In eigener Sache

Reportage als Comic: Von Kalaschnikows und Kriegsverbrechen

Zwei Stipendiaten bereichern neuderdings die Berliner Redaktion – Diala aus Syrien und Greg aus Burkina Faso. Sie zeichnen bei uns zwei buchlange Comic-Reportagen. Und suchen eine Wand für ihre Wolkenkinder.

von David Wünschel

Wenn Diala Brisly erzählt, dass sie als Mädchen in der Schule Kalaschnikows zusammenbaute, sind die meisten Menschen geschockt.

Wenn Greg G. erzählt, dass ein ruandischer Rebellenführer von Deutschland aus bei Massakern im Kongo half, sind die meisten Menschen geschockt.

Beides ist wahr. Aber kaum jemand kennt diese Geschichten. Diala und Greg wollen, dass sich das ändert.

Ein halbes Jahr arbeiten die beiden in der CORRECTIV-Redaktion in Berlin. Sie zeichnen, unterstützt von unseren Redakteuren, eine grafische Reportage. 2016 hat CORRECTIV zwei Stipendien der Open Society Foundation für Künstler aus dem Mittleren Osten und der Subsahara ausgeschrieben. Am Ende fiel die Wahl auf Diala – die aus Syrien stammt ­– und auf Greg aus Burkina Faso.

Dialas dokumentarischer Comic handelt davon, wie Kinder in Syrien manipuliert wurden, sowohl unter dem Assad-Regime als auch in den IS-Gebieten. Bassel Al-Hamdo, ein CORRECTIV-Redakteur aus Aleppo, hat vor einigen Jahren verdeckt in IS-Schulen recherchiert und Unterrichtsmaterialien des IS ausgewertet. Er unterstützt Diala jetzt dabei, ein Buch über das Leben im Bürgerkrieg zu zeichnen, über irregeführte Kinder und darüber, wie Kunst ihnen helfen kann, ihre Traumata zu verarbeiten.

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Bassel und Diala besprechen in der Redaktion das Konzept für ihre grafische Reportage.

David Wünschel

Dialas Geschichte beginnt im Syrien der 1990er Jahre, als der alte Assad das Land unterjochte. Die Kinder gingen damals in Militäruniform zur Schule. Dort lernten sie, wie man eine Kalaschnikow auseinandernimmt und wieder zusammenbaut. So sollten sie zu Kriegern erzogen werden. „Ich habe in jeder Stunde Militärunterricht gezittert“, sagt Diala. Sie und ihre Freundinnen sprangen aus dem Toilettenfenster, um aus der Schule zu fliehen.

Die Militärlehrerin durfte die Schülerinnen sogar schlagen. Auf ihrer Brust prangte ein Abzeichen mit Assads Konterfei, auf Dialas Hausaufgabenheft ebenso. Sie erinnert sich, wie sie trotz Verbot mit Kopftuch zur Schule ging. Nicht, weil sie religiös war, sondern weil sie rebellieren wollte.

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Von Syrien über die Türkei, den Libanon und Frankreich nach Deutschland: CORRECTIV-Stipendiatin Diala Brisly

David Wünschel

Nach der Schule arbeitete Diala als Illustratorin. Sie half bei Fernsehproduktionen und gestaltete Kinderbücher. Als Anfang 2011 die Syrische Revolution begann, stand sie auf Seiten der Opposition. Sie packte Lebensmittel und Medikamente in ihr Auto und schmuggelte sie durch Checkpoints des syrischen Militärs zu den Rebellen.

Einmal wäre sie fast erwischt worden. Ein Soldat stoppte sie an einem Checkpoint, und sie hatte unter dem Fahrersitz Medikamente versteckt. Doch sie hatte Glück. Der Soldat winkte sie durch. Das war 2013. Wenig später floh Diala in die Türkei.

Warum hat sie gegen das Assad-Regime gekämpft? „Freiheit ist unglaublich wichtig für mich. Wir haben unsere Namen nicht gewählt, wir haben unsere Eltern nicht gewählt. Dann sollten wir wenigstens den Rest wählen dürfen.“

Über Istanbul kam sie in den Libanon. Dort erreichte sie die Nachricht, dass CORRECTIV mit ihr gemeinsam eine grafische Reportage produzieren will. Wenig später bekam sie Zuflucht in Südfrankreich. Und nun sitzt sie seit drei Wochen jeden Tag bei uns der Berliner Redaktion und zeichnet ihre Geschichte.

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Ihr junges Ich als Protagonistin: Ein Blick auf den Schreibtisch von Diala Brisly

David Wünschel

Greg G., der zweite Stipendiat, ist in Frankreich aufgewachsen. 2009 zog er nach Burkina Faso, in die  Hauptstadt Ouagadougou. Dort arbeitete er als Illustrator, etwa für Hilfsorganisationen, verkaufte T-Shirts mit seinen Motiven und zeichnete für Zeitungen Karikaturen, die die Unruhen und den gescheiterten Militärputsch in den Jahren 2014 und 2015 kommentierten.

Weil ihm die Zusammenarbeit mit Journalisten gefiel, bewarb er sich für das Stipendium bei CORRECTIV. Greg kam schon im März nach Berlin, wo er zusammen mit unserem Reporter Frederik Richter zur Rolle Deutschlands bei Genoziden und Kriegsverbrechen in Afrika recherchiert.

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Seit März in Berlin: Greg G.

David Wünschel

Im Mittelpunkt seiner Geschichte steht Ignace Murwanashyaka. Der Politiker der ruandischen Rebellengruppe FDLR lebt seit den 1980er Jahren in Deutschland. Murwanashyaka wurde 2015 wegen seiner führenden Rolle in der FDLR in Stuttgart zu 13 Jahren Haft verurteilt – wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Beihilfe zu vier Kriegsverbrechen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Murwanashyaka äußerte sich vor Gericht nicht zu den Vorwürfen.

Murwanashyaka wurde 2001 zum Anführer der FDLR gewählt – und betrieb von Mannheim aus jahrelang deren Propaganda. Während der Massaker kaufte er Guthaben für die Satellitentelefone der lokalen Kommandeure.

Diese Geschichte will Greg erzählen. Für seine Recherche reiste er durch Deutschland, besuchte Murwanashyakas früheren Wohnort und interviewte Insider. „Ich habe Freunde aus Ruanda“, sagt Greg, „und fühle mich dieser Geschichte verbunden, weil ich lange in Afrika gelebt habe“. Bis Ende August zeichnet er an diesem Projekt.

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Recherchereise durch Deutschland: Einige Entwürfe auf Gregs Schreibtisch

David Wünschel

Wir von CORRECTIV legen großen Wert darauf, besondere Erzählformate zu fördern – und kennen uns aus mit Comic-Reportagen. „Weiße Wölfe“, in dem CORRECTIV-Gründer David Schraven von seinen Recherchen zu rechten Terrorbanden im Ruhrgebiet erzählt, gewann den Deutschen Reporterpreis in der Kategorie „Innovation“.

Diala und Greg, die beiden Künstler von CORRECTIV, teilen eine Leidenschaft: die Wandmalerei. In Gregs Heimat Ouagadougou gibt es etwa zwei Dutzend Häuserwände mit seinen Zeichnungen, eine davon ist acht Meter hoch. Und Diala bemalte die Schulzelte in libanesischen Flüchtlingscamps, damit die Kinder gerne in den Unterricht gehen.

Vor einigen Wochen fuhren die beiden zum S-Bahnhof Pankow-Heinersdorf. Daneben erhebt sich ein mächtiges, heruntergekommenes Gebäude. Die Fenster sind schon lange eingeschlagen, die Metallstreben verrostet und das Dach verfallen. Früher rangierte die Bahn in diesem Bau ihre Lokomotiven, heute hausen hier nur noch einige Obdachlose.

An diesem trostlosen Ort wollten Diala und Greg eine Wand bemalen. Mit Bottichen voller Farbe stapften sie dorthin, um zwei fröhliche, auf einer Wolke sitzende Kinder auf den Beton zu pinseln. Als die ersten Linien gezeichnet waren, kam ein Wächter und drohte, die Polizei zu rufen. Zwar werde die Halle nicht genutzt, Privateigentum sei sie aber trotzdem. Also packten Diala und Greg ihre Pinsel wieder ein und liefen mit den Bottichen in der Hand zurück zur S-Bahn-Station. Nun suchen die beiden eine andere Berliner Wand, auf der sie ihre Lust am Zeichnen ausleben können.

Wer eine Wand kennt oder hat – bitte melden bei
post@davidwuenschel.de.

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Sind mittlerweile befreundet: Diala und Greg

David Wünschel