Hintergrund

Jens Spahn sagte, dass Gurgeln womöglich die Viruslast senke – aber ob es wirklich hilft, ist unklar

Jens Spahn sagte einem Medienbericht zufolge, dass Gurgeln mit Mundwasser gegen das Coronavirus helfe. Er bezog sich damit auf eine Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene und sagte selbst, dass der Nutzen von Mundwasser gegen das Virus nicht wissenschaftlich belegt sei.

von Steffen Kutzner

Deutscher Bundestag 195. Sitzung Plenum und Debatte
Gesundheitsminister Jens Spahn am 26. November 2020 im Bundestag. (Quelle: Picture Alliance / Flashpic / Jens Krick)

In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (kostenpflichtig) sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dass mit Kochsalzlösung oder Mundspülungen zu gurgeln womöglich gegen das Coronavirus helfe. Seine Aussagen finden sich in einer Pressemitteilung der Zeitung zu dem Interview. „Um die Ansteckungsgefahr im privaten Bereich zu minimieren, könne womöglich auch Gurgeln helfen“, wird Spahn darin indirekt zitiert.  

Jens Spahn hat das tatsächlich so gesagt. Doch hilft Gurgeln wirklich, die Ansteckungsgefahr zu verringern? 

Im Frühjahr hatte sich einer Auswertung von CORRECTIV und europäischen Faktencheckern zufolge in zahlreichen Ländern und auch in Deutschland das Gerücht verbreitet, dass Wasser trinken oder das Gurgeln mit Salzwasser oder Essig vor dem Coronavirus schützen, also eine Infektion verhindern könnten. Dies hatte die WHO damals schon als falsch bezeichnet. Ein Mediziner erklärte uns für einen Faktencheck, dass das Virus nicht nur oben auf den Zellen sitzt, sondern auch darin. Deshalb lasse es sich nicht dauerhaft wegspülen. 

Spahns Aussage bezieht sich auf Ansteckungsgefahr und basiert auf einer Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene

In manchen Medienberichten wurde das Interview der NOZ mit Schlagzeilen wie „Spahn rät zum Gurgeln gegen Corona“ aufgegriffen (zum Beispiel bei N-TV oder der Webseite Apotheke Adhoc). Das ist nicht ganz korrekt, denn eine konkrete Empfehlung hatte Spahn nicht ausgesprochen. 

Konkret hatte der Interviewer der NOZ gesagt: „Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene empfiehlt das Gurgeln…“, worauf Spahn antwortete: „Wissenschaftlich belegt ist das noch nicht. Aber die Idee dahinter ist, dass Gurgeln mit Mundspülungen aus in Alkohol gelösten ätherischen Ölen oder sogar Kochsalz die Viruslast im Mund- und Rachenraum senken soll.“ Ob er sich der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene anschließe, ließ der Minister offen: „Das muss letztlich jeder selber wissen. Aber schaden tut es sicher nicht.“

In der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene heißt es, es müssten alle infrage kommenden hygienischen Präventionsmaßnahmen ausgeschöpft werden. Gurgeln sei eine simple Präventionsmaßnahme (Seite 2). „Für Mundwässer auf Basis ätherischer Öle konnte mit Alkoholgehalt (Listerine Cool Mint) als auch ohne Alkoholgehalt (Listerine Cool Mint milder Geschmack) eine komplette Inaktivierung von SARS-CoV-2 nachgewiesen werden“. Diese Untersuchungen wurden dem Papier zufolge allerdings „in vitro“ gemacht. 

Hilft Gurgeln nun also – und wenn ja, wogegen?

Wir haben zwei Ärzte angefragt, ob mit alkoholischen, ätherischen Mundspülungen zu gurgeln bei einer Covid-19-Infektion tatsächlich helfen kann. 

Matthias Orth, Chefarzt des Instituts für Laboratoriumsmedizin am Marienhospital Stuttgart erklärte per E-Mail, dass gurgeln, etwa vor einer Zahnarztbehandlung, die Viruslast kurzfristig senken könne. Dadurch sei „die Gefährdung des Behandelnden sicher reduziert“. Für den Krankheitsverlauf spiele das „Gurgeln aber keine entscheidende Rolle“. Sehr häufiges Gurgeln mit alkoholischem Mundwasser könne wegen der Nebenwirkungen auch nachteilig sein.

HNO-Arzt: Ansteckungsgefahr „wenn überhaupt, nur minimal gesenkt“ 

Der Starnberger HNO-Arzt Bernhard Junge-Hülsing bestätigte diese Einschätzung in einer E-Mail an CORRECTIV: „Eine übertriebene Mundspülung mit alkoholischen oder antiseptischen Substanzen schädigt die Schleimhautbarriere und ist eher kontraproduktiv.“ Auch unmittelbar vor einem PCR-Abstrich könnte das Gurgeln mit Mundwasser nachteilig sein: Abstriche, die nur aus Mund oder Rachen genommen würden, könnten falsch-negativ ausfallen, so der Arzt. 

Gewöhnlich werden Abstriche zum Nachweis von SARS-CoV-2 jedoch nicht in Mund oder Rachen gemacht, sondern am Nasenrachen, dem Nasopharynx, wo die Viruslast laut Experten zehnmal größer ist als im restlichen Rachenbereich, wie wir bereits in einem Faktencheck dargelegt hatten.

Der Nasopharynx werde beim Gurgeln nicht erreicht, erklärte Junge-Hülsing, da ein Teil des Gaumens und das Zäpfchen diesen Bereich abdichten würden. „Signifikant gesenkt“ werden könne die Viruslast also nicht, auch wenn sie im Mund beim Gurgeln kurzfristig reduziert sei. „Daher wird auch die Ansteckungsgefahr weder für sich noch für andere, wenn überhaupt, nur minimal gesenkt“, so Junge-Hülsing.

Fazit: Die Viruslast kann zwar durch Mundspülungen im Mund- und Rachenbereich kurzfristig gesenkt werden. Laut der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene können manche Mundwasser auf Basis ätherischer Öle das Virus inaktivieren. Vor einer Zahnarztbehandlung kann das Gurgeln mit Mundwasser deshalb einen geringen Schutz für den Arzt oder die Ärztin bieten (Fremdschutz). Die größte Viruslast ist jedoch am Nasenrachen vorhanden – und dort kommt Mundwasser nicht hin. Zudem sitzt das Virus auch in den Zellen, Gurgeln ist also keine Heilung und bietet keinen zuverlässigen Schutz davor, dass man selbst krank wird. 

Redigatur: Alice Echtermann, Uschi Jonas

Update, 28. September 2021: In einer früheren Version des Textes war von der Deutschen Krankenhausgesellschaft die Rede. Tatsächlich ist die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene gemeint. Wir haben die Bezeichnung an den entsprechenden Stellen korrigiert.