Hunderte Kohlekraftwerke und Millionen aus Deutschland: Was an diesen Zahlen über China dran ist
Laut Beiträgen in Sozialen Netzen soll China hunderte Kohlekraftwerke bauen und gleichzeitig Entwicklungshilfe aus Deutschland bekommen. Doch das stimmt nur zum Teil.

Seit Jahren heißt es im Netz, dass Deutschland Entwicklungshilfe an China zahlen würde, während das Land hunderte Kohlekraftwerke baue. Insbesondere ein Sharepic hält sich hartnäckig. Dort heißt es: „China baut 368 Kohlekraftwerke und plant weitere 803. Deutschland zahlt jährlich 630 Millionen Euro Entwicklungshilfe an China.“ Bereits 2019 verbreitete sich die Behauptung auf Facebook, sie wurde seitdem in vielen Beiträgen wiederholt. Auch im April 2025 wurde ein Beitrag auf X mit der Behauptung über eintausend mal geteilt.

Zahlen über Kohlekraftwerke kursieren seit zehn Jahren im Netz
Eine Google-Suche nach Teilen der Behauptung führte uns zu einem Artikel des für Klimawandelleugnung bekannten Institutes Eike. Eike schrieb bereits im Jahr 2015, „China errichtet 368 Kraftwerke und plant weitere 803“. Das Pseudo-Institut übernahm die Zahlen aus einem Artikel der britischen Sunday Times vom 2. Dezember 2015. Darin berichtet der Journalist Ben Webster über eine Veröffentlichung des „Climate Action Tracker“. Das ist ein NGO-Projekt, das über Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels berichtet.
In dem Bericht geht es darum, wie sich die Energieplanung verschiedener Länder auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens auswirken könnte. Webster schrieb mit Verweis auf die Veröffentlichung: „China baut 368 Kohlekraftwerke und plant weitere 803“. In dem Bericht stehen diese Zahlen jedoch nicht.
Daraus geht lediglich hervor, dass China 2014 Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 895 Gigawatt (GW) betrieb. Für die darauffolgenden Jahre seien 1.171 weitere Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 712 GW geplant, heißt es in der Tabelle. Addiert man die Zahlen, die Webster nennt, kommt man auf 1.171. Woher er jedoch die Unterscheidung zwischen geplanten und im Bau befindlichen Kraftwerken zieht, wissen wir nicht. Auf eine Anfrage reagierte er bis zum Erscheinen dieses Faktenchecks nicht.

Wir haben das New Climate Institut kontaktiert, das hinter dem Climate Action Tracker steht. Von dort schrieb uns Hanna Fekete, die an der Veröffentlichung mitwirkte: „Ich bin nicht sicher, woher diese Aufteilung kommt. In unserer Analyse finde ich sie nicht.“ Victoria Fischdick, ebenfalls vom New Climate Institut, schrieb uns darüber hinaus: „Es kann sein, dass der Journalist der Times einen genaueren Blick in die Daten werfen konnte.“ Sowohl Fischdick als auch Fekete weisen jedoch darauf hin, dass die Zahlen veraltet sind und nicht mehr benutzt werden sollten.
Chinas andauernde Abhängigkeit vom Kohlestrom
Der Global Energy Monitor veröffentlichte im April 2025 einen Bericht, aus dem hervorgeht, dass der Zubau von Kohlekraftwerken in China schwankt.

Nach 2015 sank die Zahl der geplanten und in Bau befindlichen Kraftwerke, steigt aber seit 2019 wieder deutlich an. 2024 befanden sich in China Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von fast 200 Gigawatt im Bau, was sogar den Stand von 2015 übertraf, die Menge der Kapazität in Planung ist hingegen gesunken.
Zwischenfazit: Die Zahlen, die in Sozialen Netzwerken kursieren, sind mehr als zehn Jahre alt. Richtig ist jedoch, dass China viele Kohlekraftwerke baut und die Tendenz seit 2019 wieder steigt. Wie viele Kraftwerke es genau sind, geht aus den aktuellen Daten nicht mehr hervor. Die relevantere Zahl ist jedoch ohnehin, wie viel Kapazität geschaffen wird, weil daraus direkt die Menge an jährlich verbrannter Kohle resultiert. China baut und plant in Summe mehr Kohlekraftwerkskapazitäten als der Rest der Welt zusammen.
Angebliche 630 Millionen Euro Entwicklungshilfe pro Jahr an China stammen aus einem Welt-Artikel von 2019
Wie sieht es beim zweiten Teil der Behauptung aus, wonach Deutschland jährlich 630 Millionen Euro Entwicklungshilfe an China zahle?
Die exakte Summe findet sich in einem Artikel der Welt von 2019, der sich auf den jährlichen Bericht der Welthungerhilfe zur deutschen Entwicklungspolitik beruft. Für die deutsche Entwicklungshilfe ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zuständig. Das beantwortet die Frage, ob China Entwicklungshilfe von Deutschland erhält, aktuell in einem FAQ zum Thema mit „nein“.
Seit 2010 gibt es laut dem BMZ keine bilaterale Entwicklungszusammenarbeit – also etwa kostenlose Beratung, vergünstigte Kredite oder direkte finanzielle Unterstützung – zwischen Deutschland und China mehr. „Die noch bestehende Zusammenarbeit des BMZ mit China konzentriert sich darauf, dass beide Länder gemeinsam sogenannte globale öffentliche Güter bereitstellen und schützen wollen, wie etwa Klimaschutz und Gesundheit, und beinhaltet vereinzelt auch Kooperationen zugunsten von Drittländern“, so das Ministerium. An anderer Stelle schreibt das BMZ, es gebe keine „klassische“ bilaterale Entwicklungszusammenarbeit, sondern lediglich „punktuelle Mittelzusagen“.
Studierende, Kredite, Drittstaaten-Projekte: Auf welchen Wegen Geld nach China fließt
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verzeichnete 2023 jedoch über 446 Millionen Euro an Entwicklungsunterstützung, die von Deutschland an China gezahlt wurde. Wie passt das zusammen? Das liegt zunächst einmal daran, dass die OECD eigene Kriterien für die Definition von Entwicklungshilfe entwickelt hat, die sich von der des BMZ unterscheiden, wie ein Sprecher auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck mitteilt.
Der größte Teil der von der OECD als Entwicklungshilfe anerkannten Gelder sind laut BMZ Kosten für chinesische Studierende in Deutschland. Ausländische Studierende zahlen an staatlichen Hochschulen in Deutschland in der Regel keine Studiengebühren. Die Bundesländer können die Kosten für Studienplätze teilweise als Entwicklungsleistungen geltend machen. Laut einem Sprecher des Ministeriums beliefen sich diese Kosten für chinesische Studierende 2023 auf 312 Millionen Euro.
Ein weiterer Teil der Gelder, die die OECD laut BMZ bei ihrer Berechnung einbezieht, fließt von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Form von Krediten an China. Die KfW gehört dem Bund und vergibt Kredite zum Beispiel an Studierende, mittelständische Unternehmen, aber auch an Staaten. Dabei unterscheidet die Bank zwischen Krediten, die teilweise aus dem Haushalt finanziert werden, und Förderkrediten, die aus dem Eigenkapital der KfW vergeben werden. An China flossen Stand 2023 laut BMZ ausschließlich Förderkredite, also Gelder, die mit Zinsen zurückgezahlt werden müssen. 2025 ist das letzte Jahr, in dem China solche Kredite beantragen kann, und bis dahin können sie nur für Klimaschutzprojekte vergeben werden. Laut dem Transparenzportal der KfW vergab die Bank zuletzt im Jahr 2022 Kredite an China.
Dazu kommen vier Projekte, die die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchführt. In einem davon führt Deutschland gemeinsam mit China als Partnerland Entwicklungszusammenarbeit in Drittländern durch. Drei weitere Projekte betreffen die Bereiche Rechtsstaatlichkeit und nachhaltige Entwicklung. Sie laufen über mehrere Jahre und haben insgesamt ein Volumen von etwa 19 Millionen Euro.
Daneben erhalten kirchliche Organisationen, die in China Entwicklungsprojekte durchführen, Gelder vom BMZ. In China tätig sind die Katholische Zentralstelle für Globale Entwicklung und die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe. Inhalte dieser Projekte sind beispielsweise Bildung und psychologische Betreuung für Kinder aus Katastrophengebieten oder die Förderung zivilgesellschaftlicher Vereinigungen. Das BMZ betont, dass die kirchlichen Organisationen unabhängig über die Gelder verfügen und Projekte und Zielorte selbstständig auswählen. Die Finanzierung kirchlicher Entwicklungshilfe wurde bereits 1962 beschlossen.
Im Jahr 2023 erhielten die beiden kirchlichen Vereine zusammen knapp 349 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt, wie sich den Einträgen im Lobbyregister (hier und hier) entnehmen lässt. Im selben Jahr initiierten die Organisationen laut dem Transparenzportal des BMZ Projekte in China mit mehrjähriger Projektlaufzeit und einem Gesamtbudget von gut drei Millionen Euro.
Fazit: Deutschland zahlt laut BMZ seit dem Jahr 2010 keine Entwicklungshilfe mehr an China. Übernommen werden jedoch Kosten für chinesische Studierende in Deutschland. China kann nur noch bis Ende 2025 Kredite bei der KfW aufnehmen. Kirchliche Organisationen, die Steuergelder erhalten, arbeiten laut BMZ unabhängig mit dem Land in verschiedenen Projekten zusammen. Einzelne Mittelzusagen für bestimmte Projekte liegen deutlich niedriger als in den Sharepics behauptet. Die OECD berechnet Entwicklungszusammenarbeit nach einer anderen Definition als das BMZ, doch auch diese Summe ist mit gut 482 Millionen im Jahr 2023 niedriger als behauptet.
Redigatur: Gabriele Scherndl, Steffen Kutzner
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Bericht: Climate Action tracker – The Coal Gap, 2015: Link (archiviert)
- Bericht: Clean energy monitor – China – Coal power annual review, 2025: Link
- Häufig gestellte Fragen an das BMZ: Link (archiviert)
- Transparenzportal des BMZ – laufende Projekte in China: Link (archiviert)