Mafia

Mafia in Pforzheim

Um aus dem sonnigen Sizilien nach Pforzheim zu ziehen, braucht man einen guten Grund. Einige suchen Arbeit. Andere folgen Verwandten. Oder ihrer großen Liebe. Wieder andere haben Dreck am Stecken und suchen nun ein ruhiges Plätzchen, eine gänzlich unauffällige, mittelgroße Stadt in Baden-Württemberg, um in Ruhe ihren Geschäften nachzugehen. So, wie Giovanni Zanetti*.

von Olaf Lorch-Gerstenmaier , David Schraven , Margherita Bettoni , Giulio Rubino , Cecilia Anesi

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Diese Recherche erscheint in Kooperation mit der Pforzheimer Zeitung und dem RTL-Nachtjournal.

Giovanni Zanetti*, ein Mann Mitte 40, saß in Italien über zehn Jahre in Haft wegen illegalen Waffenbesitzes und Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung. Sein Bruder, ebenfalls wegen Mafia-Delikten verurteilt, war mindestens sechs Jahre im Knast.

2007 ziehen die beiden nach Pforzheim. Und nun geht es plötzlich steil aufwärts. Innerhalb weniger Jahre kaufen die Brüder Wohnungen und Häuser im Wert von mindestens 1,5 Millionen Euro. Das belegen Akten, die CORRECTIV vorliegen. Unter anderem besitzen sie ein Hotel mitten in der Stadt.

Ist das alles? Ein Informant der Polizei berichtet, die Zanettis hätten untergetauchten Mafiosi „Unterschlupf gewährt“. Giovanni Zanetti, sagt uns im Gespräch, er sei nach Deutschland gekommen, weil er sich im Knast verändert habe, weil er das „Negative“ hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen wollte. Das sei ihm in Deutschland gelungen.

Auch Roberto Totti* zieht es ins schöne Pforzheim. Der Polizei-Informant sagt, Totti sei ein Cousin von Zanetti. Einige Jahre zuvor hatte man Totti in Panama mit einem Koffer voll Kokain gefasst. Nun folgt er Zanetti, lebt sogar eine Weile in einer seiner Wohnungen. Heute handelt Totti mit Früchten. Zanetti sagt, er kenne diesen Cousin Roberto nur flüchtig. „Es gibt so viele Robertos hier.“

Heimstatt für Mafiosi

Das Bundeskriminalamt schätzt, dass etwa 550 Mafiosi in Deutschland leben. Das sind die aktenkundigen Kriminellen, Männer wie Zanetti Aber neben ihnen gibt es viele andere. Leute, die sich in Deutschland der Mafia angeschlossen haben, Strohmänner, Helfer der organisierten Banden, die ohne Akzent sprechen und zum Teil deutsche Nachnamen tragen. Es wäre falsch zu behaupten, es gebe nur 550 Mafiosi in Deutschland. Die tatsächliche Zahl dürfte weit höher liegen.

Sie alle profitieren von der deutschen Gesetzgebung. Gewinne der Mafia werden nicht automatisch beschlagnahmt, die Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung ist in Deutschland keine Straftat. Erst vor einigen Monaten wurden mehrere Mafiosi trotz Auslieferungsantrag aus Italien in Deutschland laufen gelassen. „Die Mafia könnte in Deutschland ein Vereinsheim eröffnen“, sagt ein Ermittler, „das wäre nicht strafbar“.

Deshalb ist auch Pforzheim so beliebt bei verurteilten Mafiosi.

Die Revolte der Stiddari

Die kriminelle Karriere von Giovanni Zanetti beginnt in Sizilien, in der Stadt Canicattì. Die flachen Dächer der ockerfarbigen Häuser erstrecken sich über mehrere Hügel der sizilianischen Provinz Agrigento. Dazwischen wachsen Palmen. In Canicattì existiert die Mafia seit Generationen. Sie heißt hier Cosa Nostra. Zanettis Familie gehört dazu.

Doch in den 80er und den 90er Jahren rebellieren junge Mafiosi aus Canicattì gegen die alten Bosse und gründen die Stidda. Ihre eigene Mafia. Bis zu 5000 Mann sollen teilweise dazu gehören. Blutige Kämpfe brechen aus, zwischen der alten Cosa Nostra und den Rebellen der Stidda. Über 300 Menschen sterben.

Stidda bedeutet auf sizilianisch „Stern“. Denn die Stiddari tätowieren sich oft einen kleinen, fünfzackigen Stern zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Als Erkennungszeichen.

In den Prozessakten der damaligen Fehde tauchen die Namen von Zanetti und dessen Bruder häufig auf. 1991, nach einem gescheiterten Anschlag auf einen Cosa-Nostra-Boss, flieht Giovanni Zanetti zusammen mit seinem Bruder nach Mannheim. Sie eröffnen eine Bar. Bald wird sie der Treffpunkt der Stiddari in Süddeutschland.

Ermittler hören die Mafiosi ab – und werden Zeuge, wie Zanetti und Co. im Mafia-Jargon über Waffenschmuggel sprechen. 1992 hält eine Polizeistreife Giovanni Zanetti in seinem Alfa Romeo an, um ihn und zwei Freunde zu kontrollieren. Im Kofferraum liegt eine schwarze Tasche. Als die Polizisten die Tasche öffnen wollen, überwältigen die drei Männer die Beamten, entwenden ihnen die Dienstwaffen und fliehen.

Die Polizei verfolgt die Brüder Zanetti nach Saarbrücken, ein Jahr später werden die beiden festgenommen. Sie werden an Italien ausgeliefert und zu langen Haftstrafen verurteilt.

Aus der Haft nach Deutschland

Nach 13 Jahren kommt Giovanni Zanetti frei. Prompt zieht er zurück nach Deutschland. Die Vergangenheit in der Mafia will er hinter sich gelassen haben.

Aber geht das? Wer der Mafia betritt, schwört eigentlich Treue bis zum letzten seiner Tage. Wer aussteigen will, hat zwei Möglichkeiten: Entweder kooperiert er mit der Justiz – oder er wird erschossen. Giovanni Zanetti lebt noch. Und er hat nicht mit der Justiz zusammengearbeitet.

Einige Zeit hatten Ermittler einen Informanten, einen sogenannten V-Mann, in der Nähe von Giovanni Zanetti platziert. Dieser vermutet, dass die beiden mit ihren Immobilien Mafia-Geld waschen. „Wenn du Geld wäschst, verdienst du ja auch. Du investiert und verdienst Geld, wirst immer reicher“, sagt der V-Mann. Es laufe immer gleich. Es gebe Männer, die nach Italien fahren und zurück. Sie würden das Geld holen. Belegt ist diese Aussage nicht.

Wir treffen Giovanni Zanetti in seinem Haus. Ein freundlicher Mann in grauer Arbeitskleidung mit einem festen Händedruck und kurzen Haaren. Er lädt uns ein, Platz zu nehmen. Müssen wir über das „Negative“ reden, fragt er. Giovanni Zanetti weist jeden Verdacht weit von sich. Die Immobilien seien durch ehrliche Arbeit verdient. Gerade erst sei er auf einer Baustelle gewesen. Er sagt, er habe das Geld für die Wohnungen, die Häuser zusammen mit Freunden aufgetrieben. Zunächst hätten sie kleine Wohnungen gekauft, renoviert und weiter vermietet. Dann größere Immobilien. Die Kredite der Bank würden durch die Mieteinnahmen mehr als gedeckt.

Bisher konnte ihm die deutschen Behörden nichts nachweisen: Es gab auch Finanzermittlungen gegen ihn, aber sie konnten den Verdacht der Geldwäsche nicht erhärten.

Stumpfe Waffen gegen die Mafia

„In Deutschland haben die Mafiosi ihr Mekka gefunden“, sagt der sizilianische Journalist Franco Castaldo, der den jungen Mafioso Giovanni Zanetti noch aus Canicattì kennt. Um hier ein Ermittlungsverfahren in Deutschland zu eröffnen, müssen zuerst kriminelle Handlungen nachgewiesen werden. Und das ist schwierig, wenn man mit organisiertem Verbrechen zu tun hat.

Den deutschen Ermittlern fehlt zudem das wichtigste Instrument, das in Italien zum besten Mittel im Kampf gegen die Mafia wurde: Das Abhören von Telefonaten. Dies wird nur in selten zugelassen. Und wenn es dazu kommt, sind die Kosten oft so hoch, dass nur über sehr kurze Zeit abgehört wird. Übersetzer, die nicht nur Italienisch verstehen, sondern auch noch sizilianische oder kalabresische Dialekte, sind teuer. Spricht man mit deutschen Ermittlern über ihren Kampf gegen die Mafia, hört man vor allem Frust.

Die Mafiosi schätzen Deutschland, weil hier ihr Vermögen sicher ist. In Italien muss ein verurteilter Mafioso beweisen, dass er sein Geld und seine Häuser legal erworben hat. In Deutschland ist es genau anders herum. Die Ermittler müssen nachweisen, aus welcher Straftat der Besitz stammt. Das ist fast unmöglich. So gibt es in etlichen Städten Ex-Knackis und Pizzabäcker mit Millionenvermögen. Eine Gesetzesänderung soll es bald leichter machen, Mafia-Vermögen zu beschlagnahmen. Noch dauert die parlamentarische Beratung an.

Der Mafia liegt viel daran, in Deutschland nicht aufzufallen. Soll jemand umgebracht werden, dann werden die Opfer nach Italien gelockt und dort erschossen. Die Mafia hat verstanden: So lange sie in Deutschland nicht tötet, gibt sie Politikern keinen Grund, sich Gedanken über härtere Anti-Mafia-Gesetze zu machen.

Zanetti will von all dem in seinem Hotel in Pforzheim nichts wissen. Die Vergangenheit müsse man ruhen lassen. Das alles sei vorbei. Er wolle jetzt in seine Zukunft investieren. Derzeit baut er das ehemalige Arbeitsamt von Pforzheim zu einem Wohnkomplex um.

*Namen geändert