Bundestagswahl 2025: Warum das vorläufige Wahlergebnis von Angaben der Gemeinden abweicht
Nach der Bundestagswahl sorgt ein Video für Spekulationen über Wahlbetrug. Darin zeigt ein Mann, dass sich Ergebnisse der Wahlkreise und der Bundeswahlleitung unterscheiden – angeblich vor allem zum Nachteil der Partei BSW. Ein Faktencheck zeigt, was dahinter steckt.

Wenige Tage nach der Bundestagswahl 2025 veröffentlicht ein Tiktok-Nutzer eine Reihe von Videos, die angeblich zeigen sollen, dass zahlreiche Stimmen für die Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) „scheinbar nie bei der Bundeswahlleitung angekommen“ seien. Er zeigt für mehrere Wahlkreise, dass die dort angegebene Anzahl der Stimmen nicht mit dem vorläufigen Ergebnis der Bundeswahlleitung übereinstimmt. Der Nutzer verweist dazu auf einen Beitrag von BSW-Politiker Fabio de Masi, der auf X ebenfalls auf teils abweichende Angaben hingewiesen hatte.
De Masi teilte später einen Zusammenschnitt der Tiktok-Videos auf X und kommentierte, dass der Nutzer die Partei auf einige Fälle von „Übertragungsfehlern“ von der Gemeinde zur Bundeswahlleiterin aufmerksam gemacht habe. „Ich unterstelle übrigens keinen Vorsatz, sondern menschliche Fehler. Aber selbstverständlich prüfen wir das systematisch.“ Auch der Tikok-Nutzer betont in einem Beitrag: „Es wird kein Wahlbetrug behauptet.“ Andere stellen diesen jedoch auf Basis der Videos in den Raum.

Sowohl die Profile des rechtsextremen Medienprojekts Anonymousnews, als auch Profile, die zuvor Inhalte der russischen Einflusskampagne Storm-1516 verbreitet hatten, teilten das Video: Sie behaupten, damit sei ein „gigantischer Wahlbetrug aufgeflogen“ und spekulieren, davon könne auch die AfD betroffen sein. Auch Max Otte, ehemaliges Mitglied der CDU, sowie die AfD-Politiker Daniel Wald und Christian Abel verbreiteten das Video mit dieser Unterstellung weiter.
Allerdings belegt das, was in den Videos zu sehen ist, keinen Betrug: Die vorläufigen Endergebnisse der Bundeswahlleiterin wurden einige Stunden nach der Wahl veröffentlicht und werden bis zur Veröffentlichung des endgültigen Ergebnisses nicht aktualisiert. Die Angaben der Gemeinden in den Videos sind dagegen aktueller und wurden bereinigt. Doch als die Bundeswahlleiterin auf X darauf hinweist, hat sich der irreführende Vergleich längst im Netz verselbstständigt, wie Beiträge auf X, Facebook, Telegram und Youtube zeigen.

Bundeswahlleiterin ordnet ein: Angaben basieren unter anderem auf unterschiedlich alten Daten – Prüfung läuft
Auf der Webseite ordnet die Bundeswahlleiterin ein: Das vorläufige Ergebnis der Bundestagswahl 2025 und die Ergebnisse auf den Internetseiten von Gemeinden basieren demnach auf unterschiedlichen Sachständen zu unterschiedlichen Zeitpunkten.
Die vorläufigen Ergebnisse veröffentlicht die Bundeswahlleiterin einige Stunden nach der Wahl: Sie basieren auf Schnellmeldungen, die in der Wahlnacht übermittelt und mit Stand 24. Februar 2025, 4.10 Uhr bekannt gemacht wurden. Bis zur Feststellung des endgültigen Ergebnisses (voraussichtlich am 14. März 2025) werden sie auf der Webseite der Bundeswahlleitung nicht aktualisiert.
Die Auszählungsergebnisse werden von mehreren Wahlleitungen und Ausschüssen überprüft. Gemeinden, Kreise und Länder veröffentlichen im Verlauf dieses Prozesses zum Teil aktualisierte Ergebnisse. „In der Regel wird der aktualisierte Stand mit einem neuen Zeitstempel ausgewiesen. Kleinere Abweichungen in den Ergebnissen nach oben oder unten sind auf die Prüfschritte anhand der Niederschriften, etwaige Nachzählungen und Korrekturen zurückzuführen. Diese treten bei jeder Wahl auf“, schreibt die Bundeswahlleiterin.
Vergleich verzerrt: Wer im Video scheinbar schlecht abschneidet, hat in der Realität Stimmen gewonnen
CORRECTIV.Faktencheck hat exemplarisch die Angaben für sieben Wahlkreise überprüft, die in den Videos in Sozialen Netzwerken genannt werden: Ennepe-Ruhr-Kreis I in der Stadt Hagen; Wahlkreis 135 Höxter – Gütersloh III – Lippe II; Kreis Warendorf; Wahlkreis 101 Wuppertal I; Wahlkreis 246 Aschaffenburg; Bad Kissingen und Wahlkreis 103 Mettmann I.
Eine Stichprobe am 11. März zeigt: Bei mehreren Wahlkreisen steht mittlerweile ein anderer Auszählungsstand als in den Videos, weil die Daten weiter bereinigt wurden. In einigen der Wahlkreise hat das BSW nun noch mehr Zweitstimmen, in allen mehr als auf der Seite der Bundeswahlleitung. In den Wahlkreisen wurden also im Zuge der Prüfungen weitere Stimmen an das BSW zugeteilt, die in den Schnellmeldungen (und damit im vorläufigen Ergebnis der Bundeswahlleiterin) noch nicht enthalten waren. Das BSW hat, je aktueller die Zahlen wurden, also keine Stimmen verloren, sondern dazugewonnen – also das Gegenteil dessen, was der Tiktok-Nutzer behauptet.
Tiktok-Videos zeigen, dass es bei mehreren Parteien leichte Abweichungen gab
Hinzu kommt, dass in den Videos manches durcheinander geworfen wird: Zum Beispiel verrutscht der Mann an einer Stelle in den Spalten – und vergleicht Erst- und Zweitstimmen statt nur die Zweitstimmen. Für den Wahlkreis 135 Höxter – Gütersloh III – Lippe II vergleicht er die Zweitstimmen der SPD im Kreis (aktuell 23.881) mit den Erststimmen laut Bundeswahlleiterin (26.204). Er vergleicht also nicht nur den Auszählungsstand vom 24. Februar um 15.35 Uhr mit den vorläufigen Ergebnissen vom 24. Februar, 4.10 Uhr, sondern auch Erst- mit Zweitstimmen. So entsteht der falsche Eindruck, die SPD habe mehr als 2.300 Stimmen dazu gewonnen. Was die Daten wirklich zeigen: Die SPD hatte in den älteren Daten der Bundeswahlleiterin 49 Zweitstimmen mehr als in den aktuelleren Daten des Wahlkreises – sie hat damit nach neuem Stand Stimmen verloren und nicht dazugewonnen.
CORRECTIV.Faktencheck fragte dazu bei dem Tiktok-Nutzer nach: Er bestätigt, dass er an der Stelle nicht akkurat gewesen sei und stellte klar: Seine Intention war zu zeigen, dass es überall leichte Schwankungen gebe, aber die Tendenz beim BSW augenscheinlich stärker ins Gewicht falle.
Auf Anfrage, wie er dazu stehe, dass andere Nutzerinnen und Nutzer das Video mit der Behauptung verbreiten, es habe Wahlbetrug gegeben, antwortete er: „Davon möchte ich mich komplett distanzieren. Das ist nie meine Intention gewesen. Auch deshalb habe ich aufgehört, Videos zu produzieren. Ich habe gemerkt, dass die Dinge in Teilen anders aufgenommen wurden als sie angedacht waren.“ Stattdessen habe er mit den Videos deutlich machen wollen, dass es in einigen Gemeinden zu Irritationen zwischen dem Bündnis Deutschland und dem BSW gekommen sei, die auf Auszählungslisten untereinander aufgeführt wurden. Dass die Zahlen der Bundeswahlleitung nur vorläufig sind, sei ihm nicht bewusst gewesen.
In der Zeile verrutscht, neu im Team: So kann es bei Auszählungen zu kleineren Abweichungen kommen
Wir haben die jeweils zuständigen Behörden um eine Einordnung der Behauptungen im Netz gebeten – die Antworten im Detail können Sie hier herunterladen. Im Großen und Ganzen wiederholen sie die Angaben der Bundeswahlleiterin. So schrieb uns Michael Kaub, Pressesprecher der Stadt Hagen, die Abweichungen auf der Webseite seien einfach erklärt: Bei den Zahlen der Bundeswahlleiterin handele es sich um ein vorläufiges Ergebnis. „Dieses Ergebnis wird – wie bei allen Wahlen – im Nachgang fortlaufend korrigiert, weil sich bei der Überprüfung der Schnellmeldungen noch Änderungen ergeben können“, so Kaub.
Manche der Kontaktierten erklären auch, wie es zu den Änderungen im Zuge der Korrektur kam. Felix Höltmann, Sprecher des Kreises Warendorf, schreibt: Dem BSW seien im Wahlkreis zum Beispiel 17 Zweitstimmen zugesprochen und MERA25 17 Zweitstimmen abgezogen worden, da die Zahlen am Wahlabend aus den Zeilen vertauscht abgelesen wurden. Das sei keine „Unregelmäßigkeit, sondern das normale Verfahren im Rahmen der Prüfung der Wahlergebnisse“. Vergleicht man das vorläufige Ergebnis der Bundeswahlleiterin mit den Angaben des Kreises Warendorf wird klar, dass sich die Zweitstimmen-Auszählungsergebnisse für die AfD, aber auch für die anderen in den Bundestag gewählten Parteien bis zum 6. März 2025 nicht verändert haben. Bei kleineren Parteien gab es geringe Abweichungen.
Für Wuppertal berichtete Kathrin Petersen, dass von insgesamt 256 Wahlbezirken drei nachgezählt werden mussten – davon sei nicht nur die BSW betroffen gewesen. Es sei normal, dass es zu Abweichungen komme. Zum Beispiel, weil ehrenamtliche Mitarbeitende die Auszählungen machen, von denen manche neu oder noch nicht als Team eingespielt sind. Hier zeigt ein Vergleich des vorläufigen Ergebnisses mit den Angaben der Stadt Wuppertal vom 27. Februar um 10.55 Uhr, dass im Zuge der Korrektur neben dem BSW auch die Grünen, die CDU und die AfD mehr Zweitstimmen gewannen – die SPD dagegen verlor rund 20 Stimmen.
BSW hofft nach Bundestagswahl auf Neuauszählung, bevor das amtliche Endergebnis veröffentlicht wird
Beim BSW hält man für möglich, dass es bereits beim Auszählen zu Verwechslungen gekommen sein soll – vor allem zum Nachteil des BSW. Unabsichtlich, wie De Masi in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau betonte: „Ich habe nie gesagt: Bei der Wahl wurde manipuliert.“ Da die Partei bei der Bundestagswahl jedoch so knapp an der 5-Prozent-Hürde gescheitert ist, fordert sie inzwischen eine Prüfung. Am 11. März berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass das BSW das Wahlergebnis vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen will und auf eine Neuauszählung hofft. Die müsse durchgeführt werden, bevor die Bundeswahlleiterin das amtliche Endergebnis veröffentlicht.
De Masi ordnet auch gegenüber CORRECTIV.Faktencheck ein, es sei ihm nicht um den Vorwurf einer bewussten Manipulation gegangen, sondern um eventuelle Fehlerquellen bei der Auszählung. Er habe lediglich darauf aufmerksam machen wollen, dass in den vorläufigen Wahlergebnissen der Bundeswahlleiterin auffällig häufig BSW-Stimmen fehlten, die später in der Regel bereinigt würden.
Um zu prüfen, ob dies häufiger zu Gunsten oder zu Ungunsten des BSW geschehen sei, habe das BSW selbst eine Stichprobe von Wahlkreisdaten aus 173 Wahlkreisen statistisch ausgewertet: Diese soll 91 Diskrepanzen ergeben haben, 82 davon zu Ungunsten des BSW – und 20 zu Gunsten der Partei. Mit „zu Ungunsten“ meint De Masi, dass die Zahl im vorläufigen Endergebnis niedriger ist als im Wahlkreis – also eine BSW-Stimme zunächst nicht für das BSW gezählt, sondern dem erst in der Überprüfung zugerechnet wurde.
Auf Grundlage dieser Auswertung, die CORRECTIV.Faktencheck nicht vorliegt, ist De Masi der Ansicht, dass Wahlhelferinnen und Wahlhelfer beim Auszählen der Stimme teils in der Zeile verrutscht sein könnten. Das BSW habe zum Beispiel in einigen Wahlkreisen beobachtet, dass dort zunächst 0 Stimmen gemeldet wurden – für das Bündnis Deutschland dagegen, eine rechtskonservative Kleinstpartei, die in der Tabelle über dem BSW steht, gab es zunächst mehr Stimmen.
Der Spiegel hat dazu einige Tage nach der Wahl nachgerechnet und berichtet, dass es tatsächlich vereinzelt Hinweise auf Ungereimtheiten gebe. Hochgerechnet auf Deutschland sei jedoch schwer vorstellbar, dass mit solchen Einzelfällen die rund 13.400 Stimmen zusammenkommen, die das BSW benötigen würde, um doch noch in den Bundestag einzuziehen. Realistischer sei ein Wert im niedrigen vierstelligen Bereich. Der Spiegel errechnete, dass bei der Europawahl, wo BSW und Bündnis Deutschland ebenfalls untereinander standen, bei 1.600 Stimmen theoretisch der Grund zur Annahme bestehen könnte, dass es dabei zu einer Verwechslung kam.
Fazit: Die Zahlen zeigen, dass die Theorie der falsch zugeordneten BSW-Stimmen nicht völlig aus der Luft gegriffen ist – sie sagt aber erstmal nichts darüber aus, ob die Kontrollmechanismen bei Wahlen funktionieren. Von Wahlbetrug kann dagegen keine Rede sein – die Vergleiche sind mit dieser Behauptung irreführend. In den Videos allein finden sich keine Belege, dass das BSW oder die AfD systematisch benachteiligt wurden.
Beiträge im Netz, die pauschal unterstellen, dass das BSW oder andere Parteien Stimmen verloren hätten, wenn im vorläufigen Endergebnis der Bundeswahlleiterin weniger Stimmen stehen, sind falsch: Wenn im ersten Übertrag ein Fehler passiert ist, greifen mehrere Prüfmechanismen, durch die ein solcher Fehler in der Regel auffällt und infolge korrigiert werden kann. So ist das in etlichen Fällen passiert. Auch andere Parteien hatten mal mehr, mal weniger Stimmen. Insgesamt sind die untersuchten Schwankungen gering.
Alle Faktenchecks rund um die Bundestagswahl 2025 lesen Sie hier.
Mitarbeit: Johannes Gille, Max Bernhard
Redigatur: Gabriele Scherndl, Paulina Thom
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Antwort zur Bundestagswahl auf die Frage: „Wieso können die vorläufigen Ergebnisse der Bundeswahlleiterin von Ergebnisdarstellungen der Gemeinden abweichen?“, Bundeswahlleiterin: Link (archiviert)
- Vorläufige Ergebnisse nach Wahlkreisen, Bundeswahlleiterin, Stand 24. Februar 2025 um 4.10 Uhr: Link (archiviert)
- Wahlkreis Ennepe-Ruhr-Kreis I in der Stadt Hagen, Stand 26. Februar 2025 um 11.40 Uhr: Link (archiviert)
- Wahlkreis 135 Höxter – Gütersloh III – Lippe II, Stand 26. Februar 2025 um 13.55 Uhr: Link (archiviert)
- Wahlkreis Warendorf, Stand 6. März 2025 um 8.34 Uhr: Link (archiviert)
- Wahlkreis 101 Wuppertal I, Stand 27. Februar 2025 um 10.55 Uhr: Link (archiviert)
- Wahlkreis 246 Aschaffenburg, Stand 25. Februar 2025 um 9.38 Uhr: Link (archiviert)
- Wahlkreis Bad Kissingen, Stand 26. Februar 2025 um 8.03 Uhr: Link (archiviert)
- Wahlkreis 103 Mettmann I, Stand 6. März 2025 um 7.19 Uhr: Link (archiviert)