Nein, Gregor Gysi, nicht die Hälfte der jungen Portugiesinnen ist arbeitlos
Während seiner Rede auf dem Hannoverschen Parteitag kritisierte Gregor Gysi die sozialen Ungleichheiten in der Europäischen Union. Als Beispiel erwähnte Gysi, Präsident der Partei der Europäischen Linken, verschiedene Fälle von Armut in den südlichen Ländern und stellte dem Publikum folgende Frage: „Warum soll eine junge Portugiesin die EU verteidigen, wenn sie und die Hälfte ihrer Freundinnen arbeitslos sind?“
Dass Portugal zu den europäischen Ländern mit der höchsten Arbeitslosenquote gehört, ist ein Fakt, für den das Statistische Amt der Europäischen Union genug Zahlen bereithält. Nach der Weltwirtschaftskrise von 2008 und der Eurokrise von 2010 explodierte die Arbeitslosenquote in Portugal von 8,8 Prozent im Jahr 2008 auf ein Rekordniveau von 16,4 Prozent im Jahr 2013. Bei den unter 25-Jährigen war die Lage noch schlimmer: Im Jahr 2013 waren 38,1 Prozent von ihnen arbeitslos.
Wie sieht die Lage aber heute aus? Ist die Arbeitslosenquote weiter gestiegen? Und wie entwickelte sich diese Zahl besonders bei den jungen Portugiesinnen, die von Gregor Gysi als Beispiel genannt wurden?
Auch diese Fragen beantworten die jüngsten Statistiken von Eurostat, und sie geben Anlass zu Hoffnung für junge Portugiesen: Die Lage hat sich verbessert.
Die portugiesische Arbeitslosenquote lag im April 2017 bei 9,8 Prozent und lag damit fast im Durchnitt der 9,3 Prozent des Euroraums. Es sind aber trotzdem noch zwei Punkte höher als die Durchschnittsquote der 27 EU-Mitglieder.
Was die Jugendarbeitslosigkeit betrifft, geht es den Portugiesen heute auch etwas besser. Sie beträgt 23,7 Prozent, liegt aber deutlich höher als die 16,6 Prozent des EU-27-Durchschnitts.
Und wie viele jungen Frauen sind nun ohne Job? Tatsächlich sind nicht die Hälfte der Portugiesinnen arbeitslos, sondern ungefähr ein Viertel. Im April 2017 hatten 26,1 Prozent der 15 bis 24-Jährigen Frauen in Portugal keine Arbeit. Wie in den anderen Fällen ist das immer noch höher als die europäische Durchschnittsquote (16 Prozent für die 27 Länder), aber nicht so hoch, wie es das Zitat von Gregor Gysi nahelegt.
Gregor Gysi hat sich auf Anfrage von CORRECTIV nicht geäußert. Sein Büro sagte, er könne in der kommenden Woche antworten.
Fazit: Selbstverständlich kann es sein, dass es irgendwo in Portugal eine junge Frau gibt, deren Hälfte der Freundinnen wie sie selbst arbeitslos ist. Aber dieses Beispiel ist nicht repräsentativ für die aktuelle Lage in Portugal.