Hintergrund

„Erste Konferenz der freien Medien“: Wie die AfD rechte Blogger und Identitäre in den Bundestag einlud

Die AfD hat Vertreter alternativer Medien zu einer Konferenz in den Bundestag eingeladen. Die größten Netzwerker der rechten Szene tauschten dort mit Abgeordneten Nummern aus. Ein Treffen unter Freunden – gegen die „Systempresse”. CORRECTIV war da.

von Till Eckert

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Diskussionsrunde zwischen Vertretern der AfD und der selbsternannten „freien Medien“ im AfD-Fraktionssaal im Bundestag. Von links: Udo Schulz (AfD-MdB), Michael Stürzenberger (u.a. „Vereinigung der freien Medien“), Petr Bystron (AfD-MdB), David Berger (u.a. „Vereinigung der freien Medien“). (Foto: Till Eckert © CORRECTIV)

Peter Boehringer schnaubt auf und schiebt sich die Brille zurecht. Der AfD-Politiker aus Schwäbisch Gmünd fixiert über die Sitzreihen des Fraktionssaals einen Mann am Rednerpult. David Berger steht dort, Blogger und offensiver Kritiker des Islams und „gleichgeschalteter“ Medien. Berger berichtet den Anwesenden, wie das Bankkonto seines Vereins geschlossen und das Geld an die Spender zurück überwiesen worden sei. Einen Grund dafür gab es laut Berger nicht: „Kontoauflösungen sind eine Strategie, wie man gegen die freien Medien vorgeht“, sagt er in ruhigem, sachlichem Ton.

„Unglaublich“, murmelt Boehringer und schüttelt verständnislos den Kopf. Der AfD-Politiker hat heute frei. Trotzdem ist er an seinen Arbeitsplatz im Berliner Bundestag gekommen. Für eine ganz besondere Veranstaltung. Böhringer sitzt am Rande des Fraktionssaals mit meterhohen Fenstern, mit ihm etwa ein Dutzend andere Bundestagsabgeordnete der AfD und rund hundert Vertreter der rechten Medienszene. Es geht heute um Input, um Austausch und Vernetzung.

Das Tagesprogramm der „1. Konferenz der freien Medien“. (Screenshot: CORRECTIV)

Das Who is Who der rechten Meinungsmacher

Nur ein kleiner Überblick der geladenen Gäste: Der rechte Publizist Götz Kubitscheck und seine Frau Ellen Kositza; der Blogger Eugen Prinz von PI News (political incorrect); Thomas Böhm und Philipp Beyer, Gründer der rechten Webseite Journalistenwatch; der rechte Aktivist Michael Stürzenberger und der libanesisch-deutsche Regisseur und AfD-Sympathisant Imad Karim; sowie Blogger Jürgen Fritz und der Youtuber Oliver Flesch. Flesch kommt am selben Abend noch in die Nachrichten, weil er bei einem Ausflug in die Berliner Rigaer Straße, die für ihre Hausbesetzer-Szene bekannt ist, von Vermummten verprügelt wird. Flesch hatte sich zuvor mit Messer und Korkenzieher gefilmt. Titel: “Expedition ins Kri*gsgebiet”.

Wer die Namen der Gäste googelt, stellt fest: Das sind Menschen, die mit ihren Artikeln und Videos eine alternative Realität schaffen, Angst und Bedrohung schüren. Die AfD schätzt das anscheinend. Vielleicht, weil sie mit ähnlichen Instrumenten arbeitet. Mit reißerischen Überschriften, mit der Polemisierung und Verzerrung von Tatsachen, mit falschen oder sogar erfundenen Behauptungen, mit post-faktischen Theorien. Viele der Narrative, die von den selbsternannten „freien Medien“ rauf und runter gespielt werden, haben ihren Ursprung bei der AfD. Oder umgekehrt. Begriffe wie „Islamisierung“ oder „Umvolkung“ sind mittlerweile Standardvokabular in dieser Welt.

Die AfD und die „freien Medien“ lernen voneinander. Und heute soll ihre Beziehung weiter gefestigt werden.

„Unglaublich“, wiederholt Boehringer in schwäbischer Abgeklärtheit. Sein Kopf schwenkt wieder ungläubig hin und her. Er und Berger, der Mann am Rednerpult mit den kurzgeschorenen Schläfen und der Fliege um den Hals, haben zwei Gemeinsamkeiten: Beide sind oder waren Blogger und beide vertreten eine extreme Einstellung zum islamischen Glauben. David Berger ist Gründer von Philosophia Perennis, einem Blog, mit dem er „Islamkritik“ verbreitet – wie er es nennt. Andere würden sagen: Berger verbreitet Rassismus. Mit „PP“ schuf er eines der Leitmedien der Neuen Rechten in Deutschland. Tausende lesen seine Texte, Tausende teilen sie – auch der AfD-Politiker Boehringer. Berger ist außerdem Vorsitzender der „Vereinigung der freien Medien“, des Vereins, dessen Konto kürzlich geschlossen worden sei. Um die freie Meinungsäußerung zu unterdrücken – wie er sagt.

Aus dem Einladungsschreiben der AfD. (Screenshot: CORRECTIV)

Berger weiß sich auszudrücken, als er den Anwesenden präsentiert, was eine kostenlose Mitgliedschaft in seinem Verein bringt, den er als eine Art Dachverband versteht. Den Bloggern winken anwaltliche Unterstützung und möglicherweise Fördergelder. Die AfD unterstützt das, in dem sie Berger eine Plattform bietet und die Blogger zusammenbringt – beim „1. Kongress der freien Medien“ in ihrem Fraktionssaal. Namentlich luden vier Bundestagsabgeordnete der Partei ein: Petr Bystron, Nicole Höchst, Uwe Schulz und Udo Hemmelgarn. Sie leiten die heutige Konferenz und werden später in Arbeitsgruppen mit den Bloggern und rechten Influencern einen Plan für eine Zusammenarbeit entwickeln.

Die Blogger äußern ihre Bedürfnisse, die AfD schreibt mit

Der Medienrechts-Anwalt Ralf Höcker erklärt den Anwesenden das Presserecht. Gerade geht es um den Schutz der Intimsphäre. (Foto: © CORRECTIV)

Der Tag beginnt nach einem „herzlichen Willkommen“, wie es im Programm heißt, mit Medienrecht und -Ethik. „Flood them with shit – überschwemmt sie mit Scheiße”, eröffnet Ralf Höcker seinen Vortag. Der Kölner Anwalt, spezialisiert auf Medienrecht, vertritt die, die ihm Aufmerksamkeit verschaffen. In der Vergangenheit waren das Jörg Kachelmann und Heidi Klum. Oder der türkische Präsident Erdogan im Fall Böhmermann. Und immer wieder auch die AfD.

Höcker räuspert sich. „Das hat Steve Bannon einmal über die Medien gesagt: Überschwemmt sie mit Scheiße, um sie unglaubwürdig zu machen.“ Doch Bannons Worte stünden dem entgegen, was Höcker den Anwesenden eigentlich raten wolle. „Das kann nicht Ihr Anspruch sein“, sagt er mahnend. Der Applaus im Fraktionssaal ist verhalten.

Höcker kündigt Beispiele an, in denen die „seriösen Leitmedien“ die Grenzen der journalistischen Ethik und des rechtlich zulässigen überschritten hätten. Die „freien Medien” müssten besser sein, sagt Höcker. „Mein Appell an Sie: Tun Sie es Ihnen nicht nach. Bleiben Sie sauber, seien Sie journalistische Gutmenschen.“ Der Applaus bleibt aus.

Höckers Ansatz: Klagen. Er zählt Fälle auf, in denen die AfD erfolgreich gegen Berichterstattung der „Massenmedien“ geklagt habe, wie hier die etablierte Presse genannt wird. Erstmals erfüllt kräftiger Applaus den Fraktionssaal. Vereinzeltes Gelächter mischt sich hämisch dazwischen. Höcker versucht Mäßigung und Populismus in Einklang zu bringen. Es klingt absurd. Viele der Blogger werden sich noch am selben Tag ihren Texten widmen, mit denen sie ganze Bevölkerungsgruppen pauschal diskriminieren.

Umstrittener Gaststar und seine Fans von der AfD

Man kennt sich: Der Autor Billy Six (mit dem Rücken zur Kamera) ist ein gefragter Gesprächspartner am heutigen Tag, vor allem während der Mittagspause. Im Hintergrund mit rot-grauer Cap zu sehen: Oliver Flesch. (Foto: © CORRECTIV)

Als der hagere Bursche mit der hohen Stirn den Raum im Erdgeschoss betritt, in dem die Teilnehmer gerade asiatische Geflügelspieße und Wraps zu Mittag essen, grüßt er den Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten mit erhobenem Daumen. Billy Six ist ein gefeierter Star der Szene. Journalist. Aktivist. Six schreibt heute nahezu ausschließlich für rechte Medien, unter anderem für Junge Freiheit, beweist immer wieder seine Kreml-Nähe und posiert in Krisenregionen gern mal mit Maschinenpistole oder Panzerfaust. In Syrien und Venezuela wurde Six inhaftiert. Zuletzt bekam er viel Aufmerksamkeit, als er ankündigte, die Bundesregierung verklagen zu wollen. Das kommt hier an. Auch bei Petr Bystron von der AfD. Vor der Mittagspause unterbrach Bystron seine Ansprache, als Six in den Fraktionssaal kam. Mit springender Stimme begrüßte er ihn und klatschte eifrig Beifall. Bystron soll unmittelbar an Six’ Freilassung aus dem venezolanischen Gefängnis beteiligt gewesen sein.

Die Szene ist bezeichnend: Die AfD-Politiker geben sich sichtlich Mühe, den Vertretern der „freien Medien“ das Gefühl zu vermitteln, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Das Dutzend AfD-Abgeordneter, die heute wie Boehringer in den Bundestag kamen, begrüßen die rechten Blogger wie alte Freunde, essen mit ihnen, machen Selfies für soziale Netzwerke, tauschen Nummern aus. Etwa 150 Meter weiter, durch große Rundfenster, ist unter dunklen Wolken das Reichstagsgebäude zu sehen.

Gemeinsame Ziele, gemeinsame Wünsche

Vier Arbeitsgruppen, von den AfD-Gastgebern Bystron, Höchst, Schulz und Hemmelgarn geleitet, diskutieren am Nachmittag gemeinsame Strategien.

Nicole Höchst schreibt eifrig mit. Ihre 14-jährige Tochter hatte im vergangenen Jahr durch ein rassistisches Gedicht bei einem Poetry Slam in Speyer für Schlagzeilen gesorgt:

Aus fernen Ländern kam der Gast / Dank Menschenhändlerbanden. Reist mit Handy, und ohne Pass / in den gelobten deutschen Landen. Verbittert ist der junge Mann / Finanziell geht‘s ihm zwar besser. Weil er aber kein Fräulein haben kann / hilft er schnell nach mit – einem Messer. (…) Nun steck das Messer dir im Bauch / denn so ist‘s im Orient der Brauch. Rufen alle mit Applaus: / ,, NA-ZIS RAUS !!!”

Die Teilnehmer von Höchst’ Gruppe, darunter auch Oliver Flesch, haben klare Forderungen. Sie wünschen sich zum Beispiel eine „alternative Nachrichtenagentur“ ähnlich der dpa – nur eben mit alternativen Fakten. Die AfD solle im Bundestag politisch „die Zensur durch Banken oder Faktenchecker“ bekämpfen. Außerdem sollten die Abgeordneten über Facebook und Twitter nicht mehr die Beiträge der Systempresse teilen, sondern ihre Beiträge verbreiten.

Höchst bedankt sich für all die „guten Vorschläge“ und verspricht, sie mit ihrer Fraktion zu besprechen.

Wer begreifen will, was hier vor sich geht, muss sich die Veranstaltung für einen Moment mit anderen Protagonisten vorstellen: Politiker der SPD-Fraktion zum Beispiel würden die Belegschaft der Zeit und des Spiegels zu einer Konferenz in den Bundestag einladen. Sie würden sich dann so benehmen, als seien sie alte Kollegen, sich gegenseitig feiern und über Insiderwitze lachen. Zudem würde der Hausanwalt der SPD den Journalisten Tipps geben. Im Gegenzug würden sich die Journalisten von den Politikern wünschen, dass sie bevorzugt ihre Texte teilten, statt die anderer Medien. Und am Ende würden die SPD-Politiker sagen: Ja! Gute Idee!

Die Glaubwürdigkeit beider Gruppen wäre dahin. Doch journalistische Glaubwürdigkeit und auch die der Partei scheinen hier, auf der Konferenz, nicht allzu wichtig. Würde sich die AfD konsequent an ihre Unvereinbarkeitsklausel halten, hätte die Gästeliste eine andere sein müssen. Denn dort steht: Wer einer rechtsextremen Organisation angehört, darf nicht Mitglied der Partei werden. Von Gästen und guten Freunden ist nicht die Rede, trotzdem gab es aus den eigenen Reihen der Partei Kritik an der Konferenz.

Die AfD lässt Aktivisten der sogenannten „Identitären Bewegung“ in den Bundestag

Die AfD wirbt auf diesem Aufsteller unter anderem mit einem Medienagentur, die vom Vorstand der sogenannten „Identitären Bewegung“ geleitet wird: „Okzident“. (Foto: © CORRECTIV)

Kurz vorher führte die Veranstaltung im Bundestag zu einer Krisensitzung der Partei – einberufen durch die Parteispitze. Unter den rechten Bloggern machte die Runde, dass AfD-Chef Alexander Gauland einen der Organisatoren persönlich gebeten habe, die Veranstaltung abzusagen. Was war geschehen?

Die Fraktion hatte laut Parteikreisen mehrere Kritikpunkte: Zum einen war da die Sorge, der Bundesrechnungshof könne im Nachhinein anmerken, dass es sich nicht um eine sogenannte „mandatsbezogene Veranstaltung“ handele – also eine Veranstaltung für rein politische Zwecke. Das ist aber die Voraussetzung, dass die Räumlichkeiten des Bundestags und Fraktionsgelder verwendet werden dürfen. Andersherum klingt für den Außenstehenden eine Veranstaltung mit hundert rechten Bloggern und Meinungsmachern für rein politische Zwecke nicht wirklich besser.

Nächster Kritikpunkt: Es dürfe nach außen nicht so wirken, als wolle die AfD mit Steuergeldern eine Struktur für wohlwollende Berichterstattung aufbauen. Und zu guter Letzt habe die AfD-Fraktion angeblich keine Einsicht in eine Teilnehmerliste gehabt.

Als Konsequenz aus der Kritik lud man den als Gastredner eingeladenen Ex-Breitbart-Autor Milo Yiannopoulos wieder aus. Eine Begründung wurde nicht genannt. Yiannopoulos’ ehemaliger Chef Steve Bannon, Donald Trumps ehemaliger Chefstratege und Gründer des rechten US-Mediums Breitbart, war zwar von der AfD eingeladen worden, ist aber nicht gekommen. Laut eines Rundschreibens an die Teilnehmer habe er sein Kommen für eine zukünftige Veranstaltung zugesagt.

Die Konferenz könnte ein Nachspiel für die Organisatoren haben, nicht nur wegen der Finanzen. Unter den Anwesenden befanden sich nämlich auch Aktivisten der sogenannten „Identitären Bewegung“, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. „IB“-Funktionär Daniel Sebbin zum Beispiel, der mit Daniel Fiß, dem Chef der „Identitären Bewegung“ in Deutschland, eine Medienagentur für „Gegenöffentlichkeit” führt. „IB“-Star und Youtuberin Lisa Licentia war ebenfalls als Gast anwesend.

Die „Identitären“ gelangten erst kürzlich wieder ins öffentliche Bewusstsein, weil der Christchurch-Attentäter Geld an den österreichischen Vorstand Martin Sellner überwiesen hatte.

Für Peter Boehringer und die anderen AfD-Abgeordneten scheint das alles kein Problem zu sein. Sie feiern die Veranstaltung als Erfolg. „Es ist wichtig, all die Nasen einmal zu sehen“, sagt Boehringer in einem Video von PI News, „das schafft Vertrauen.“ Und Vertrauen zu den Medien ist ihm wichtig. Boehringer schreibt auf seiner Homepage:

„Die vollideologisierte, manchmal frei erfindende, hoch suggestive, belehrende und fast immer linkslastige Berichterstattung der Mainstreammedien hat seit langem System. (…) Es gibt heute kein richtiges Verhalten im falschen (Relotius-)System mehr. Dafür hat der Einheits-Mainstream die Lügen und Erfindungen schon viel zu lange viel zu weit getrieben (…), dessen ‘Investigativität’ sich krass asymmetrisch fast nur ‘gegen Rechts’ richtet – und damit eben NICHT gegen die Regierenden, wie es in normalen Zeiten einer kritischen Presse eigentlich sein sollte!“

Passend zum Ibiza-Skandal des österreichischen Rechtspopulisten, Heinz-Christian Strache, der mit einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte die Übernahme der Kronen-Zeitung für seine politischen Zwecke diskutiert hatte, zitiert Boehringer am Ende des Textes dann den österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig:

Man mietet gegen politische Gegner nicht mehr Dolche, sondern eine Feder. Man lässt seine politischen Feinde [damit] nicht mehr körperlich, sondern moralisch erledigen.

Ein Facebook-Post von Peter Boehringer (rechts) und Imad Karim, einem der Vorstände der „Vereinigung der freien Medien“. (Screenshot: CORRECTIV)