Dazu können beispielsweise Menschen zählen, die sich sowohl mit dem männlichen als auch dem weiblichen Geschlecht identifizieren, oder auch sich keinem der beiden zugehörig fühlen.

Als intergeschlechtlich gelten Menschen, deren physische Charakteristiken bei der Geburt nicht ausschließlich dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn Chromosomen, Keimdrüsen oder die äußeren Geschlechtsorgane nicht einheitlich ausgeprägt sind. 

Worum geht es beim Offenbarungsverbot?

Das SBGG enthält ein Offenbarungsverbot (Paragraf 13 SBGG). Das sieht vor, dass nach einer Änderung des Geschlechtseintrags die vorherigen Geschlechtsangaben und Namen einer Person nicht „offenbart oder ausgeforscht werden“ dürfen – außer es gibt „besondere Gründe“ des öffentlichen Interesses oder ein rechtliches Interesse. Dieselbe Formulierung stand so bereits im jetzt ersetzten „Transsexuellengesetz“ – neu ist daran also nichts.

Was bedeutet das jetzt konkret für die Behauptung, das SBGG erleichtere Kreditbetrug und die Verfolgung dessen durch die Polizei? Dazu gilt es zunächst zu verstehen, dass die Polizei in so einem Fall überhaupt nicht zuständig ist. Straf- und Verkehrsrechtsprofessor Vasco Reuss von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht erklärt: Die Rückzahlung von Krediten sei keine strafrechtliche Frage und liege nicht unter der Verantwortung der Polizei. „Wer einen solchen Kredit nicht zurückzahlt, begeht keine Straftat, sondern setzt sich zivilrechtlichen Verfahren, zum Beispiel Mahnverfahren, Inkasso oder Zahlungsklagen vor Zivilgerichten aus.“

Und sowohl für zivil- als auch strafrechtliche Verfahren enthält das SBGG Ausnahmen, um Personen auch anhand vergangener Namen und Geschlechtseinträge auffindbar zu machen: Paragraph 13 Absatz 1 Nummer 3 des SBGG sieht Ausnahmen für das Offenbarungsverbot vor, sofern zum Beispiel „ein rechtliches Interesse an den Daten“ glaubhaft gemacht wird. Dieses Interesse haben laut Reuss auch Gläubiger wie Banken oder Inkassounternehmen und könnten sich auf die Ausnahme berufen, indem sie den Kreditvertrag vorlegen.

Darüber hinaus ist in Absatz 1, Nummer 2 eine weitere Ausnahme vorgesehen: Wenn Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden sowie amtliche Stellen mit Sicherheitsaufgaben die Daten für ihre Arbeit benötigen, gilt das Offenbarungsverbot ebenfalls nicht.

Kann die Änderung des Geschlechtseintrags missbraucht werden?

Christian Solmecke von der Kanzlei WBS.Legal sieht „keine Gefahr, dass die Änderung des Geschlechtseintrags zur Verschleierung von Straftaten ausgenutzt werden kann“. Er verweist auf eine Umfrage durch die Organisation Transgender Europe unter europäischen Staaten, in denen bereits seit Jahren liberale Gesetze zur Änderung des Geschlechtseintrags gelten. Zum Zeitpunkt der Befragung 2022 waren in keinem der Länder Fälle bekannt, bei denen Geschlechtseinträge mit „betrügerischer oder krimineller Absicht“ geändert wurden. „Ich erachte daher bereits die Gefahr des Versuchs einer Verschleierung als gering. Doch selbst wenn, wären die Strafverfolgungsbehörden handlungsfähig“, so Solmecke.

Veronika Strauß, Sprecherin des Bundesministeriums für Justiz, betont darüber hinaus, „dass die Identität einer Person lückenlos nachvollziehbar bleibt – auch bei Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen“. Bestehende Einträge in staatlichen Registern bleiben demnach erhalten.

Die Änderung des Geschlechtseintrags eignet sich erst recht nicht, um nach einer Straftat unterzutauchen, so Strauß. Polizeilich gesuchte Personen würden sich „wohl gut überlegen, ob sie sich beim Standesamt für einen Personenstandwechsel anmelden, ihre Wohnanschrift nochmal vorlegen, dann drei Monate warten und erneut zum Standesamt gehen“.

Unter den Verbreitern war auch der Aktivist Ali Utlu. Nachdem wir ihn mit unseren Rechercheergebnissen konfrontierten, löschte er seinen Beitrag auf X.

Redigatur: Sarah Thust, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG)“, 24. Oktober 2024: Link
  • Paragraph 13 SBGG: Offenbarungsverbot, Bundesministerium der Justiz, 19. Juni 2024: Link
CORRECTIV im Postfach
Lesen Sie von Macht und Missbrauch. Aber auch von Menschen und Momenten, die zeigen, dass wir es als Gesellschaft besser können. Täglich im CORRECTIV Spotlight.