Faktencheck

Rekordschnee in Japan ist kein Argument gegen den menschengemachten Klimawandel

Im Februar lag in Japan mancherorts meterhoch Schnee. Für einige Nutzerinnen und Nutzer in Sozialen Netzwerken widerspricht das der globalen Erwärmung. Warum das nicht stimmt, erklären wir im Faktencheck.

von Paulina Thom

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In Japan kam es in diesem Winter teils zu Rekordschnee, etwa in der Präfektur Niigata. Anders als im Netz behauptet, ist das jedoch kein Argument gegen den Klimawandel. (Foto: Kyodo / Picture Alliance)
Behauptung
Dass es in Japan bis zu fünf Meter Schnee gab, widerspreche dem menschengemachten Klimawandel.
Bewertung
Falsch. Rekordschneefälle wie jene in Japan widersprechen dem Klimawandel nicht. Zum einen ist ein Wetterextrem ein kurzfristiges Ereignis, für die Betrachtung des Klimawandels sind hingegen längerfristige Zeiträume relevant. Zum anderen kann es aufgrund der globalen Erwärmung sogar zu mehr Schnee kommen: Eine wärmere Atmosphäre kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, was zu höheren Niederschlagsmengen führt.

Auf Telegram verbreitet sich seit Ende Februar ein Foto von extremen Schneemengen in der japanischen Stadt Minamiuonuma. Bis zu fünf Meter Schnee und damit die höchste Schneemenge aller Zeiten sei dort gefallen, steht im Beitrag. „Das muss wohl dieser Klimawandel sein, von dem permanent die Rede ist“, heißt es dazu sarkastisch. Mehr als 50.000 Aufrufe hat der Beitrag, der sich im selben oder ähnlichen Wortlaut auch auf Facebook und X verbreitet

Unsere Recherche zeigt: Anders als behauptet widerspricht extremer Schneefall nicht der globalen Erwärmung. 

Telegram-Beitrag
Mehr als 50.000 Aufrufe hat dieser Telegram-Beitrag, in dem wegen extremen Schneefalls in Japan fälschlich der Klimawandel angezweifelt wird (Quelle: Telegram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Tatsächlich kam es in Japan im Januar und Februar zu heftigen Schneefällen, mancherorts fielen Medienberichten zufolge mehr als drei Meter. Mehr als 20 Menschen sind wegen der dortigen Extremwetterlage gestorben. Das Foto in dem Telegram-Beitrag taucht online laut einer Bilder-Rückwärtssuche vermehrt ab dem 24. Februar auf. Einigen Beiträgen zufolge zeigt es ein Skigebiet in der Präfektur Niigata, einer von den Schneefällen besonders betroffenen Region

Extremer Schneefall in Japan widerspricht nicht dem Klimawandel 

Widerspricht der extreme Schneefall also dem Klimawandel? „Ganz im Gegenteil“, erklärt Karsten Haustein, Meteorologe und Klimawissenschaftler an der Universität Leipzig. „Rekordschneefälle sind sogar etwas, was man auf einem wärmeren Planeten aus physikalischer Sicht erwarten würde.“ An Orten, an denen es trotz Erwärmung weiterhin kalt genug ist, falle logischerweise auch weiterhin Schnee. Hinzu komme aber, dass Atmosphäre und Ozean wärmer würden. Das wiederum sorge dafür, dass mehr Feuchte für Niederschläge zur Verfügung steht – und die könnten sich als intensivere Schneefälle bemerkbar machen. Umgekehrt „heißt das allerdings nicht, dass im Winterdurchschnitt mehr Schnee fallen muss“, so Haustein.

Intensive Schneefälle in Japan seien „aufgrund des maritimen Klimas grundsätzlich keine Seltenheit“, schreibt uns auf Anfrage Gudrun Mühlbacher. Sie leitet das Regionale Klimabüro des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in München. „Jedoch sind die aktuellen Schneefälle aufgrund der langjährigen Messungen wohl als Extremereignis in der Region einzustufen.“ Dies sei erstmal keine direkte Auswirkung des Klimawandels. Es sei allerdings zu analysieren, ob solche Wetterlagen im Zuge des Klimawandels zunehmen. Wichtig sei dabei, einzelne Wetterereignisse und Klima nicht als dasselbe zu betrachten, schreibt Mühlbacher. 

Worin sich Wetter und Klima unterscheiden 

Ein schneereicher Winter, eine einzelne Dürre im Sommer oder ein Jahrhunderthochwasser allein machen noch keinen Klimawandel. Genauso wenig widerlegt ein solches einzelnes Ereignis den aktuellen Klimawandel. Während das Wetter ein kurzfristiges Ereignis ist, geht es beim Klima um die Betrachtung des durchschnittlichen Wetters über einen längeren Zeitraum, in der Regel über dreißig Jahre.

Inwieweit die Auswirkungen und Intensität solcher Ereignisse wie in Japan durch den Klimawandel verstärkt würden, lasse sich nur aufwendig in der sogenannten Attributionsforschung berechnen, schreibt uns Mühlbacher. Bei manchen Extremwettern, etwa Hitzewellen, ist der Zusammenhang zum Klimawandel eindeutig erklärbar, bei anderen, wie zum Beispiel Starkregenereignissen, ist eine Zuordnung aufgrund natürlicher Schwankungen schwieriger. 

Was ist Attributionsforschung?

Die Attributionsforschung will herausfinden, inwieweit der menschengemachte Klimawandel für Extremwetter verantwortlich ist. Forscherinnen und Forscher simulieren und vergleichen dafür zwei Welten: eine mit und eine ohne menschlichen Einfluss auf das Klima, also quasi eine Welt vor der Industrialisierung. „Kommen die Wetterextreme in den Simulationen mit menschlichem Einfluss häufiger vor, können wir einen Zusammenhang zwischen dem menschengemachten Klimawandel und Wetterextremen herstellen“, erklärt Jakob Zscheischler, Forscher am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, dem Science Media Center.

Wie der Klimawandel den Schneefall hierzulande verändert

Rekord-Schneemengen seien auch in Deutschland möglich, erklärt Meteorologe Haustein, da bei entsprechender winterlicher Extremwetterlage auch hier mehr Feuchte als früher zur Verfügung stehe. 2010 sei es etwa in Hessen zu einem solchen Rekordschneefall gekommen, 2021 in Thüringen. Im Wintermittel sei Deutschland aber nicht kalt genug, um schneesicher zu sein, erklärt Haustein. „Das war auch ‚früher‘ so.“ 

Signifikant abgenommen habe aber in den meisten Regionen Deutschlands die Zahl der Frosttage, der Eistage und der Tage mit Schneedecke sowie die durchschnittliche Schneefallmenge, so Haustein. Laut einer Auswertung des DWD hat sich zwischen den Jahren 1960 und 2021 in allen Höhenlagen in Deutschland die Zahl der Schneetage verringert, besonders im Flachland. „Während es in tiefen Lagen in den 60er Jahren im statistischen Mittel noch knapp 30 Schneetage gab, verringerte sich die Zahl im vergangenen Jahrzehnt auf magere 10 Tage“, heißt es beim DWD. Auch in mittleren Höhen gebe es seit den 1960er Jahren etwa 50 Prozent weniger Schneetage. 

Je höher die Lage, umso schneesicherer sei es, erklärt Mühlbacher vom DWD – hier werde oft die Grenze 1500 bis 2000 Meter und mehr genannt. Für das Bergland gibt es laut Haustein folgende Faustregel: „Pro Grad globaler Erwärmung, verschiebt sich die durchschnittliche Schneefallgrenze um circa 200 bis 300 Meter nach oben.“ 

Haustein fasst die Lage für die Zukunft so zusammen: In den meisten Gebieten der gemäßigten Breiten würden Schnee-, Frost- und Eistage immer seltener werden. Strenge Winterperioden würden zur absoluten Ausnahme werden. „So kann es durchaus sein, dass es in einigen Regionen jahrelang keinen Schnee mehr gibt, unterbrochen von einem Starkschneefall-Ereignis im Rekordbereich.“

Der Telegram-Kanal, der das Foto zuerst verbreitete, heißt „Ken Jebsen – Aufklärung und Information“. Der ehemalige Radiomoderator und bekannte Verschwörungstheoretiker Ken Jebsen distanzierte sich von dem Kanal in der Vergangenheit – für eine Anfrage war der Kanal wegen fehlender Kontaktdaten für uns nicht zu erreichen. Es ist nicht das erste Mal, dass dort suggeriert wird, extreme Wetterereignisse widersprächen dem Klimawandel. Mal argumentiert der Kanal mit extremen Hochwassern, mal mit milden Wintern in der Vergangenheit. Warum diese Argumente nicht aufgehen, haben wir mehrfach berichtet

Redigatur: Uschi Jonas, Gabriele Scherndl

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • „Was wir heute über das Extremwetter in Deutschland wissen, Extremwetterkongress, Deutscher Wetterdienst, 2021: Link (PDF, archiviert)
  • „Bewirkt der Klimawandel die heftigen Regenfälle?“ Science Media Center, 16. Juli 2021: Link (archiviert)
  • „Früher war mehr Schnee – oder doch nicht?“ Deutscher Wetterdienst, 21. Dezember 2022: Link (archiviert)
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