Die Unheilerin
Diese Geschichte endet mit einer Geistheilerin, die eine Hochzeit verhindert. Mit einer Frau, die an Krebs stirbt. Mit einem Schweinskopf, der vor einer Tür liegt. Sie beginnt 2002 mit einer hoffnungsvollen Beziehung.
Dies ist eine gemeinsame Recherche mit RTL. Mehr zum Thema am 27.11. im RTL Magazin Extra um 22.15 Uhr und im RTL Nachtjournal um 00:00 Uhr (Direkt zum Film). Die Recherche ist zudem auf Welt Online veröffentlicht.
Maria Signer ist damals 35 Jahre alt, groß und schlank, langes blondes Haar. Radiomoderatorin. Auf der Suche nach einer Wohnung lernt sie Günther Reimann kennen. Reimann ist verheiratet. Er hat einen behinderten Sohn, um den er sich kümmert. Reimann und Signer (Namen geändert) werden ein Paar, ziehen zusammen.
Reimann ist heute Ende 40, drahtig und energetisch. Er spricht schnell und hitzig, er möchte lieber anonym seine schmerzlichen Erinnerungen an die vergangenen 15 Jahre erzählen. Er tritt bescheiden auf. Wie wohlhabend er mit seinen Immobiliengeschäften geworden ist, ahnt man erst, wenn man den Maserati und den Mercedes vor seinem Einfamilienhaus sieht.
Als Maria Signer und er sich kennenlernen, hatte sie weniger Glück und Erfolg gehabt. Eine schwere Kindheit, ein schweres Leben. Ihre Mutter erkrankte an Krebs, Signer kümmert sich. Die Mutter stirbt.
Die Angst vor dem Krebs
Günther Reimann sagt heute, seine Freundin sei immer rastlos gewesen, auf der Suche. Ein schwieriger Charakter. An anderen Menschen habe sie schnell etwas auszusetzen gehabt. Aber er habe ihr Temperament geliebt: „Je mehr Kanten ein Diamant hat, umso mehr funkelt er“. Er will sie glücklich machen. Als sie ein Cabrio will, kauft er ihr einen blauen Audi A3. Als sie ein Jahr später etwas Unauffälligeres möchte, tauscht er ihn gegen einen Kombi.
Trotzdem sucht Maria Signer ihr Glück außerhalb der Beziehung – in der Spiritualität. Paartherapie, Persönlichkeitscoaching, Energiearbeit. Dann lernt sie Sabine Rohwer kennen, eine Koryphäe der Geistheiler-Szene. Mit deren Hilfe will sie die Traumata ihres Lebens aufarbeiten – und die Angst vor dem Krebs bekämpfen.
Die Geistheilerei habe ihn schon am Anfang irritiert, sagt Reimann, ihm schien es, dass die Ängste nicht weggingen, im Gegenteil. Singer wird ängstlicher. Eigentlich mag sie Spa-Urlaube, aber plötzlich fürchtet sie sich vor angeblich krebsauslösenden Pilzen im Schwimmbad. Sie trinkt kein Wasser mehr aus Plastikflaschen. Sie hat Angst vor Strahlung: Das Handy muss im Auto aus bleiben. Fernsehen wird tabu, das gemeinsame Tatortschauen fällt aus. Reimann wird das zu viel. Er zieht aus.
Fasten gegen den Krebs
Im Jahr 2012 erkrankt auch Maria Signers Schwester an Krebs. Signer kümmert sich, aber am Ende des Jahres stirbt sie. Signer ist von der wissenschaftlichen Medizin enttäuscht.
Im Oktober wird auch bei ihr selbst Krebs diagnostiziert. Brustkrebs. Sie will es anders machen als Mutter und Schwester und wendet sich an die Alternativmedizin. Der Tumor aus ihrer rechten Brust wird zwar entfernt. Doch Chemotherapie, Hormonbehandlung oder Bestrahlung lehnt sie ab. Mindestens eines davon wäre angebracht gewesen, sagt heute Gerhard Ehninger, Professor für Innere Medizin am Uniklinikum Dresden, der mit dem Krankheitsverlauf vertraut ist. Stattdessen entschließt sich Signer, gegen den Krebs zu fasten – bei der Geistheilerin Sabine Rohwer.
Das Fasten dauert drei Monate. Signer glaubt, dass es erfolgreich war, dass der Krebs besiegt ist. Sie kehrt zurück, geht kaum zu den Nachsorgeuntersuchungen. Wenn Reimann sie danach fragt, wechselt sie das Thema.
2014 sind Reimann und Signer wieder zusammen. Ende des Jahres entdeckt sie Hubbel an Schulter und Kopf. Sie geht zu ihrer Heilerin. Sie hat ohnehin einen Termin: Sie soll auf einer Veranstaltung im Zentrum über ihre Erfahrung mit dem vermeintlich besiegten Krebs berichten. Anschließend glaubt Signer, dass die Hubbel unproblematisch sind, von einer Übersäuerung des Körpers rühren. Sie reibt sich mit Lauge ein. Die Hubbel bleiben.
Eine Villa in Norddeutschland
Januar 2015. Signer hat einen Zusammenbruch, einen Anfall, wird ohnmächtig. Signer und Reimann gehen in die Notaufnahme. Ein Blick des Onkologen reicht aus, es ist ernst. Der Brustkrebs ist zurück, ist auf die Haut, in Lymphknoten, Lunge und Gehirn vorgedrungen. Die Hubbel sind Metastasen.
Signer weint, Reimann will kämpfen. Wenn irgendwas hilft, versichert er seiner Freundin, dann wird das gemacht, egal was es kostet.
Reimann denkt an die weltbesten Spezialisten.
Signer denkt an Sabine Rohwer.
Reimann gibt nach. Er hofft, dass seine Partnerin im Zentrum der Heilerin wohnen und neben der Alternativmedizin auch schulmedizinische Behandlungen bekommen kann. Schließlich schreibt die Heilerin auf ihrer Webseite, sie sei „stets im Austausch mit Ärzten“. In ihrem Team sei auch ein Arzt.
Ausgelassene Stimmung
Das Zentrum heißt Animata Charité. Eine Villa in der norddeutschen Kleinstadt Eutin, eine Autostunde nördlich von Lübeck. Das Haus war früher einmal ein Virenforschungsinstitut. Seit 2012 wird hier Geistheilung getrieben. Im Erdgeschoss ein lichter Empfangssaal, Parkettboden. Im Keller die Küche, in der die Gäste bekochen werden. Im zweiten Stock sind vier Studios für die Patienten, mit den Namen: „Rose“, „Sonnenschein“, „Seeblick“ und „Morgenröte“.
Im ersten Stockwerk wohnt Sabine Rohwer: Mitte 50, langes blondes Haar. Eine charismatische, respekteinflößende Person.
Als Reimann und Signer ankommen, ist die Stimmung ausgelassen, wie auf einer Geburtstagsfeier. Endlich etwas Positives. Doch als Reimann nachfragt, wie die Behandlung ablaufen soll, wird er rausgeschickt, er soll mal mit Signers Hund Bono spazieren gehen, sagt Reimann. Zurück in der Villa sagt ihm die Heilerin nach seiner Darstellung, seine kritische Einstellung störe. Er solle vertrauen. Er will es versuchen.
Reimann übernimmt die Kosten, zunächst niedrige Summen, die allmählich steigen. Über den ganzen Zeitraum gerechnet überweist er etwa 18.000 Euro im Monat. Er will das Beste für seine Freundin tun.
Andere Welt
Schon bald aber hat Reimann den Eindruck, dass die Heilerin andere Behandlungen als die ihren unterbinden will. Dass er immer hinterher sein muss, damit seine Freundin die richtigen Medikamente bekommt, Keppra gegen die epileptischen Anfälle, Cortison gegen Schwellungen. Er versucht Ärzte zu organisieren, die die Behandlung unterstützen sollen. Von der Heilerin fühlt sich Reimann bei diesen Bemühungen behindert.
Ab und zu fährt Signer zu ärztlichen Untersuchungen, bei Notfällen etwa, wenn sie mal wieder ohnmächtig geworden ist. Als der Krebs weiter vordringt, lässt sie sich bestrahlen. Die Tumore gehen zurück, doch Signer bricht die Behandlung vorzeitig ab. Stattdessen: Geistheilung, Naturheilkunde, „Homöopathische Krebstherapie“.
Nach und nach verschärft sich die Lage. Einmal sieht Reimann im Heilzentrum eine Patientin, der es schlecht geht. Sie war über Weihnachten in einer Klinik. Reimann erinnert sich, die Geistheilerin habe gesagt, dass das eben davon komme, wenn man sich schulmedizinisch behandeln lasse.
Warum spielt Günther Reimann weiter mit?
In der Animata Charité sei er wie benebelt gewesen, sagt er. Die Heilerin redet ihm laut seiner Darstellung ein: Seine negative Einstellung störe die Heilung. Er müsse daran glauben – oder sich fernhalten.
Reimann will glauben. Daran, dass er richtig gehandelt hat. Dass die Liebe seines Lebens gesund wird. Den Geldhahn abzudrehen, bringt er nicht übers Herz.
Ein Keil zwischen Patient und Angehörigen
Im April 2015 regt Sabine Rohwer an, dass die beiden heiraten. Reimann ist begeistert, bestellt Ringe, kauft einen neuen Anzug, macht beim Notar einen Ehevertrag. Ihm ist wichtig, dass sein Sohn versorgt ist. Signer scheint der Vertrag nicht zu interessieren. „Hase, ich vertraue Dir“, sagt sie. Doch einen Tag vor der Hochzeit will die Heilerin den Vertrag sehen.
Signer soll einmalig 300.000 Euro bekommen, falls Reimann etwas zustößt, plus 10.000 Euro im Monat als Rente. Rohwer rät Signer, den Ehevertrag nicht zu unterschreiben. Die Hochzeit platzt. Reimann rastet aus, wirft den Esstisch um, beschimpft die Heilerin. Rohwer erteilt ihm Hausverbot.
Bei Kritik würden Heiler häufig einen Keil zwischen Patienten und Angehörigen treiben, sagt Sabine Riede von der Beratungsstelle „Sekteninfo NRW“. Dadurch werde der Patient isoliert. Je mehr der Angehörige dann auf Konfrontation geht, desto mehr treibt er den Patienten in die Arme des Scharlatans.
Eingeschüchtert
Maria Signer liefert sich ganz der Heilerin aus. Nur einige Tage nach dem geplanten Hochzeitstermin lässt sie die Heilerin beim Notar als Erbin einsetzen, erteilt ihr dazu medizinische und finanzielle Vollmachten.
Reimann vermutet, dass Rohwer den Ehevertrag boykottiert hat, weil sie sich selbst bereichern wollte. Er kann seine Freundin nicht mal mehr besuchen, sagt er heute. Und doch zahlt er weiter.
Als es Signer in den nächsten Monaten schlechter geht, sucht Reimann eine Pflegerin aus und lässt sie im Heilzentrum arbeiten. Die beiden Frauen verstehen sich auf Anhieb, freunden sich an. Die Pflegerin berichtet, dass Maria Signer im Heilzentrum leidet, aber es aus Angst draußen früher zu sterben nicht verlässt. Dass sie in Anwesenheit der Heilerin total eingeschüchtert ist. Und dass Sabine Rohwer die Nähe zwischen Pflegerin und Patientin zu stören scheint. Es kommt zum Konflikt, Rohwer erteilt der Pflegerin Hausverbot.
Stattdessen kommt eine andere Helferin, von der sich Signer aber bedroht fühlt. Der Streit eskaliert, ein Freund Signers ruft die Polizei. Erst jetzt verlässt Signer das Heilzentrum Animata.
Die Heiler verlieren ihre wichtigste Kundin. 16 Monate ist sie geblieben, die längste Zeit über war sie die einzige Patientin, die dort langfristig war, sagt Reimann.
Es ist mittlerweile Mai 2016, Signer ist todkrank. Zusammen mit ihrem Partner irrt sie durch Kliniken in Deutschland und der Schweiz. Im Juli schlägt Signer zunächst auf eine Kombination aus Hormon- und Immuntherapie an. Doch die Ärzte müssen die Behandlung abbrechen, weil die Patientin an einer Infektion leidet. Die Ärzte vermuten einen Portkatheter als Ursache. Wie aus medizinischen Unterlagen ersichtlich, hat sie durch ihn in dem Heilzentrum etwa Vitamin C verabreicht bekommen.
Erst Miete zahlen
Jetzt versucht sich Maria Signer von ihrer Heilerin zu lösen. Doch sie schafft es nicht. Am 25. August, im Hospiz, will sie ein letztes Mal Sabine Rohwer sehen. Nachdem sich die beiden unterhalten haben, bekommt Reimann eine Rechnung über 4000 Euro. Am selben Tag bekommt er eine E-mail: Die Heilerin werde, wie mit Signer besprochen, noch „ein paar Dinge für sie organisieren“. Vorher müsse jedoch die Juni-Miete in Höhe von 4000 Euro überwiesen sein.
Am 30. August 2016 stirbt Maria Signer.
Die Bilanz: Reimann hat fast 290.000 Euro an die Animata GmbH und die Animata Charité in 16 Monaten bezahlt. Für das gefährliche Vitamin B17 und zahllose alternative Mittel. Für Unterkunft und Verpflegung seiner Freundin, ihrer Pflegerin und ihm selbst, wenn er mal zu Besuch ist. Für Beratungen und Gespräche. Für die Hundepauschale.
Maria Signer war spätestens seit der Tumor ins Hirn metastasierte wohl nicht mehr heilbar. Eine angemessene Chemotherapie und Bestrahlung aber hätten ihr Leben um Monate oder Jahre verlängert, sagt der Onkologe Gerhard Ehninger. Hätte sie nach der ersten Diagnose 2012 ihre Krankheit konsequent behandelt, hätte es sogar eine Chance auf Heilung gegeben.
Gerechtigkeit
Schwarze Schafe gibt es überall. Aber Sabine Rohwer ist mehr als das. 2015 und 2016, als sich die Tragödie abspielt, ist sie Vorsitzende des „Dachverbands Geistiges Heilen e.V.“, der wichtigsten Organisation von Geistheilern Deutschlands, mit nach eigenen Angaben 5000 Mitgliedern. Sie hat viele Heiler selbst ausgebildet, ist eine zentrale Figur der Szene. Sie fordert, Naturheilkunde solle zur dritten Säule des Gesundheitssystems werden – neben Ärzten und Heilpraktikern.
Reimann will Gerechtigkeit. Er sagt, es gehe ihm nicht ums Geld, er wolle, dass Rohwer niemandem mehr schaden kann. Er erstattet Strafanzeige, wegen gewerbsmäßigen Betruges, Wuchers, Misshandlung Schutzbefohlener, unterlassener Hilfeleistung und vorsätzlicher Körperverletzung. Die Staatsanwaltschaft Lübeck ermittelt.
Für die Sektenkennerin Sabine Riede sind Geistheiler eine unterschätzte Gefahr. Die Problemfälle, die an ihr Büro gemeldet werden, häufen sich. 2009 waren es noch 42, 2016 schon 78. Offizielle Statistiken fehlen.
Die Branche ist gesetzlich kaum geregelt, zuständig für sie sind nicht die Gesundheits-, sondern die Gewerbeaufsichtsämter. Die Sektenexpertin kennt keinen Fall, in dem einem Geistheiler aufgrund unseriöser Arbeitsweise die weitere Gewerbeausübung untersagt wurde.
„Ungeklärte Sachlage“
Um sich rechtlich abzusichern, reicht es, wenn die Geistheiler in ihren Räumen ein Schild aufstellen, dass sie nicht vom Arztbesuch abraten und keine Diagnosen durchführen. Was dem Patienten im Gespräch suggeriert wird, weiß niemand. Die Branche will sich selbst regulieren: Der Dachverband der Geistheiler hat sich einen Ethikkodex auferlegt. Dort heißt es etwa: „Klienten dürfen nicht getäuscht, manipuliert oder subtil beeinflusst werden“.
Reimann wendet sich mit einem Brief an den Verband. Hat Rohwer nicht klar gegen den Kodex verstoßen? Der Verband antwortet: Man sei nicht zuständig, da Rohwer persönlich beim Verband Mitglied ist, nicht die Animata GmbH. Auf den Vorgang angesprochen, antwortet die heutige Vorsitzende, dass „die Sachlage bis dato nicht geklärt werden konnte“.
Reimann findet keine Ruhe, ist an seine Grenzen gekommen, geistig, körperlich, finanziell. Heute braucht er therapeutische Hilfe. Gegen ihn wird zwischenzeitlich ermittelt, er soll einen Schweinskopf auf das Animata-Anwesen gebracht und die Einrichtung mit Blut besudelt haben.
Sabine Rohwer praktiziert immer noch. Zu der Geschichte Reimanns hat sich die Heilerin nicht geäußert. Sie ist nun Geschäftsführerin eines neuen Zentrums, Holistic Care GmbH in bester Lage Hamburgs. Auf der Webseite präsentiert sie sich als „anerkannte Heilerin nach den Richtlinien des Dachverbands Geistiges Heilen e.V.“.
Als Anwendungsbereiche werden alle möglichen Krankheiten genannt: Herzprobleme, Rheuma, Multiple Sklerose, Demenz. Weitere auf Anfrage.
Gemeinsam mit „RTL“ zeigen wir in einem Film, wie Geschäfte mit der Krankheit gemacht werden. So zocken einige Geistheiler ihre Patienten ab.