Satire

Warum die „Satire“ des „Berliner Express“ für wahr gehalten wird

Der „Berliner Express“ bezeichnet sich als „Online-Satire-Magazin“. Ein aktuelles Beispiel zeigt, wie leicht dessen Artikel für wahr gehalten werden können – und für Stimmungsmache verwendet werden.

von Till Eckert

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Der „Berliner Express“, eine „Online-Satire-Seite“. Foto: © Ivo Mayr / CORRECTIV

Satire bedient sich oft realer Nachrichtenmeldungen oder Begebenheiten, überspitzt sie und zieht sie für eine neue Meldung ins Lächerliche. In diesem Beispiel des Postillon wird aufgrund der Debatte um Stickoxide durch Dieselfahrzeuge etwa behauptet, die Bundesregierung plane, „Schockbilder“ an ihnen anzubringen, ähnlich solchen auf Zigarettenschachteln. Es ist ein Seitenhieb an die Politik, der aber klar als Satire erkennbar ist – die Regierung würde so etwas wohl nie wirklich fordern.

Problematisch wird es, wenn solch eine Meldung von vielen für wahr gehalten wird – und sogar politische Parteien sie ohne Hinweis darauf, dass sie nicht wahr ist, verbreiten. Das geschieht gerade mit einem Artikel der Online-Satire-Seite Berliner Express vom 21. März.

Darin wird behauptet, dass Kommunen eine sogenannte „Flüchtlingssteuer“ von „zwischen fünfzehn und vierzig Euro pro Monat“ erheben wollten. Damit solle die „Reduktion der Bundesmittel“ für Integrationsarbeit mit geflüchteten Menschen kompensiert werden. Der Artikel wurde bisher mehr als 2.142 Mal bei Facebook geteilt.

Überschrift und Teaser des Artikels de „Berliner Express“. Screenshot: CORRECTIV

Obwohl in der Über-uns-Rubrik des „Berliner Express“ erklärt wird, dass es sich um „Online-Satire“ handele und die Artikel größtenteils „völlig frei erfunden“ seien, interpretieren viele den Artikel offenbar als echte Meldung. So teilen sie nicht nur Facebook-Seiten ohne einen Hinweis auf Satire, auch der Kurpfälzer AfD-Gemeindeverband verbreitet sie über seinen Account. Der rechte Blog Abakus.News greift die Meldung ebenfalls auf, übernimmt ganze Textpassagen und suggeriert, sie sei real.

Die AfD Kurpfalz teilt die Satire ohne Hinweis auf ihrer Seite, 25 Menschen reagieren mit einem wütenden Smiley, 19 teilen sie weiter. Screenshot: CORRECTIV

Realer Hintergrund macht die Meldung glaubhafter

Hintergrund der Satire-Meldung ist wohl der von vielen Seiten kritisierte Eckpunktebeschluss des Bundeshaushalts 2020 und der Finanzplan 2019 bis 2023, den das Finanzministerium im März veröffentlicht hat (PDF). Daraus geht unter anderem hervor, dass die Zuschüsse des Bundes für Asylbewerber an die Länder gekürzt werden sollen, wogegen sich die 16 Ministerpräsidenten der Länder einstimmig aussprachen.

Kommunen fürchten, dass sie nun, wo sie weniger Bundesmittel erhalten könnten, auf hohen Kosten sitzen bleiben könnten. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), sagte dazu RP Online: „Wer den Kommunen die Erstattung der flüchtlingsbedingten Kosten der Unterkunft streichen will, provoziert Steuererhöhungen in den Kommunen wegen der Flüchtlinge – und zündelt damit an dem Konflikt, den wir gerade mühsam befrieden konnten.“ Doch Laschets Aussage ist zum jetzigen Zeitpunkt nichts als Spekulation – es gibt keine Pläne über eine mögliche Steuererhöhung in Kommunen.

Auch wenn Humor im Auge des Betrachters liegt, wird deutlich, dass diese „Satire“ nicht wirklich komisch ist oder einen besonderen Unterhaltungswert bietet: Im Gegenteil handelt es sich beim Haushalt und der Finanzierung anerkannter Asylbewerber um eine Debatte, die die Lebensqualität Tausender Menschen unmittelbar beeinflusst. Das Beispiel zeigt gut: Nur weil „Satire“ draufsteht, muss es nicht gleich lustig sein.

Lead Stories, eine Faktencheck-Redaktion aus Belgien, hat sich öfter mit solchen Fällen beschäftigt und eine sogenannte Satire Policy veröffentlicht, die regelt, wie sie mit Satire umgeht. Obwohl das Ergebnis am Ende dasselbe ist – die Meldung ist einfach nicht wahr – macht es laut den Kollegen einen gewaltigen Unterschied, ob sie eine Meldung als „Satire“ oder „Falsch“ bewerten.

Warum es laut Lead Stories einen Unterschied macht, wenn Faktenchecker eine Meldung als „Satire“ oder „Falsch“ kennzeichnen. Screenshot: CORRECTIV

Wie CORRECTIV arbeitet auch Lead Stories mit Facebook zusammen. Wenn die Redaktionen eine Nachricht als „Falsch“ einstufen und dies bei der Plattform melden, wird laut Facebook die Reichweite der betroffenen Postings verringert und die Seiten verlieren bei wiederholten Falschmeldungen die Möglichkeit, ihre Beiträge zu monetarisieren oder Anzeigen zu schalten. Bei der Einstufung „Satire“ passiert das nicht. Die Kollegen von Lead Stories kennzeichnen etwa als Satire, wenn die Meldung:

  1. witzig ist,
  2. Menschen oder Ideen kritisiert/bloßstellt/lächerlich macht/verspottet und
  3. eine vernünftige Person das als Witz verstehen würde.

Diese Streitfrage muss sich auch CORRECTIV bei Faktenchecks zu Satire-Meldungen mit enormer Reichweite – wie die aktuelle des „Berliner Express“ – jedes Mal aufs Neue stellen.

Chefredakteur des „Berliner Express“ hat laut Recherchen von t-online.de Verbindungen zu russischen Staatsmedien

Hinter dem „Berliner Express“ steht Marco Maier, der nach Recherchen von t-online.de auf die Philippinen ausgewandert ist und die Seite von dort betreibt.

Das Impressum gleicht dem Impressum des verschwörungstheoretischen Mediums Contra Magazin. Maier ist Chefredakteur beider Medien. Eine weitere Gemeinsamkeit gibt es: Beide sind auf den Seychellen registriert und haben ihren Sitz auf den Philippinen.

Als „befreundete Portale und Partner“ gibt Maier beim Contra Magazin etwa Blogs an, die „für Verschwörungstheorien bekannt sind“, wie t-online.de schreibt. Auch der vom russischen Staat finanzierte Sender RT findet sich als „Kooperationspartner“ darunter.

„Befreundete Portale“ und „Kooperationspartner“, die Marko Maier beim „Contra Magazin“ angibt. Screenshot: CORRECTIV

Maier ist laut t-online.de verantwortlich für etliche gefälschte Politikerzitate, etwa von Sigmar Gabriel (SPD), Claudia Roth (Grüne) – hier ein Faktencheck von CORRECTIV dazu  – oder Jens Spahn (CDU).

Über seine Seite sagte Maier selbst zu t-online.de, „satirische Überspitzung“ sei sein „Hauptziel, aber teils kann man das Ganze direkt als Fake News klassifizieren“.

Als angebliche Nachrichtenagentur, von der die Webseite ihre Satire-Meldungen bezieht, wird „fna“ angegeben. Es steht für „Fake News Agency“.