Die Verschwörungs-Unternehmer: Wenn Desinformation zum Geschäftsmodell wird
Kristall-Matten gegen Knochenbrüche, ein Kraut gegen „genmanipulierte Mücken“ und Borax für mehr Testosteron: Auf Telegram bewerben Rechtsextreme, Kreml-Fans und Querdenker Produkte von Waldkraft oder Vitori mit teils abstrusen Gesundheitsversprechen. Und damit lässt sich richtig Geld verdienen.
„Nehmt die ganzen Migranten, da habt ihr genug Abfall zum Verheizen“ – „Finally kill this Selensky“ – „Nieder mit der Lügenpresse. […] Das Volk muss sich jetzt erheben!“
Der Telegram-Kanal „Soldaten & Reservisten“ verbreitet rechtsextreme und prorussische Hetze und Gewaltaufrufe. Dazwischen: Werbung für Produkte der Berliner Firma Waldkraft. Etwa Algen, die Krebs heilen sollen, das Bleichmittel Chlordioxid gegen Covid oder Kräutertinktur und Zitrusduft gegen „genmanipulierte Mücken“.
Damit machen nicht nur Waldkraft, sondern vermutlich auch die Soldaten und Reservisten Geld: Kauft jemand über die Links zu den Produkten etwas, verdienen die Verantwortlichen hinter dem Telegram-Kanal mit – sogenanntes Affiliate Marketing. Und das lohnt sich: Werden so Neukundinnen und -kunden geworben, bekommen sie ein Fünftel des Bestellwerts – „auf Lebenszeit“, also auch für zukünftige Bestellungen der Person.
„Soldaten & Reservisten“ sind nicht die einzigen, die wohl von diesem System profitieren. Hunderte Telegram-Kanäle aus dem verschwörungsideologischen Milieu, von Rechtsextremen und Putin-Propagandisten, verdienen mutmaßlich auf diese Weise Geld. Mit dabei: die prorussische Influencerin Alina Lipp, die Verschwörungsideologen Oliver Janich, Friedemann Mack und viele andere. Sie verbreiten Werbung zu den Produkten. Durch sogenannte Affiliate-Codes in den Links können die Unternehmen dann eventuelle Käufe den Werbepartnern zuschreiben. Ob und wie viel diese Telegram-Kanäle dabei mitverdienen ist nicht öffentlich und lässt sich deshalb nicht abschließend nachvollziehen. Waldkraft hat auf eine Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck nicht reagiert.
Auch auf der anderen Seite steht Waldkraft nicht alleine da. Für die Produkte anderer Unternehmen machen fragwürdige Telegram-Kanäle auf dieselbe Weise Werbung – zum Beispiel für die Firma eines Sängers, der durch eine deutsche TV-Castingshow bekannt wurde.
Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck zeigen die Dimension dieser Werbenetzwerke. Und auch, dass die angebotenen Produkte nicht nur teils überteuert sind, sondern sogar gesundheitsschädlich sein können. Dass sie auf Telegram mit falschen Heilsversprechen beworben werden, nehmen die Hersteller der Produkte offenbar in Kauf. Die Betreiber der Kanäle sind schließlich für Desinformation bekannt.
QAnon-Anhänger und Querdenker werben für Waldkraft
Inmitten der Coronavirus-Pandemie ist in Daten des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) zu beobachten, dass Anzeigen auf Telegram zunehmend für Waldkraft-Produkte werben: vor allem für bedenkliche Alternativ-Behandlungen wie das Bleichmittel Chlordioxid und Dimethylsulfoxid (DMSO), eine Substanz, die sich in Klebstoffen und Frostschutzmitteln findet.
Für sie wirbt unter anderem der Verschwörungsideologe, Putin-Fan und selbsternannte „Direktvertriebsprofi“ Friedemann Mack. Er spielt eine wichtige Rolle in der deutschen QAnon-Szene. Mit rund 137.000 Abonnentinnen ist sein Telegram-Kanal „Mäckle macht gute Laune“ wohl einer der wichtigsten Werbenden für Waldkraft – seine Beiträge dazu erreichen dort nicht selten zehntausende Nutzerinnen und Nutzer. Wenn Mack nicht gerade Chlordioxid und DMSO von Waldkraft anpreist, verbreitet er antisemitische und rechtsradikale Verschwörungsmythen und Falschbehauptungen. Mack antwortete nicht auf eine Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck.
Für eine Selbstmedikation mit diesen Chemikalien aus dem Waldkraft-Angebot wirbt auch Hartmut Fischer, Chemiker und Heilpraktiker, der DMSO als Wunderheilmittel darstellt und die Existenz von Viren und gängigen Krebsbehandlungsmethoden anzweifelt. Schon 2019 organisierte Waldkraft mit ihm einen Workshop zur Anwendung von DMSO. Die Kombination der zwei Wirkstoffe helfe gegen Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose, behauptet Fischer in seinem „DMSO Handbuch“. Während der Corona-Pandemie wurde Chlordioxid als angebliches Heilmittel für Covid beworben: Waldkraft bot 2022 ein „Bye Bye Covid“-Set mit Chlordioxid zum Selbermachen auf seiner Webseite an. Auch aktuell hat Waldkraft die Substanz im Angebot, von Covid ist dort mittlerweile nicht mehr die Rede.
Im Grunde ist für jede Zielgruppe etwas dabei. Borax etwa, das ebenfalls von Waldkraft angeboten und auf Telegram beworben wird, soll Testosteron steigern und die Sehkraft verbessern können.
Tatsächlich aber kann Borax bei hoher Dosierung – die Waldkraft übrigens empfiehlt – der Fruchtbarkeit von Männern schaden. Auch DMSO und Chlordioxid können schwerwiegende Gesundheitsschäden verursachen.
Waldkraft selbst ist bei seinem offiziellen Werbeauftritt inzwischen vorsichtiger, was Heilversprechen betrifft. Die Werbung auf Telegram unterscheidet sich deutlich von den Angaben auf der eigenen Webseite und den offiziellen Profilen der Firma in Sozialen Netzwerken. „Rein rechtlich gesehen ist Dimethylsulfoxid [DMSO] in die Gruppe der Lösungsmittel eingeordnet“, heißt es auf der Webseite. Auch bei dem Kraut „Einjähriger Beifuß“, das laut Anzeigen in den Telegram-Kanälen „DeutschRussische Freundschaft“ und „Soldaten & Reservisten“ angeblich gegen „genmanipulierte Mücken“ und als „Anti-Malaria-Mittel“ helfen soll, steht von diesen Anwendungsbereichen auf der Webseite nichts. Es wird dort als Tierpflegemittel verkauft. „Kann bis zu 3 mal täglich im Fell verrieben werden“, heißt es, der Duft wirke entspannend.
Verbraucherschutz-Amt über Waldkraft-Werbung: Versprechen „nicht zulässig“
Der Grund für diese Unterschiede ist offensichtlich: In der EU sind der „Einjährige Beifuß“ – so wie Chlordioxid und DMSO – nicht als Lebensmittel beziehungsweise Nahrungsergänzungsmittel zugelassen. Behauptungen zur angeblichen Beseitigung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bei Nahrungsergänzungsmitteln sind verboten.
CORRECTIV.Faktencheck legte dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit einige der Telegram-Werbebeiträge zur Einschätzung vor. Das Fazit: „nicht zulässig.“ Letztendlich sei die Auslegung und Überwachung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften jedoch Ländersache. Die zuständige Senatsverwaltung in Berlin, wo Waldkraft ansässig ist, antwortete bis zur Veröffentlichung nicht auf eine Anfrage.
CORRECTIV.Faktencheck hat auch der Verbraucherzentrale Berlin einige der Gesundheitsversprechen, die über Waldkraft-Produkte kursieren, geschickt. Dort kennt man Waldkraft bereits. Man habe das Unternehmen schon wegen harmloseren Aussagen zu Produkten an die Lebensmittelüberwachung gemeldet, schreibt Britta Schautz, Ernährungswissenschaftlerin der Verbraucherzentrale.
Schautz schreibt auch: Werbung dieser Art sei nicht nur verboten, sie könne Verbraucherinnen und Verbrauchern auch wirtschaftlichen und gesundheitlichen Schaden zufügen: „Ihre Hoffnung der Heilung von Krankheiten bezahlen sie meist sehr teuer und erhalten entweder ein nutzloses oder sogar ein gesundheitsschädliches Produkt.“ Sie plädiert für strengere Vorgaben für Nahrungsergänzungsmittel und eine stärkere Kontrolle der Aussagen darüber – vor allem in Sozialen Netzwerken.
Auch wer als Partner für Waldkraft wirbt, muss sich an rechtliche Regeln halten
Diese Werberegelungen gelten laut Schautz von der Verbraucherzentrale und laut der Organisation MedWatch auch, wenn Dritte als Affiliate-Partner dafür werben – also in dem Fall die Verantwortlichen hinter den Telegram-Kanälen, sofern sie im Auftrag von Waldkraft handeln.
Doch wer entwirft überhaupt die Werbebeiträge, die – mit viel deutlicheren und schädlicheren Versprechen – auf Telegram kursieren?
Wie sehr Waldkraft in die Gestaltung involviert ist, lässt sich nur schwer nachvollziehen. Auffällig ist, dass verschiedene Kanäle sehr ähnliche Texte und Grafiken verwenden. Außerdem gleicht das Design der Anzeigen dem der offiziellen Auftritte der Firma. Die Grafiken verwenden dieselben Logos und Schriftarten. Das erweckt den Eindruck, dass die Anzeigen aus einer Quelle stammen.
Waldkraft ließ Fragen dazu unbeanwortet. Deshalb ist unklar, ob sich das Unternehmen bewusst ist, auf welche Weise und von wem seine Produkte auf Telegram beworben werden.
Waldkraft dürfte sich jedenfalls bewusst sein, dass viele ihrer Kunden die Produkte nicht für ihre Vierbeiner oder als Raumduft kaufen, sondern sich selbst damit behandeln. Denn genau das schreiben Kunden in zahlreichen Bewertungen auf der Webseite. „Herrlich bitterer Geschmack für ein gesundes Gefühl“ steht dort beispielsweise für die Mücken-Kräutertinktur, „pur brennt es etwas in offenen Wunden/kleinen Verletzungen“ oder „Als Nahrungsergänzung setze ich es begleitend auch […] in der Tumortherapie ein“. Beim Chlordioxid schreibt eine Person, „Der Selbstversuch läuft seit 14 Tagen“.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit betont: Firmen seien auch für Benutzerbewertungen auf der Webseite verantwortlich und müssten sichergehen, dass diese die gesetzlichen Regelungen einhalten. Auf unsere Anfrage äußerte Waldkraft sich auch dazu nicht. Auf der Webseite hingegen schreibt das Unternehmen: Die Bewertungen werden vor Veröffentlichung überprüft – und gesteht demnach indirekt ein, diese Regeln zu brechen.
Die Firma Vitori – ein Popstar verkauft Kristall-Matten aus China
Neben Waldkraft scheint eine weitere Firma die deutsche Verschwörungs- und Desinformationsszene als Zielgruppe entdeckt zu haben: Vitori.
Gegründet wurde die Firma von dem Sänger Sebastian Krenz. 2021 gewann er die elfte Staffel der Casting-Show „The Voice of Germany“. „It doesn’t matter how you got here, oh no, no“, sang er damals zusammen mit Johannes Oerding. Vorher war er unter anderem Teil der Partyband „Antitoxin“. Deren Motto: „Das Gegengift für jeden Partymuffel“.
Heute verkauft Krenz neben Musik auch Wärme-Matten, die von verschiedenen fragwürdigen Werbepartnern auf Telegram mit erstaunlichen Gesundheitsversprechen beworben werden. In die Matten sind Schmucksteine eingearbeitet, laut Krenz könnten damit etwa Parasiten behandelt werden. Auf Nachfrage schreibt er an CORRECTIV.Faktencheck: Solche Aussagen seien eine persönliche Erfahrung, keine allgemeingültigen medizinischen Aussagen.
Ähnliche Matten finden sich online für rund 140 Euro. Vitori verlangt dafür bis zu 2.200 Euro – oder 1.799 Euro im Angebot. Krenz schreibt auf Anfrage, die Matte unterscheide sich in der Qualität und Wirkungsweise, das rechtfertige den höheren Preis. Worin genau die Unterschiede liegen, erläuterte er nicht.
Die Matten von Vitori bringen auch den Betreibern von Telegram-Gruppen und Kanälen lukrative Gewinne, sofern sie als Affiliate-Partner dafür werben. Ob und wie viel Umsatz sie mit zweifelhaften Produkten machen, ist unklar – Friedemann Mack, der die Matten anpries, antwortete nicht auf eine Anfrage dazu.
Zu holen ist jedenfalls einiges: Für Affiliate-Partner winken bis zu 331 Euro Provision pro verkauftem Stück. Der Rekord an „passivem Einkommen“ für Werbende liege bei knapp 20.000 Euro in einem Monat, schreibt Vitori.
Um den Verkauf anzukurbeln, werden offenbar alle Register gezogen. So wird etwa in einem Kanal zum Link einer Vitori-Matte behauptet, sie könnte Knochenbrüche schneller heilen. Auf Telegram und Youtube werden die Matten teilweise gar als „Med Bed“ bezeichnet – damit sind magische medizinische Gerätschaften gemeint, die angeblich Krebs und alle möglichen anderen Krankheiten und Verletzungen heilen können – ein Begriff aus der verschörungsideologischen QAnon-Szene.
Krenz scheint generell keine Kontaktscheue zur QAnon-Szene zu haben. Um seine Matten zu verkaufen, gab er unter anderem dem Schweizer Jan Walter ein Interview. Walter betreibt den Blog legitim.ch und ist bekannt für die Verbreitung von Desinformation. Selbstverständlich bewirbt auch er die Matten auf Telegram. Auf Nachfrage antwortet Krenz: Man kenne den Begriff „QAnon“ nicht.
Vitori gibt an, man wisse nicht, wer Werbepartner sei
Von CORRECTIV.Faktencheck darauf angesprochen, dass Personen aus der verschwörungsideologischen oder Querdenker-Szene seine Produkte mit zweifelhaften Versprechen bewerben, schreibt Krenz, dass das Partnerprogramm allen offen stehe – auch wenn man nicht aktiv auf Partner zugehe. Die Firma bemühe sich „trotzdem um eine sorgfältige Auswahl unserer Partner“.
Wer sich auf der Vitori-Webseite als Partner registriert, muss aktuell Namen, Adresse und Telefonnummer angeben. An CORRECTIV.Faktencheck hingegen schreibt Krenz: Vitori wisse gar nicht, wer überhaupt als Partner für sie werbe. Eine persönliche Zuordnung sei schwierig, weil die Partner durch Nutzernamen identifiziert würden.
Generell habe man keine Kontrolle darüber, was auf Telegram veröffentlicht wird. Krenz stellt sogar in Frage, ob alle, die für seine Matte werben, wirklich Teil seines Partnerprogramms seien. Echte Partner würden in Schulungen informiert, keine medizinischen Heilaussagen zu treffen oder irreführende Versprechen zu machen. Dass solche Gesundheitsversprechen zuhauf kursieren, ist jedoch klar, wie der Blick auf Telegram zeigt. Krenz dazu: Man werde dem nachgehen und sicherstellen, „dass unsere ethischen Standards eingehalten werden“.
Eine weitere Frage bleibt offen: Ist Krenz wirklich der Erfinder der Matte, als der er präsentiert wird? Die chinesische Firma Fanocare bot ähnliche Matten bereits 2017 an, Vitori gibt es frühestens seit 2020. Auf die Frage, ob er der Erfinder der Matte sei, antwortet Krenz, er habe sie 2019 „initiiert“, seit 2020 sei sie in Deutschland erhältlich.
Auch Musiker-Kollegen werden von Krenz eingespannt, um die Matten zu promoten. Der Gangster-Rapper Kollegah, bekannt für frauen- und homofeindliche, sowie antisemitische Texte, ließ sich 2023 von Krenz interviewen. In dem zweiteiligen Interview, das auf Youtube veröffentlicht wurde, sprechen die beiden über Morgenrituale (für Kollegah einen Kaffee und ein Zigarillo), Drogenkonsum und natürlich die Kristall-Matten.
„Man muss sich selbst einfach mit der Materie immer bis zu einem gewissen Grad vertraut machen. Um beurteilen zu können: Erzählen diese Experten, die für den einen Experte sind und für ‘nen anderen sind sie ein Schwurbler und dann wieder umgekehrt …“, sagt Kollegah an einem Punkt abschweifend. „Ich stehe am Ende ja da und muss mir selber ein Bild machen können. Was ist jetzt hier kasus knaxus? Was ist jetzt wirklich die Wahrheit?“
Er spricht dabei über die sogenannte Schulmedizin, könnte aber genauso gut Vitori und Waldkraft und die Werbeversprechen für deren Produkte auf Telegram meinen.
Diese Recherche entstand mit Unterstützung von CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie).
Redigatur: Alice Echtermann, Gabriele Scherndl