Böhmermann und der Quellenschutz
Jan Böhmermann steht in der Kritik, vor einigen Jahren den Quellenschutz verletzt zu haben. Mehrere Medien, darunter auch CORRECTIV, bekamen nun Post von seinem Anwalt. Er habe dem Macher des Ibiza-Videos keine Vertraulichkeit zugesagt. Warum der Quellenschutz besonders wichtig ist.
Ist er Comedian oder auch Journalist, der Woche für Woche einen harten Skandal aufdeckt? Jan Böhmermann spielt gern mit seiner Rolle. Er ist ein Komiker, und er ist jemand, der mit harten Fakten Missstände anprangert und nicht selten Wirkung erzielt. In seiner Person und seinen Formaten bewegt er sich bewusst zwischen Comedy und Journalismus. Was dabei offenbar in einem Fall verschwamm: journalistische Prinzipien.
Jan Böhmermann hat sich nun per Anwalt bei CORRECTIV gemeldet, um mitzuteilen, dass er im Fall des Ibiza-Videos keine Vertraulichkeit zugesagt habe. Wir nehmen das auch zum Anlass, um die Verantwortung für journalistischen Quellenschutz klarzustellen. Die Äußerung von Böhmermann bezog sich auf eine Recherche von CORRECTIV über die Folgen der Ibiza-Affäre für den Macher des Videos, die am 17. April veröffentlicht wurde. Über seinen Anwalt lässt Böhmermann unter anderem mitteilen, er habe „zu keinem Zeitpunkt des in Bezug genommenen Gesprächs eine Vertraulichkeit zugesagt“.
Juristisch kann er sich damit auf den ersten Blick dafür rechtfertigen, Inhalte aus einem Treffen weitergegeben zu haben. Im Zusammenhang eines Gesprächs mit einem Menschen, der einer Redaktion heikle Informationen anbietet, ist das allerdings brisant. Denn im Journalismus gilt der Quellenschutz, der im Pressekodex des Presserates ausdrücklich unter Ziffer 5 geregelt ist. Die Presse „gibt Informanten ohne deren ausdrückliche Zustimmung nicht preis“, heißt es darin. Dieser Quellenschutz bezieht sich auf die gesamte Redaktion, nicht auf einzelne Akteure in einer Redaktion.
Warum schickt Böhmermann überhaupt seinen Anwalt?
Nach unserer Veröffentlichung des ersten Interviews mit dem Macher des Ibiza-Videos, Julian Hessenthaler, und einer Recherche zu seiner fragwürdigen juristischen Verfolgung in Österreich entstand auch eine Debatte zur Rolle Böhmermanns rund um die Veröffentlichung des Ibiza-Videos 2019.
In dem Video, das 2017 verdeckt aufgezeichnet wurde, zeigten sich FPÖ-Politiker offen für Korruption. In der Folge zerbrach die österreichische Regierung. Hessenthaler erzählte nun, wie er Böhmermann und dessen Produktionsfirma das Video damals angeboten habe. Die Welt schrieb anschließend, dass Hessenthaler darauf vertrauen konnte, als Quelle geschützt zu werden, auch wenn er damals wohl höchst fragwürdig auftrat. Bei einigen gab es Zweifel, wie seriös Hessenthaler und seine Aktion einzuschätzen waren.
Der Autor der CORRECTIV-Recherche und des Interviews mit Julian Hessenthaler, Jean Peters, arbeitete damals als freier Mitarbeiter in der Redaktion von Jan Böhmermann. Über einen Mittelsmann kam Peters in Kontakt zu Julian Hessenthaler und vermittelte 2019 ein Treffen mit diesem, Jan Böhmermann und weiteren Personen. Peters hatte Hessenthaler zuvor einmal getroffen und Teile des Ibiza-Videos sehen können.
Böhmermann lehnte das Material damals direkt ab, spielte kurz darauf aber auf Inhalte aus dem Ibiza-Video bei einer Preisverleihung an, noch bevor es von Spiegel und Süddeutscher Zeitung veröffentlicht wurde. Er hatte Hessenthaler über diesen Schritt nicht informiert. Hessenthaler musste spätestens ab dem Zeitpunkt damit rechnen, dass den FPÖ-Politikern, die sich in dem Video korrumpierbar gezeigt hatten, klar war, dass er sie in eine Falle gelockt hatte.
Nun wehrt sich Jan Böhmermann per Anwalt gegen die Darstellung, er habe damals eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterzeichnet. Von einigen Beteiligten waren solche Vereinbarungen unterzeichnet worden, darunter auch von Jean Peters, der mittlerweile bei CORRECTIV arbeitet. Richtig ist aber auch, dass Böhmermann selbst keine Vereinbarung unterschrieben hat. Das haben wir so in unserem Beitrag präzisiert.
Für den Quellenschutz ist eine schriftliche Vereinbarung allerdings unwesentlich, zumal solche Vereinbarungen im journalistischen Kontext unüblich sind. Über seinen Anwalt sagt Böhmermann aber auch, dass er damals keine Vertraulichkeit zugesagt habe und es sich nicht um ein vertrauliches Gespräch mit Hessenthaler gehandelt habe. Über Inhalte des Videos hätten auch andere in der Branche zu dem Zeitpunkt Bescheid gewusst, schreibt er.
Quellenschutz ist ein Grundpfeiler des investigativen Journalismus
Im Journalismus ist der Quellenschutz ein hohes Gut, weil die Person, die Hinweise gibt, besonderen Schutz verdient. Im Pressekodex des Presserates ist das so ausdrücklich in der Richtlinie 5.1 erwähnt: „Hat der Informant die Verwertung seiner Mitteilung davon abhängig gemacht, dass er als Quelle unerkennbar oder ungefährdet bleibt, so ist diese Bedingung zu respektieren.“ Für eine solche Vertraulichkeit braucht es keinen Vertrag oder eine besondere Absprache. Informantinnen oder Informanten müssen nur deutlich machen, dass sie Quellenschutz beanspruchen.
Mit der Aussage seines Anwalts zieht sich Böhmermann auf eine juristische Ebene zurück, was sein gutes Recht ist: Wer keine Vertraulichkeit zusagt, muss sich grundsätzlich auch nicht daran halten. Er dreht den Schutz damit zu seinen Gunsten um. Der Quellenschutz im Journalismus ist allerdings kein juristischer Vorgang, sondern ein ethischer Maßstab, um Vertrauen gegenüber Informanten zu gewährleisten – egal wie undurchsichtig ein Mensch sein mag, der Informationen mitteilt.
Dieser Vertrauensraum ist im Journalismus streng geschützt. Das ist der Grund, warum Journalisten auch ein Zeugnisverweigerungsrecht – wie Anwälte zum Beispiel – haben. Redaktionen müssen den Quellenschutz immer gewährleisten können, um mit vertraulichen Informationen und mit Informanten arbeiten zu können.
Selbst wenn es Zweifel gibt, wie deutlich die Quelle ihr Schutzbedürfnis formuliert hat, kann sie sich darauf verlassen, dass sie nicht gefährdet wird. Ist eine Information brisant, ist allen, die den journalistischen Beruf ernst nehmen, klar, dass sie sich um den Schutz der Person zu kümmern haben.
Klares Zeichen für den Schutz von Informantinnen und Informanten
Nun hat Böhmermann auf seine Weise reagiert und neben der anwaltlichen Post auch in einer seiner Sendungen Ende April satirisch über Vertraulichkeit gesprochen. Später wurden auch Zweifel an der Arbeit von CORRECTIV-Reportern gesät, die angeblich öffentlich werden könnten, wenn wir über den Bruch des Quellenschutzes schreiben würden. Böhmermann hält sich nach außen weiter offen, zwischen Comedy und Journalismus vage zu bleiben.
Aber gelten die journalistischen Standards des Quellenschutzes nun bei ihm oder nicht? Im Fall Hessenthaler hat sich Böhmermann zumindest der journalistischen Verantwortung entzogen.
Die Redaktion von Jan Böhmermann hat sich mit dem ZDF Magazin Royale längst einen guten Ruf in der investigativen Recherche in Deutschland erarbeitet. Seit 2019 hat sich die Redaktion rund um Jan Böhmermann verändert. Sie ist vom Spartensender ZDF Neo ins Hauptprogramm gewechselt, wurde ausgebaut, die Sendung weiterentwickelt.
Das Format wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt erneut mit dem Grimme-Preis. Wenn Böhmermann auch jetzt noch beim Quellenschutz im Fall Hessenthaler ambivalent bleibt, ist das Vertrauen in den Schutz von Hinweisgebern gefährdet.
Ohne klaren Quellenschutz ist kein investigatives Arbeiten – auch nicht in Kooperation – möglich.
In den vergangenen Wochen wurden von anderen Medien in anderen Zusammenhängen beim Thema Quellenschutz Grenzen ausgetestet und gebrochen, mit teilweise bizarren Begründungen. Dadurch geht Vertrauen in die gesamte Branche verloren. Perspektiven des Journalismus können immer erweitert werden, die Prinzipien journalistischer Arbeit aber müssen dabei gewahrt sein. Fehler im Detail können immer passieren, aber das ändert alles nichts daran, dass der Quellenschutz dabei das Fundament der Pressefreiheit bildet.