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Mythen um Krebs in Israel

Der Artikel eines alternativmedizinischen Blogs behauptet, dass nur 152 Personen an Krebs in Israel im Jahr 2004 gestorben sind. Der Grund dafür sei, dass jüdische Israelis sich keiner Chemotherapie unterziehen. Diese medikamentöse Therapie sei sogar „von den Zionisten für die Erkrankung ihrer Feinde ersonnen worden“. Unser Faktencheck

von Jacques Pezet

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Von Facebook wird uns ein Artikel der deutschsprachigen Website „Liebe-isst-Leben“ gemeldet, der aktuell offensichtlich viel Aufmerksamkeit erregt. Da schreibt der anonyme Autor „Allure“ einen Artikel mit dem Titel: „Schon gewußt? – dass Krebs in Israel eine Ausnahmeerscheinung ist ? Warum das so ist..“ Darin argumentiert er, „dass die Krebserkrankungen von heute (im Gegensatz zu den sehr seltenen Krebserkrankungen von vor 100 Jahren) durch vielfältige Attacken entstehen, die von den Zionisten für die Erkrankung ihrer Feinde ersonnen wurden“.

Der Artikel ist nicht neu. Auf „Liebe-isst-Leben“ wurde er schon am 16. Februar 2016 veröffentlicht. Die Analyse des Autors besteht  aus einer Mischung der Thesen des Blogs „Gesundheit Berlin“ und der „Aussagen von Dr. Hamer“. Ryke Geerd Hamer war ein deutscher Arzt und selbsternannter Wunderheiler, der 1981 die pseudomedizinische „Germanische Neue Medizin“ erfand. Im Jahr 1986 wurde ihm seine Approbation entzogen. 2016 erhielt er den österreichischen Negativpreis „das Goldene Brett“ wegen „seiner gefährlichen medizinischen Ansichten“ und seiner „antisemitischen Verschwörungstheorien“. Hamer war der Meinung, dass „die Juden die Chemo propagiert haben (für Nichtjuden, versteht sich)“, um sie zu vernichten. Deswegen würden sie die Chemo „aber selbst nicht nehmen“.

Außerdem kann man noch im Impressum von „Liebe-isst-Leben“ erfahren, dass sie in Uruguay vom Impressservice DEURU (ein Akronym für „Die Einfachste Umgehung Rechtlichen Unfugs!“) registriert ist. Dieser Dienst bietet seinen Nutzern Anonymität und verspricht, mit der Webseite „vor dem neugierigen Unrechtssystem“ zu schützen, „damit Sie Ihre freie Meinung, ohne Angst vor Repressalien, verbreiten können“.

Als Hauptargument für seine antisemitische Theorie nennt der Autor von „Liebe-isst-Leben“ die rückläufige Anzahl der Krebstoten in Israel. Laut seines Textes sollen „im Jahr 2003 160 Menschen an Krebs“ gestorben sein. Im Jahr 2004 sinkt die Zahl auf 152 Menschen.

Und es geht weiter: Der Autor kalkuliert sogar die Zahlen für die nächsten Jahre: „Wenn der Rückgang der Krebstoten sich wie von 2003 auf 2005 fortsetzt, gibt es 2009 in Israel nur noch 118 Krebstote, in 2013 noch 96, in 2020 nur noch 78“ und rechnet sogar die tägliche Zahl von Krebstoten: „Die Gesamtzahl von 152 Krebstoten in 366 Tagen des Jahres 2004 (0,4 pro Tag) ist sehr gering.“ 

WHO: 9.280 Israelis starben an Krebs im Jahr 2004

Das Problem mit diesen Zahlen ist, dass sie falsch zitiert sind. Laut den Statistiken der Weltgesundheitsorganisation sind so viele Menschen an Krebs in Israel gestorben:

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Anzahl der Krebstoten in Israel. Quelle: Weltgesundheitsorganistion (WHO)

Es ist dann völlig falsch zu schreiben, dass  es in Israel im Jahr 2004 nur 152 Krebstote gab. Mit 9.280 Krebstodesopfern ist diese Zahl 61 Mal größer.

Aber wie sieht die Lage von Israel im Vergleich mit anderen Ländern aus? Laut der Indikatoren der OECD ist die Krebssterblichkeit in Israel niedriger als in vielen anderen Ländern (darunter Deutschland, Frankreich oder die Vereinigten Staaten). Sie ist aber nicht die geringste in der Welt. Wie man auf dieser Graphik der OECD sehen kann, sind die Quoten in Japan, der Schweiz, Finnland, der Türkei, Südafrika und südamerikanischen Ländern wie Brazilien oder Mexiko geringer als in Israel. 

Außerdem: Krebserkrankungen werden auch mit Chemotherapien in Israel behandelt. Auch Juden werden so therapiert. Falls ein Beispiel nötig ist, kann man die Geschichte eines jungen ultra-orthodoxen Israeli verfolgen, der 2015 in Würde – ohne Chemotherapie – sterben wollte. Wie die „Times of Israel“ damals berichtet hatte, wurde er von einem Familiengericht gegen seinen Willen und den seiner Familie dazu gezwungen, zurück ins Krankenhaus zu gehen, um sich seiner medizinische Behandlung weiter zu unterziehen. Nach einem Gespräch mit dem Rabbi David Grossman akzeptiert der junge Mann schließlich, die Chemotherapie zu machen.  

Ein Fehler der israelischen Botschaft in Deutschland

Aber wie sind diese Blogs auf 152 Krebstoten gekommen? Wie die Esoterik-kritische Website Psiram bereits recherchiert hat, zitierte Dr. Hamer in einem offenen Brief einen Newsletter der israelischen Botschaft in Deutschland aus dem Jahr 2008.

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Screenshot des offenen Briefs vom Dr. Hamer vom 6.07.2009

Der Newsletter, auf den sich Dr. Hamer bezieht, ist keine Erfindung. Man findet ihn tatsächlich im Archiv der israelischen Botschaft in Deutschland.

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Screenshot des Newsletters der israelischen Botschaft vom 29.10.2008

In der Tat konnten damals die Abonnenten des Newsletters den folgenden Satz lesen: „So starben etwa im Jahr 2004 152 Menschen in Israel an Krebs; 2003 waren es 160“.  Wie wir schon nachgewiesen haben, ist diese Zahl falsch. Im Januar 2010 korrigierte auch die israelische Botschaft  deshalb in ihrem Newsletter: Versehentlich sei die Angabe „pro 100 000 Menschen“ bei der Zusammenfassung eines Artikels von der israelischen Zeitung „Haaretz“ weggelassen worden.

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Screenshot des Newsletters der israelischen Botschaft in Deutschland vom 22.01.2010

Der Artikel von „Haaretz“ existiert ebenfalls: Er wurde am 22. Oktober 2008 unter dem Titel „Number of New Cases of Cancer Drops in Israel“ (auf Deutsch: „Die Anzahl von neuen Krebsfällen sinkt in Israel“) veröffentlicht. Damals schrieb der Redakteur Yuval Azoulay: „Die Anzahl von  krebsbedingten Todesfällen ist auch in den letzten Jahren gesunken: 152 von 100.000 Israelis starben an Krebs im Jahr 2004, eine leicht geringere Zahl im Vergleich zu den 160 Todesfällen des vorherigen Jahres“.

Dass die von der israelischen Botschaft falsch wiederaufgenommene Zahl von 152 Krebstoten irgendwie von Dr. Hamer und den anderen Verschwörungstheoretikern als wahr genommen und die Korrektur ignoriert wurde, erzählt einiges zur Methode solcher Gruppen. Die Größenordnung scheint nicht wichtig zu sein, solange sie dubiose Thesen unterstützt. 

Fazit: Nein, die Anzahl der Krebstoten in Israel ist nicht so gering, wie die Website „Liebe-isst-Leben“ oder Verschwörungstheoretiker wie Dr. Hamer berichten. Die Genese dieser dubiosen Theorie erklärt sich durch einen Fehler der israelischen Botschaft in Deutschland im Jahr 2008, der später korrigiert wurde.