In eigener Sache

CORRECTIV verteidigt „Gazprom-Lobby“-Recherche gegen Sigmar Gabriel vor Gericht

Nach einer ersten Entscheidung des Hamburger Landgerichts musste eine Aussage über Sigmar Gabriel geändert werden. CORRECTIV fordert eine grundsätzliche Entscheidung – und kämpft weiter.

von Justus von Daniels , Annika Joeres , Frederik Richter

Antrittsbesuch von Außenminister Sigmar Gabriel in Russland
Auch damals gab es schon Sanktionen gegen Russland: 2017 traf Ex-Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Für den CORRECTIV-Anwalt Thorsten Feldmann geht es bei diesem Prozess um die historische Wahrheit. „Sigmar Gabriel versucht hier, zu seinen Gunsten die Geschichte über unsere Abhängigkeit von russischem Gas zu drehen – das dürfen wir nicht zulassen.“ Und so kämpft CORRECTIV nun weiter vor Gericht dafür, Verantwortliche für die deutsche Gaspolitik klar benennen zu können.

Die Recherche zur „Gazprom-Lobby“ machte im September erstmals in einem umfassenden Überblick öffentlich, wie Russland deutsche Politiker, Manager und Anwälte einspannte, um Deutschland von russischem Gas abhängig zu machen. In Zusammenarbeit mit dem Policy Network Analytics zeigte CORRECTIV die Netzwerke und nannte Namen von bekannten Personen und solchen, die im Hintergrund arbeiten. Auch Sigmar Gabriel, Ex-Wirtschaftsminister und Parteivorsitzender der SPD, taucht in dem Zusammenhang auf.

Nach der Veröffentlichung beklagte er einen Satz in unserer Recherche, der laut den Anwälten von Gabriel „den Eindruck erwecke“, er habe 2016 ein bedingungsloses Ende der Sanktionen gegen Russland gefordert. Dabei sei er immer nur für „deren schrittweisen Abbau unter bestimmten Bedingungen“ gewesen. Diese Einschränkung mussten wir nach einer ersten einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hamburg in den Text übernehmen.

Das Verfahren soll klären, wie Haltungen zusammengefasst werden dürfen

Der Zusatz ändert nichts am System des Lobby-Netzwerks, das CORRECTIV in dem Artikel aufzeigt. Trotzdem geht die Redaktion nun das Risiko eines womöglich teuren Prozesses ein. Denn in dieser Auseinandersetzung geht es um mehr als Gabriels Spitzfindigkeiten: Es geht auch darum, ob Journalistinnen und Journalisten Haltungen und Positionen von Politikerinnen und Politikern zusammenfassend wiedergeben können, ohne in jedem Satz alle Details zu nennen.

„Die Beschreibung Gabriels ist angesichts seines unbestrittenen Engagements für ein Ende der Sanktionen eine zulässige Zusammenfassung“, so Jurist Feldmann zu der Darstellung bei CORRECTIV.

Sigmar Gabriel war von 2013 bis 2017 Bundeswirtschaftsminister (SPD) im Kabinett Merkel. In dieser Zeit wuchs die Kritik an Russland vor allem durch die Annexion der Krim 2014. Die EU beschloss daraufhin Sanktionen gegen Russland. Als die EU und die deutsche Regierung über mögliche weitere Sanktionen diskutierten, vergrößerte der Sozialdemokrat sogar noch die deutsche Abhängigkeit von Russland: Unter der Führung von Gabriel stimmte das Wirtschaftsministerium 2015 trotz Kritik dem Verkauf von deutschen Gasspeichern durch die BASF-Tochter Wintershall an den russischen Konzern Gazprom zu. Der gegenseitige Tausch von Konzernbeteiligungen wurde damals mit einer Bürgschaft in Höhe von 1,8 Milliarden Euro durch die Bundesregierung abgesichert, wie CORRECTIV berichtete.

In diesem Zeitraum hat Gabriel wirtschaftliche Kooperationen mit Russland befürwortet. In dem Zusammenhang sprach er sich auch für Lockerungen der Sanktionen aus, mit dem Hinweis verbunden, dass das Minsker Abkommen dafür eingehalten werden müsse.

Gabriel drohte früh mit rechtlichen Schritten

Zu seiner damaligen Haltung hätte sich Gabriel CORRECTIV gegenüber äußern können – acht Tage vor der Publikation der Recherche erhielt er per E-Mail die Gelegenheit zur Stellungnahme. Er hätte dort auch auf unsere konkrete Frage zu seiner Haltung zu den Sanktionen 2016 antworten können, über die er auf einer Veranstaltung damals gesprochen hatte.

Aber Gabriel antwortete nicht auf die konkret. Erst richtete seine Sekretärin aus, er sei in der betreffenden Zeit auf Reisen und könne nicht antworten. Schließlich griff Gabriel selbst in die Tasten – und drohte, ohne auf die Fragen zu antworten: „Ich schlage vor, dass Sie veröffentlichen, was Sie glauben, verantworten zu können. Sollten Sie dabei Ihre in einzelnen Fragen enthaltenen unwahren Tatsachenbehauptungen wiederholen, werde ich dagegen rechtlich vorgehen.“

Ein Einschüchterungsversuch, der CORRECTIV nicht davon abhielt, den Artikel zu veröffentlichen. Anstatt sich direkt zu melden, schickte Gabriel darauf über eine Kanzlei die Aufforderung, den Satz zu ändern, der einen bestimmten „Eindruck erwecke“.

Für CORRECTIV geht es auch um den grundsätzlichen Umgang mit öffentlichen Aussagen und Haltungen von Personen des öffentlichen Lebens.  Es muss möglich sein, ihre grundsätzlichen Positionen zusammenfassend wiederzugeben, ohne mit einem Prozess rechnen zu müssen. Und es geht auch darum, wie eine Berichterstattung allein durch die Androhung rechtlicher Schritte und ohne eine konkrete Auseinandersetzung verhindert werden soll.

Das Verfahren wird als Klage vor dem Landgericht Hamburg geführt.