Gerüchtekiller

Gerüchtekiller #2: Darf man Glühweintassen trotz Pfand vom Weihnachtsmarkt mitnehmen?

Glühweintassen auf Weihnachtsmärkten werden üblicherweise jedes Jahr neu gestaltet, manche sind begehrte Sammlerobjekte. Viele stecken sie einfach ein – aber ist das erlaubt? Und was droht, wenn man erwischt wird?

von Steffen Kutzner

Titelbild Glühwein
Beliebte Sammlerobjekte: Besucherinnen und Besucher nehmen Glühweintassen vom Weihnachtsmarkt einfach mit. Legal ist das nicht. Aber auch nicht gefährlich. (Symbolbild: Mario Cvitkovic / Pixabay)

In unserer Rubrik „Gerüchtekiller“ gehen wir hartnäckigem Halbwissen und nicht totzukriegenden Gerüchten nach. Das hier ist Nummer 2.

Alkohol ist der Urteilsfähigkeit massiv abträglich, besonders wenn er heiß und süß ist. Vielleicht ist das einer der Hauptgründe, weshalb viele Menschen nach ein paar Tassen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt moralische Bedenken über Bord werfen und die Tasse kurzerhand einstecken. Immerhin war der Glühwein nicht billig und der Pfand recht hoch, da wird man das hübsch bemalte Tässchen ja wohl mitnehmen dürfen! Oder?

Nein. 

Juristisch gesehen handelt es sich zwar nicht um Diebstahl, wie uns der Strafrechtsanwalt Jürgen Möthrath aus Worms erklärt, aber immerhin um eine Unterschlagung geringwertiger Sachen nach § 248a StGB. Die Wertgrenze liege hier bei 50 Euro, schreibt Möthrath. Selbst sehr aufwändig gestaltete Tassen erreichen diesen Wert nicht.

Eine Unterschlagung ist es laut Möthrath deshalb, weil die Tasse der Kundschaft gegen Pfand überlassen wird, wenn auch nur vorübergehend. Damit hätte man eigentlich die Pflicht, darauf aufzupassen und sie zurückzugeben. Auf Unterschlagung steht eine Geldstrafe oder sogar mehrere Jahre Gefängnis.

Strafrechtsanwalt hält Konsequenzen nicht für realistisch

Aber mit welchen juristischen Konsequenzen muss man rechnen, falls man erwischt wird?

Die Antwort: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit passiert überhaupt nichts. Möthrath kann sich an keinen einzigen Fall erinnern, bei dem sich jemand wegen einer eingesteckten Glühweintasse juristisch verantworten musste.

Er erklärt dazu: „Hintergrund ist, dass der Budenbetreiber hier selbst aktiv werden muss. Es reicht nicht aus, nur Strafanzeige zu erstatten, sondern es bedarf eines Strafantrages. Berücksichtigt man dann, dass ein solches Verfahren entweder wegen Geringfügigkeit eingestellt oder der Budenbetreiber auf den Privatklageweg verwiesen wird, stellt man hier in der Regel fest, ‚außer Spesen nichts gewesen‘.“ 

Angefragte Städte befürworten oder dulden Tassenklau 

Wir haben bei einer Reihe deutscher Städte angefragt, welche Richtlinien sie haben, was die Mitnahme der Tassen angeht – und die Antworten waren einhellig. Hier ein paar O-Töne:

Frankfurt/Main: „Die Budenbetreiber werden nicht dazu angehalten, zu verhindern, dass die Tassen mitgenommen werden. Wir sprechen da eher von einer ‚allgemeinen Kulanz‘ bezüglich der Tassenmitnahme.“ 

Dortmund: „Die Tasse ist ein beliebtes Sammlermotiv und wir freuen uns über die Beliebtheit der Tradition, dass unsere Besucher die Tassen mit in ihr Zuhause nehmen.“

Leipzig: „Die Tasse ist primär als Pfandtasse gedacht – wir wissen aber und gestalten die auch so, dass diese als Andenken/Souvenir mitgenommen werden kann und soll.“

Auch wenn nicht das SEK anrückt, wenn man eine Tasse klaut, ist man rein juristisch gesehen nicht vor einer Strafe gefeit. Zum Glück gibt es eine Alternative: Man fragt am Stand, ob man eine Tasse mitnehmen darf. Oder man kauft einfach eine der Tassen. Das entlastet die eigene Moral und freut die Budenbetreiberinnen und -betreiber. Immerhin ist ja die Zeit der Nächstenliebe.

Redigatur: Viktor Marinov, Gabriele Scherndl