In eigener Sache

Mehr als Klicks

Content, Content, Content – das ist Marschroute und Zauberwort für viele Tageszeitungen und Onlinemedien. Hauptsache die Seite voll kriegen und Klicks generieren. Bei meinem Kombi-Praktikum bei Correctiv und neukoellner.net ist mir allerdings klar geworden, dass Content auch ganz anders geht. Ein Erfahrungsbericht.

von Lea Albring

Lea Albring macht ein Kombi-Praktikum bei neukoellner.net und correctiv.org

Ausschreibung bei Twitter gesehen, beworben, Stelle bekommen: Nachdem ich vier Wochen für das lokale Online-Magazin neukoellner.net gearbeitet habe, sitze ich nun in der Berliner Redaktion von Correctiv. Eigentlich volontiere ich an der katholischen Journalistenschule, zu meiner Ausbildung gehören auch externe Praktika. Im vergangenen Jahr habe ich einen Monat in der Lokalredaktion vom Tagesspiegel gearbeitet, auch im Studium stand schon das ein oder andere Praktikum an. Nun also das Kombi-Praktikum von CORRECTIV und neukoellner.net.

Ich gebe zu: Die Mischung aus lokalen Themen und investigativer Recherche ist spannend, was genau auf mich zukommen sollte, war mir aber nicht klar. Auf der einen Seite ist da ein Blog mit Nachrichten aus Neukölln, eine Mischung aus Lokalzeitung und Szenemagazin, auf der anderen Seite das weltweit operierende Recherchezentrum. Und doch gibt es einen gemeinsamen Nenner: Viel Zeit für intensive Recherchen, egal ob lokal oder global. 

Nach vier Wochen bei CORRECTIV wird die Mitarbeit an einer konkreten Recherche stehen, während meiner Zeit bei neukoellner.net habe ich knapp zehn Artikel geschrieben. Was in einem anderen Kontext eine miese Content-Quote wäre, ist in beiden Redaktionen der Anspruch, eine andere Art von Journalismus zu machen. Akribie statt Oberflächlichkeit, Relevanz vor Sensationslust. 

Praktikum, das heißt auch immer: Alles auf Null. Neue Kollegen, neue Arbeitsweisen, neue Redaktionssysteme, neue Tools. Bei neukoellner.net arbeitete ich in einem Co-Working Space, ganz in der Nähe vom Tempelhofer Feld. Kontakt zur Redaktion hielt ich vor allem via Messaging-Dienst, wo alles wichtige – vom Redigat bis zur Veröffentlichung – diskutiert wurde. Mit Journalismus, wie ich ihn noch nicht kannte, bin ich zum Beispiel während einer Recherche zu Erich Mühsam in Berührung gekommen. Der Anarchist und Literat lebte zeitweise in der Neuköllner Hufeisensiedlung. Das heutige UNESCO-Welterbe war früher eines der ersten Projekte des sozialen Wohnungsbaus im Arbeiterbezirk. 

Bei diesem historischen Thema fielen Interviews mit Menschen flach, statt dessen forschte ich im Archiv der Stadtteilbibliothek. Außerdem porträtierte ich ein Künstlerehepaar aus Neukölln, schrieb eine Reportage über das Böhmische Dorf in Rixdorf und kündigte Veranstaltungen an: Typischer Lokaljournalismus, nur eben ohne Druck und ohne Hetze. 

Mittlerweile sitze ich bei Correctiv. Die erste Neuerung an Tag eins: E-Mails verschlüsseln. Logisch, dass die Sicherheitsstandards für ein investigatives Recherchebüro mit sensiblen Quellen auch für Praktikanten gelten. Und ja, möglicherweise ist es albern, aber irgendwie habe ich hier immer mal wieder das Gefühl, in einer konspirativen Gemeinschaft zu sitzen: Telefonate werden in den verschiedensten Sprachen geführt, Kollegen berichten von laufenden Gerichtsverfahren, Redakteure bringen Dinge ans Licht, die es sich bereits im Dunkeln gemütlich gemacht hatten. 

Aus meiner (und ja, ich bin mir dessen bewusst: durchaus ideellen und vielleicht auch romantisierten) Sicht als Berufsanfängers ist es genau das, was Journalismus ausmachen sollte: Aufdecken, Darlegen, die Welt erklären – und vielleicht sogar verändern. 

Darlegen und Aufdecken – das ist auch die Maßgabe für meine Recherche bei Correctiv. Schnell wird mir klar: Mit der konventionellen Netzrecherche ist nur ein Anfang gemacht. Ein direktes Gespräch, ein echter Kontakt treibt die Recherche voran, öffnet Türen dort, wo sich die Netzrecherche in Vermutungen erschöpft. Beeindruckt hat mich hier auch die selbstverständliche Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Medienhäusern: So kam ein Kollege vom NDR ins Büro, um erste Rechercheideen auszutauschen. Informationen, Wissen und Kontakte werden geteilt und im Team besprochen. Recherche ist bei CORRECTIV ein Mannschaftssport. 

Was ich sonst noch mitnehme aus acht Wochen Kombi-Praktikum? Den ganz persönlichen Vorsatz, den Begriff „Content“ nicht mehr quantitativ zu besetzen. Inhalt setzt schließlich immer Substanz voraus.