„Tägliche Gruppenvergewaltigungen“: Keine Belege für Merz’ Behauptung zur Kriminalität von Asylbewerbern
Für seinen Gesetzesvorschlag zur Verschärfung der Migrationspolitik argumentierte Friedrich Merz im Bundestag auch mit „täglich stattfindenden Gruppenvergewaltigungen aus dem Milieu der Asylbewerber“. Doch für diese Behauptung gibt es keine Belege.
Friedrich Merz’ Entwurf für ein „Zustrombegrenzungsgesetz“ ist am 31. Januar im Bundestag gescheitert – trotz Unterstützung durch AfD, BSW und FDP. In der Bundestagsdebatte vor der Abstimmung argumentierte der CDU-Kanzlerkandidat unter anderem damit, dass es angeblich „täglich stattfindende Gruppenvergewaltigungen aus dem Milieu der Asylbewerber“ gebe.
Für diese Behauptung gibt es jedoch keine faktische Grundlage.
Pressesprecher verweist auf Quellen, die Merz’ Aussage zu „Gruppenvergewaltigungen“ nicht belegen
Armin Peter, der Pressesprecher von Merz, antwortete auf eine Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck nach der Quelle zu dieser Behauptung, dass es „zu dem Thema mehrere Zahlen“ gebe. Er verwies unter anderem auf einen Artikel der Welt vom Juni 2024 (Bezahlschranke) zu Zahlen des Bundeskriminalamts zu 2023 und auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der in Teilen rechtsextremen Partei AfD vom Juni 2024. Beide beruhen auf einer Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik.
Demnach registrierte die Polizei 2023 761 Fälle von Gruppenvergewaltigungen – insgesamt, also unabhängig von der Herkunft der Tatverdächtigen. Rechnerisch wären das also durchschnittlich rund zwei Fälle pro Tag. Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist nur bedingt aussagekräftig. So heißt es dazu vom BKA im Jahrbuch 2019, die Daten darin ließen „keine vergleichende Bewertung der Kriminalitätsbelastung von Deutschen und Nichtdeutschen zu“ und dürften nicht mit der tatsächlichen Kriminalitätsentwicklung gleichgesetzt werden.
Die Zahlen in der Polizeistatistik betrachten Fälle, bei denen die Polizei ihre Ermittlungen abgeschlossen hat. Es ist also unklar, ob eine Staatsanwaltschaft in den Fällen jeweils Anklage erhoben hat und die Vorwürfe durch ein Gericht bestätigt wurden. Entsprechend gibt die Statistik nur Auskunft über Tatverdächtige, nicht über verurteilte Straftäter. Sie betrachtet außerdem nur Fälle, die der Polizei bekannt geworden sind. Gerade bei Sexualdelikten wird jedoch von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.
Doch auch unabhängig von der Aussagekraft der Statistik belegt diese Merz’ Behauptung nicht. Laut der Antwort der Bundesregierung wurden im Jahr 2023 bei 761 Fällen von Gruppenvergewaltigungen 990 Tatverdächtige ermittelt. 520 davon hatten die deutsche Staatsangehörigkeit – der Großteil von ihnen waren Männer. Rund 48 Prozent (470 Tatverdächtige) waren „nichtdeutsch“. Davon gehörten wiederum 146 Verdächtige oder rund 14 Prozent der Kategorie „Zuwanderer“ an. Darunter fallen Tatverdächtige, deren Aufenthaltsgrund in der Statistik als „Asylbewerber“, „Schutzberechtigte und Asylberechtigte, Kontingentflüchtling“, „Duldung“ oder „unerlaubter Aufenthalt“ registriert wurden. Die Kategorie „Zuwanderer“ kommt dem von Merz verwendeten Ausdruck „Milieu der Asylbewerber“ somit wohl am nächsten.
Polizeistatistik erlaubt keine Rückschlüsse auf Anzahl der Fälle mit asylsuchenden Tatverdächtigen
Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik lässt sich also ableiten: Unter den 761 Fällen von Gruppenvergewaltigungen, die darin vorkommen, wurden 146 der Tatverdächtigen der Gruppe „Zuwanderer“ zugeordnet. Die Zahlen decken Merz’ Behauptung aber in keinem Fall. Aus der Polizeistatistik lässt sich nicht ableiten, wie viele konkrete Fälle den Tatverdächtigen der Kategorie „Zuwanderer“ oder „nichtdeutsch“ zugerechnet werden können.
Merz-Sprecher Peter verweist außerdem auf Artikel des Bayerischen Rundfunks (BR) und des Westdeutschen Rundfunks (WDR). In dem Artikel des BR heißt es im ersten Satz: „Statistisch findet in Bayern fast jeden vierten Tag eine Gruppenvergewaltigung statt.“ Von 96 Tatverdächtigen im Jahr 2023 seien 51 „Ausländer“ gewesen, wiederum 21 der Tatverdächtigen habe die Polizei als „Zuwanderer“ erfasst. Auch das belegt Merz’ Aussage folglich nicht.
In dem Artikel des WDR geht es um die Antwort der Landesregierung Nordrhein-Westfalen auf eine Anfrage der AfD. Darin hatte die Partei nach den Vornamen der Tatverdächtigen bei Fällen von Gruppenvergewaltigungen erfragt. Auch hier erschließt sich nicht, wie dadurch Merz’ Behauptung belegt werden könnte.
Auf eine weitere Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck dazu antwortete Peter bis zur Veröffentlichung nicht.
Es finden sich also keine Belege für Merz’ Aussage und auch die Quelle für die Behauptung bleibt unklar.
Auch Gewerkschafter teilte unbelegte Behauptung über Sexualverbrechen
Einen Tag vor der Bundestagsdebatte hatte Manuel Ostermann, stellvertretender Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, auf X eine ähnliche Behauptung geteilt: „Jeden Tag gibt es Gruppenvergewaltigungen und andere schwere Sexualverbrechen […] Diese Taten werden maßgeblich von Migranten aus den Asylhauptherkunftsländern begangen und das jeden einzelnen Tag!“
Auf Nachfrage verweist auch er auf die Zahlen der Kriminalstatistik und darauf, dass unter den Tatverdächtigen bei Gruppenvergewaltigungen 48 Prozent der Tatverdächtigen Nicht-Deutsche seien. Ostermann verweist außerdem auf 8.800 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in 2023, bei denen mindestens ein Tatverdächtiger als „Zuwanderer“ registriert war. Demgegenüber stehen jedoch 105.146 solcher Straftaten insgesamt. Diese Zahlen belegen also nicht, dass „Migranten aus den Asylhauptherkunftsländern“ maßgeblich beteiligt sind.
Polizeiliche Kriminalstatistik ist keine zuverlässige Quelle für Zusammenhang zwischen Kriminalität und Asylhintergrund
Tatsächlich sind ausländische Tatverdächtige in der Kriminalstatistik sowohl bei Gruppenvergewaltigungen als auch bei anderen Straftaten proportional zum Anteil an der Gesamtbevölkerung überrepräsentiert. Daraus lässt sich aber kein kausaler Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität ableiten.
Verschiedene Studien kommen zu dem Schluss, dass „nicht die Staatsbürgerschaft oder der Migrationshintergrund ursächlich für die Begehung von Straftaten (insbesondere Gewaltkriminalität) ist“, wie ein Sprecher des Bundeskriminalamts für eine vergangene Recherche auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck erklärte. Bedeutsamer seien Faktoren, die unabhängig von der Herkunft wirken, wie Gewalterfahrungen, Bildungsniveau, sowie Armut und Diskriminierung.
Unter migrantischen und geflüchteten Menschen sind beispielsweise junge Männer „prozentual überrepräsentiert, eine Personengruppe, die herkunftsübergreifend die meisten Straftaten begeht“, wie die Neuen deutschen Medienmacher*innen erklären.
Darüber hinaus ist die Zahl der Verdächtigen keine verlässliche Datenquelle für Aussagen über Unterschiede in der Kriminalität verschiedener Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel ein Gutachten zur Gewalt bei Flüchtlingen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften von 2018 einordnet: Übergriffe von als fremd wahrgenommenen Menschen werden Opferbefragungen zufolge eher zur Anzeige gebracht.
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Redigatur: Uschi Jonas, Gabriele Scherndl