Tiktok versagt gegen Schatten-AfD: Fake-Profile sammeln Millionen Likes, die Partei profitiert
Auf Tiktok wütet ein Netzwerk, das nach den Plattform-Richtlinien eigentlich verboten ist: CORRECTIV fand dutzende Kanäle, die sich fälschlich als Partei- oder Politiker-Profile der AfD ausgeben. Im Namen der Partei erreichen sie Hunderttausende. Die AfD schweigt und Tiktok sieht jahrelang tatenlos zu.
Wer die AfD auf Tiktok sucht, wird schnell stutzig: @afd_bundestag, @afdbundestag, @afd.bundestag, @afdfraktionbund, @afdfraktion.bunde, @afdfraktionbundestag, – all diese Profile tragen das Logo der AfD im Profilbild. Doch welcher von ihnen ist der echte Kanal der Bundestagsfraktion?
Die Antwort: Keiner. Der offizielle Account heißt @afdfraktionimbundestag. Die anderen tun nur so, als wären sie die AfD – und tragen mit AfD-Inhalten zum Erfolg der Partei auf Tiktok bei.
Laut Tiktoks Richtlinien ist das verboten – denn die Accounts geben sich als Teil der Partei aus. Die Imitate der Bundestagsfraktion sind dabei nur ein Beispiel von vielen. Es gibt Accounts, die wie Ortsgruppen der AfD heißen, andere täuschen die Identität einzelner Politikerinnen oder Politikern vor. So geben zum Beispiel mehrere Kanäle vor, Alice Weidel zu sein.
Wir nennen sie: die Schatten-AfD.
Auf der Plattform ist die AfD stärkste Kraft, keine andere Partei ist dort so erfolgreich. Eine Analyse des Politikberaters Johannes Hillje zeigt: Tiktok-Videos der AfD-Bundestagsfraktion wurden von 2022 bis 2023 im Schnitt dreimal so häufig aufgerufen, wie die Tiktok-Videos aller anderen Bundestagsfraktionen zusammen. Laut einer Studie der Universität Potsdam sahen Erstwählerinnen und Erstwähler Videos mit Hashtags, die in Verbindung mit der AfD stehen, im August und September 2024 doppelt so häufig wie entsprechende Videos aller anderen Parteien zusammen.
CORRECTIV hat die Schatten-AfD auf Tiktok analysiert. Vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen steuerte sie dem Tiktok-Erfolg der AfD über sechs Millionen „Gefällt mir“-Angaben bei. Der Ton ist rauer als auf den offiziellen Kanälen – neben AfD-Reden und Aufrufen zur Unterstützung der Partei finden sich Hetze, Frauenfeindlichkeit und Falschbehauptungen. Wir haben herausgefunden, wer aus den Reihen der AfD mit den gefälschten Kanälen vernetzt ist. Besonders auffällig: Die AfD-Brandenburg, die um den Wahlsieg bei der Landtagswahl am 22. September kämpft.
CORRECTIV-Datenanalyse: Fake-Profile haben etwa eine halbe Million Follower – eine potenzielle AfD-Wählerschaft
„Schätzt mal wie alt ich bin, bei 1.500 Follower sage ich es“, steht über einem Foto von Alice Weidel.
„13 Prozent Mitgliederzuwachs: Jetzt folgen für die Politikwende“, propagiert das Profil @afd.tiktok.
„Wählen Sie die Alternative. 30.6K/100K“, lautet die Follower-Zahl und Zielgröße in der Profilbeschreibung eines Kanals.
So versuchen gefälschte AfD-Profile aktiv ihre Reichweite auf Tiktok aufzubauen. Wir fanden 60 solcher Fake-Profile mit etwa einer halben Million Followerinnen und Follower – eine potenzielle AfD-Wählerschaft. Manche der Fake-Profile veröffentlichen ihre Videos schon seit Jahren.
Viele der Inhalte sind scheinbar harmlos: Zum Beispiel Videos mit Ausschnitten von AfD-Reden, entweder aus dem Bundestag oder von Parteiveranstaltungen. Davon gibt es auf der Plattform zahlreiche, auch von echten AfD-Konten. Politikberater wie Martin Fuchs oder Johannes Hillje vermuten: Die AfD schreibt ihre Bundestagsreden gezielt für Tiktok.
Fake-Profile teilen AfD-Videos auf Tiktok, aber auch Desinformation und Hetze
Unter den Inhalten ist aber auch Hetze wie diese: „Sieh an, sieh an…“ heißt in einem Video, das Björn Höcke, den Vorsitzenden der AfD-Fraktion in Thüringen, mit Blick nach oben zeigt. Dazu läuft der Song „Bulletproof“ von La Roux: „Been there, done that messed around, I’m having fun, don’t put me down, I’ll never let you sweep me off my feet.“ Dann taucht die Schlagzeile auf: „14-jähriges Mädchen tot in Wohnung von Afghanen gefunden.“ Das Video erreicht über 740.000 Aufrufe.
Was die Fake-Profile auch gerne teilen: Fotos von Alice Weidel, um zur Unterstützung der Partei aufzurufen. Auf einem der Bilder steht: „8 Monate noch“ und blaue Herzen – ein bei AfD-Unterstützenden beliebtes Symbol. Gemeint ist die Landtagswahl in Sachsen. Das Video zeigt dazu die passende Sonntagsumfrage, bei der die AfD in den Umfragewerten Spitzenreiter ist – über 110.000 Aufrufe.
Auch Desinformation wird geteilt. Zum Beispiel in Form von Videos, die die Podcaster „Hoss und Hopf“ zeigen. CORRECTIV prüfte in der Vergangenheit mehrere Falschbehauptungen von ihnen. Ein anderes Fake-Profil verbreitet falsche Berechnungen zum CO2-Ausstoß.
Zwei weitere Fake-Profile teilen eine Falschbehauptung zum Umgang Polens mit wehrpflichtigen ukrainischen Männern an der Grenze. Polen melde den ukrainischen Behörden wehrpflichtige Männer, die nach ihrem Urlaub auf dem Rückweg nach Deutschland seien, heißt es in den Videos. Weder das polnische Innenministerium noch die Vereinten Nationen kennen solche Fälle. Videos wie diese begegnen CORRECTIV in der Faktencheck-Arbeit immer wieder – sie waren Anlass dieser Datenanalyse.
Die Hetze der Schatten-AfD richtet sich zum Beispiel gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und Personen aus der LGBTQ-Community. Wir fanden außerdem mehrere Videos, in denen Ricarda Lang, die Co-Bundesvorsitzende der Grünen, diffamiert wird.
Tiktoks Versagen: Social-Media-App setzt eigene Richtlinien zu Fake-Profilen nicht um
Die 60 Fake-Profile sammelten über sechs Millionen „Gefällt mir“-Angaben, die es überhaupt nicht geben dürfte und etwa eine halbe Million Follower, die in die Irre geführt wurden.
Denn laut den Tiktok-Richtlinien ist die „Vortäuschung einer anderen Identität“ nicht erlaubt. Ein Tiktok-Profil darf sich nicht als eine andere reale Person oder Organisation ausgeben und beispielsweise den Namen, die biografischen Details, den Inhalt oder das Bild verwenden. Wenn es sich um ein Fan- oder Parodie-Profil handelt, muss das im Kontonamen offengelegt werden.
Weiter schreibt Tiktok: „Wenn wir bei einem Konto eine dieser betrügerischen Verhaltensweisen feststellen, werden wir das Konto sperren und unter Umständen alle verwendeten alternativen Konten oder neu erstellten Konten sperren.“
In den uns vorliegenden 60 Fällen ist das nicht geschehen. Zumindest nicht, bis wir bei Tiktok anfragten. Doch mehr dazu später.
Fest steht: Wer auf Tiktok ist, kommt um AfD-Inhalte – und damit wohl auch um die Schatten-AfD – kaum herum.
Denn sie ist größer als die von uns recherchierten 60 Accounts: Die CORRECTIV-Datenanalyse ist lediglich eine Stichprobe. Wir haben ausschließlich Fake-Profile auf Tiktok erfasst, denen mindestens ein offizielles AfD-Profil folgt (Stand: 3. September 2024). Diesen Einblick erlauben nicht alle offiziellen AfD-Konten: Viele verbergen ihre „Folge ich“-Liste.
Mehr zur Datenanalyse von CORRECTIV
CORRECTIV identifizierte mithilfe einer Tiktok-Profil-Sammlung des Politikberaters Martin Fuchs manuell etwa 400 Tiktok-Accounts, die für die Recherche interessant waren. Wir haben knapp die Hälfte als mutmaßlich offizielle AfD-Accounts kategorisiert. Mithilfe der Tiktok-API von EnsembleData, einem Unternehmen mit Sitz in Singapur, das API-Lösungen für Soziale Netzwerke anbietet, analysierten wir die Following-Listen der Accounts, soweit diese öffentlich waren. Das betraf 131 mutmaßlich offizielle AfD-Accounts. Daraus erstellten wir einen Datensatz mit rund 14.800 Tiktok-Profilen. Darunter konnten wir manuell 60 Tiktok-Profile als fake identifizieren, denen 44 offizielle AfD-Profile folgen. Die Analyse ist nur eine Stichprobe ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Fake-Profile definieren wir als Tiktok-Profile, die durch ihren Kontonamen und / oder ihren Nutzernamen oder das Profilfoto wirken, als seien sie offiziell von der AfD oder von einzelnen Politikerinnen und Politikern betrieben. In der Profilbeschreibung deutet nichts auf eine Parodie hin.
Als offizielle AfD-Profile definieren wir Tiktok-Profile, zu denen eine Verlinkung von der offiziellen Webseite oder von einem anderen offiziellen Profil des entsprechenden AfD-Akteurs besteht. Einzelne Fälle konnten durch Rückmeldungen der AfD verifiziert werden.
Besonders die AfD Brandenburg folgt zahlreichen Fake-Profilen
Wie viel wissen die Partei und ihre Vertreter von der Schatten-AfD? Endgültig klären lässt sich das nicht, doch es gibt Hinweise, dass sie zumindest einen Teil davon kennen.
Der Landesverband Brandenburg sticht in unserer Datenanalyse heraus. Der offizielle Kanal (@afd_brandenburg) folgt etwa der Hälfte der von uns analysierten Fakes. Wir wollten wissen, ob der AfD-Landesverband die Fake-Profile erstellt hat, damit in Verbindung steht oder sich bewusst ist, dass es sich um Fakes handelt. Trotz mehrfacher Nachfrage erhielten wir darauf keine Antworten.
Auch andere Akteure und AfD-Organisationen fallen auf: Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hess folgt auf Tiktok ebenfalls etwa der Hälfte der von uns als gefälscht identifizierten Profile. Wieso Hess den Fakes folgt und ob er damit etwas zu tun hat, ist unklar. Die AfD-Bundestagsfraktion äußerte sich – trotz mehrfacher Nachfrage – nicht dazu. Der AfD-Stadtbezirksverband Köln-Kalk kommentierte unter einem Video eines Fake-Profils. Fragen dazu wurden uns auch in diesem Fall nicht beantwortet.
Weitere AfD-Politiker, die einer zweistelligen Zahl an Fake-Profilen folgen, sind die Bundestagsabgeordneten Götz Frömming, Kay-Uwe Ziegler, Eugen Schmidt und Martin Reichardt, sowie Birgit Bessin, Landtagsabgeordnete in Brandenburg. Auf unsere Fragen dazu reagierte niemand von ihnen. Insgesamt identifizierten wir 44 AfD-Akteure, die mindestens einem Fake-Profil folgen.
Fake-Profile nutzen häufig die Identität der AfD-Bundespartei
Manche der Fake-Profile heißen wie kleine Ortsgruppen, andere machen sich einzelne Personen zu eigen. Am beliebtesten ist aber die Identität der AfD-Bundespartei. Ganze 31 Mal ist sie im Datensatz von CORRECTIV, darunter:
@afd
@afd315
@afd958
@afd1244
@afd7508
@afd52134
Ein ähnliches Muster zeigen die von uns analysierten Fake-Profile im Namen der AfD-Bundesvorsitzenden Alice Weidel:
@alice_weidel_afd6
@alice_weidel8
@alice_weidel_13
@alice_weidel_15
Diese Fakes wurden in Nigeria erstellt, genauso wie die Fakes im Namen der AfD-Bundestagsabgeordneten Götz Frömming und Kay Gottschalk: @goetzfroemming5, @kay.gottschalk2 und @kaygottschalk8.
Doch die Suche nach dem Ursprung endet hier. Es ist unklar, wer hinter den Fakes steckt. Anfragen bei Tiktok und den Fake-Profilen brachten keine weiteren Erkenntnisse und die AfD sowie die jeweiligen Abgeordneten reagierten nicht auf unsere Anfragen dazu.
For You Page auf Tiktok zeigt nur Nutzernamen – ein Vorteil für Fake-Profile
Doch diese Masche blieb in diesem Ausmaß nicht nur unentdeckt bei Tiktok, der Aufbau der Social-Media-App befeuert sie sogar zusätzlich. Echte Profile sind von den Fakes auf der For You Page kaum zu unterscheiden – das ist der Ort, wo Tiktok-Nutzerinnen und -Nutzer in der Regel am meisten Zeit verbringen und ihnen auch Videos von Profilen ausgespielt werden, denen sie (noch) nicht folgen.
Die Nutzernamen @afd315, @afd958, @afd1244, @afd7508, @afd52134 wirken zwar verdächtig, doch Nutzerinnen und Nutzer sehen diese Namen nicht, wenn sie durch Tiktok-Videos scrollen. Dort sehen sie nur den Kontonamen: „AfD“.
Ein Beispiel: @afd1244 ist der Nutzername, er ist nur in der Profilübersicht sichtbar. Auf der For You Page steht hingegen ausschließlich der Kontoname – in dem Fall „AfD“. Ob ein Tiktok-Profil einen ungewöhnlichen Nutzernamen trägt, fällt im Tiktok-Rausch auf der For You Page vermutlich den Wenigsten auf.
Nach CORRECTIV-Anfragen verschwinden die meisten Fake-Profile auf Tiktok von einem Tag auf den anderen
Im Zuge unserer Recherche haben wir Tiktok mit unserer Liste der Fake-Profile konfrontiert. Von einem Tag auf den anderen verschwanden fast alle. Von den analysierten 60 blieben weniger als zehn nach unseren Anfragen bestehen. Dazu erklärt ein Sprecher von Tiktok: „Wir haben die Konten entfernt, weil sie gegen unsere Community-Richtlinien verstoßen haben, und werden weiterhin strenge Regeln gegen Fake-Konten und betrügerisches Verhalten durchsetzen.“
Die Schatten-AfD verliert damit kurzfristig Reichweite. Wie der Konzern das in Zukunft effizient umsetzen will, bleibt fraglich. Die noch aktiven Fake-Profile wirken derweil weiter. Darunter der Kanal @die_afd_partei3, der sich im Kontonamen schlicht „AfD“ nennt und das Parteilogo im Profilbild trägt. Er veröffentlichte das erwähnte Höcke-Video. So geistert das Anti-Migranten-Narrativ zu „I’m having fun, don’t put me down“ also weiter auf der For You Page potenzieller Wählerinnen und Wähler der AfD.
Recherche: Kimberly Nicolaus und Gabriele Scherndl
Redaktion: Alice Echtermann
Redigatur: Viktor Marinov, Uschi Jonas
Datenanalyse: Max Donheiser und Philipp Waack