Hintergrund

Erst hat er Hass geschürt – dann hat er dem Hass Waffen verkauft

Mario R. hat 2016 über die Seite migrantenschreck.ru Waffen aus Ungarn nach Deutschland verkauft. Das Geschäft begann er mit dem Geld, das er beim Compact-Magazin verdiente. Das Landgericht Berlin verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten.

von Anna Mayr

Foto: Alexander Andrews auf Unsplash
Foto: Alexander Andrews auf Unsplash

Alles an Mario Rönsch sieht verblichen aus. Er hat keinen Gesichtsausdruck, kein Alter, das sich schätzen ließe. Es könnte an den knapp zehn Monaten Untersuchungshaft liegen, die er hinter sich hat. Oder daran, dass er die Realität schon lange ausgeblendet hat – und sich selbst aus der Realität: Rönsch hat sich eine eigene Welt ausgedacht, eine Welt, in der jeder Migrant ein Straftäter war und jeder Deutsche in Gefahr. Darüber hat er Texte geschrieben, mit Lügen und Übertreibungen. Er hätte wahrscheinlich so weitermachen können. Wenn er nicht beschlossen hätte, aus seiner Scheinwelt echtes Geld zu machen.

Er würde gerne etwas sagen, aber er darf nicht. Also schreibt er: Notizen für seinen Verteidiger. Schiebt sie ihm unter die Nase. Wenn er nicht schreibt, hält er die Hände gefaltet auf dem Tisch, als würde er beten.

Der Angeklagte vor dem Landgericht Berlin ist einer der Köpfe hinter Pegida, einer der führenden Hass-und-Hetze-Händler in Deutschland. Einer, der sich Falschmeldungen ausdenkt und die Internetseite der Bundesregierung lahmlegen wollte. Und einer, der Waffen verkauft hat an Menschen, die keine Waffen hätten kaufen dürfen. Hartgummigeschosse, die Menschen töten können.

Er tat es in einer Zeit, in der immer mehr Deutsche Flüchtlinge und andere Migranten als „Invasoren” sehen, vor denen man sich schützen müsse.

Aus Angst lässt sich Geld machen

Die Figur Mario Rönsch veranschaulicht zum einen, wie unmittelbar sich fabrizierte Angst in Geld verwandeln lässt. Zum anderen wurde im Zuge des Prozesses deutlich, wie schwer sich die Behörden taten, einen Kriminellen vom rechten Rand zu stellen – und wie es mithilfe hartnäckiger Zivilisten schließlich doch gelang.

Für die meisten Hersteller von Desinformation ist Hass nicht nur Selbstzweck – es ist ein Geschäft.

Internetseiten, die mit Meldungen über Gewalttaten Millionen User anlocken, bringen Geld: über Werbeanzeigen und Spenden. Fast alle Seiten, die Verschwörungstheorien und Falschmeldungen verbreiten, bitten ihre Besucher mit Pop-Ups um Geld. Sven Liebich verkauft über die Seite „Politaufkleber“ Sticker gegen den Migrationspakt. Die Seite Shirtzshop wirbt mit „politisch inkorrekten T-Shirts ab 6,66 Euro“. Es sind Firmen, die Hetze in Geld umwandeln.

Zahlungen von Compact und Kopp-Verlag machten das Geschäft möglich

Mario Rönsch hat sehr gut damit verdient. Seiner Autoren- und Gesellschafterkarriere beim Compact-Magazin gingen laut Recherchen der Süddeutschen Zeitung etliche Anzeigen, gescheiterte Unternehmensgründungen und eine Insolvenz voraus. Als Gesellschafter beim Compact-Magazin bekam er regelmäßig tausende Euro überwiesen. Das geht aus den Kontoauszügen hervor, die im Gericht verlesen wurden. Im Januar 2016 überwies das Compact-Magazin ihm fast 40.000 Euro, im Februar 36.000 Euro, im März fast 10.000 Euro. Insgesamt flossen zwischen Januar und November 2016 mehr als 110.000 Euro von Compact-Magazin und Kopp-Verlag auf sein Konto.

Auf der Website anonymousnews.ru wiederum erreichte Rönsch hunderttausende Leser: eine Seite, die mit Falschmeldungen und Verschwörungstheorien Stimmung gegen Flüchtlinge machte. Die Posts, die dort veröffentlicht wurden, schürten Hass: auf den Islam, auf Flüchtlinge, auf Linke und Politiker. Rönsch schaffte sich so quasi seinen eigenen Markt.

Er erzeugte bei seinen Lesern das Gefühl, dass sie sich Sorgen um ihre Sicherheit in Deutschland machen müssten. Und für die Sorge, die er diagnostiziert und selbst vergrößert hatte, verkaufte er auch gleich das Gegenmittel. Ob er das beim Start seiner „Nachrichten“-Seite selbst schon so plante, lässt sich nicht beweisen.

Anfang Januar 2016 war Mario R. nach Ungarn umgezogen. Seiner Aussage zufolge um dort mit seiner Verlobten zusammenzuleben. In seiner Einlassung vor Gericht, die der Anwalt vorlas, gab Rönsch zu, dass er sich durch die Zahlungen von Compact und Kopp-Verlag die erste Lieferung Waffen leisten konnte.

Für die Verlobte nach Budapest gezogen?

In der Nähe seiner Wohnung in Budapest, nicht weit von der Donau entfernt gelegen, habe er die Revolver im Schaufenster gesehen. Daraufhin überlegte er, auch in den Waffenverkauf einzusteigen – in Ungarn sei der Markt jedoch „gesättigt“ gewesen.

Daraufhin sei er auf die Firma Keserü zugegangen, die die Waffen herstellte. Es gab einen Termin mit dem Chef und dem Produktionschef der Firma. Insgesamt will er nach diesem Termin 220 Alarm- und Signalwaffen dort bestellt haben. Die Rechnung bezahlte er in bar.

Rönsch baute dann die Website migrantenschreck.ru auf, um die Waffen als „Antifaschreck“ und „Migrantenschreck“ nach Deutschland zu verkaufen. Dort bewarb er sie unter anderem als „Selbstverteidigung“ gegen „Ficki-Ficki-Fachkräfte“, wie Motherboard schreibt. Bis Januar 2017 sollen Recherchen von Zeit Online zufolge im Shop Bestellungen im Wert von insgesamt 150.000 Euro angekommen sein.

Mario R. gab die Tat vor Gericht zwar zu. Aber er glaubte nicht, etwas falsch gemacht zu haben. Denn die Waffen, die er verkaufte, sind in Ungarn erlaubt. Man darf sie dort kaufen und verkaufen, ohne besondere Erlaubnis. Er habe sogar einen Anwalt gefragt, ob der Versand nach Deutschland illegal sei.

Gummigeschosse können töten

Der E-Mail-Verkehr zwischen diesem Anwalt und der Waffenbehörde in Berlin wurde ebenfalls vor Gericht verlesen. In einer Mail schrieb eine Behördenmitarbeiterin ganz klar, dass der Versand nach Deutschland verboten sei, wenn der Empfänger keine Erlaubnis habe, eine solche Waffe zu besitzen. Was der Anwalt Rönsch danach berichtete, ist nicht bekannt. Aber Rönsch schrieb in die AGB von migrantenschreck.ru, dass die Empfänger für eine Genehmigung selbst verantwortlich seien.

In Deutschland sind die Waffen, die Rönsch verkaufte, verboten. Zwar feuern sie nur Gummigeschosse ab, die nicht besonders weit fliegen. Aus kurzer Distanz können sie allerdings tödlich sein. Das bestätigten ein Rechtsmediziner und ein Waffenexperte vor Gericht. In Versuchen, die ein Sachverständiger erklärte, durchschlugen die Geschosse auf fünf Meter Distanz eine Ziegenhaut und eine Schicht, die einen Schläfenknochen simulierte.

Wie perfide Rönsch sein Geschäft betrieb, zeigt sich in einem Weihnachtsbrief an seine Kunden, den die Ermittler fanden. „Sehr geehrte Damen und Herren“, heißt es darin, „das Jahresende ist die Zeit zum innehalten. Für uns ist es an der Zeit, danke zu sagen.“ Und dann: „Machen Sie ihren Liebsten eine ganz besondere Freude, verschenken Sie ein Stück Sicherheit.“

Mit Sicherheit sind Revolver gemeint.

Online-Aktivisten ließen ihn auffliegen

Im September 2016 veränderte der Waffenhersteller Keserü seine Website – das kann man im Online-Archiv der Website nachvollziehen. Auf Deutsch, Englisch und Ungarisch stehen dort nun in roter Farbe Hinweise:

Sehr geehrte Kunden! Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass der Besitz der von uns vertriebenen Waffen in Ungarn erlaubt ist! Falls Sie die Waffen ins Ausland ausführen möchten, müssen Sie sich in jedem Fall bei den zuständigen Behörden über die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des betroffenen Landes erkundigen!

Im Prozess hatten auch drei Polizeibeamte ausgesagt. Obwohl seit Mai 2016 zu der Seite migrantenschreck.ru ermittelt wurde, passierte nicht viel. Die Beamten beobachteten die Seite – aber da sie in Russland registriert war, fanden sie keinen Weg, den Betreiber ausfindig zu machen. Erst zwei Aktivisten ließen Rönsch auffliegen – mit einer einfachen Google-Suche.

Sie fanden auf seiner Seite ein Dokument mit Zugangsdaten zu den Portalen, in denen die Adressen von mehreren hundert Waffenbestellern gespeichert waren. Sie luden dutzende Gigabyte Daten herunter, teilten sie mit Journalisten der Süddeutschen Zeitung und von Motherboard und gaben sie auch an das LKA weiter.

BRD-Regime sei nicht für ihn zuständig

Im Prozess konnten sich beide Polizisten, die an den Ermittlungen beteiligt waren, kaum daran erinnern, was da überhaupt bei ihren Ermittlungen herausgekommen war. Einer erzählte von einer Postkarte von den Bahamas, die Rönsch geschickt haben sollte – und antwortete auf jede dritte Frage des Richters mit: „Ich weiß es nicht.“ Ein anderer lächelte Rönsch kurz zu, als er sich auf den Zeugenstuhl setzte und beschrieb die politische Haltung des Angeklagten als „radikal” und „unzufrieden mit dem System”.

Erst im März 2018 wurde Rönsch in seiner Wohnung in Ungarn von lokalen Polizisten festgenommen. Zwei deutsche Beamte waren dabei und flogen mit Rönsch zurück nach Deutschland. Eigentlich durften sie nur im Flur und in der Küche stehen, die Hausdurchsuchung war Sache der Ungarn. Aber bei der Festnahme, daran erinnerten sich beide Polizisten, habe Rönsch gerufen, dass das BRD-Regime nicht für ihn zuständig sei.

Die Richter nahmen diesen Punkt gewissermaßen in ihr Urteil auf: Sie erkannten an, dass die Rechtslage nicht ganz einfach sei. Da Rönsch allerdings gewusst habe, dass die Waffen in Deutschland nicht legal sind, habe er sich der Anklage des illegalen Schusswaffenhandels schuldig gemacht.

Nach der Festnahme von Mario Rönsch erschienen lange Zeit keine Texte mehr auf anonymousnews.ru. Bis er seine Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten antritt, zieht Mario Rönsch zurück nach Erfurt.