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Nitrat in NRW: Der Nährstoff, der zum Gift wird

Es stinkt zum Himmel: Seit Jahrzehnten belastet Nitrat-Stickstoff aus Gülle die Böden, die Flüsse und das Grundwasser in Deutschland und NRW. Das hat Folgen für Mensch und Umwelt. Doch die Politik blieb lange untätig. Die EU-Kommission verklagte Deutschland im November sogar wegen mangelhaften Gewässerschutzes. Eine neue Gesetzgebung sollte der Befreiungsschlag werden. Doch daraus wird wohl nichts. Eine Recherche der CORRECTIV-Datenjournalismus-Fellows.

von Henning Brinkmann

© AgroscopeGabrielaBraendlePflanzenernährungHofdüngerGülle20170216DSC1308 von Agroscope unter CC BY-ND 2.0

Dieser Artikel ist Teil unserer Serie Nitrat in NRW

In NRW sind rund 40 Prozent der Grundwasserkörper wegen hoher Nitratbelastung in einem chemisch schlechten Zustand. Bundestag und Bundesrat haben im Frühjahr Maßnahmen verabschiedet, um die Nitratbelastung endlich zu senken. Nicht ganz freiwillig – sollte die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof Erfolg haben, drohen Deutschland täglich Strafzahlungen in sechsstelliger Höhe. Zum Vergleich: Frankreich muss wegen Verstößen gegen die Nitratrichtlinie voraussichtlich rund 3 Milliarden Euro Strafe zahlen.

Auch in NRW macht die Gülle seit Jahren Probleme. Henning Brinkmann, Patricia Ennenbach, Phil Ninh, Christina Rentmeister und Kathy Ziegler sind ein Jahr lang der Frage nachgegangen, wo die Nitratbelastung am größten ist und was Politik und Landwirte bislang dagegen tun. CORRECTIV und die LfM-Stiftung Partizipation und Vielfalt betreuten die Recherche im Rahmen des Fellowships „Datenjournalismus in NRW“.

Für die Recherche gewährte das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Zugriff auf die Rohdaten aller landeseigenen Grundwassermessstellen für die Jahre 2000 bis 2016. Die Journalisten des Fellowships werteten diese Daten aus, recherchierten zu den Umweltfolgen der Nitratbelastung und besuchten die besonders betroffenen Regionen: Borken, Petershagen und Viersen

Nun wird klar: Die jetzt verabschiedeten Gesetze und Verordnungen, um die Politik, Wirtschaft, Umwelt- und Bauernverbände jahrelang kämpften, feilschten und schacherten, greifen zu kurz.

Zwar sind künftig auch Gärreste aus Biogasanlagen zu berücksichtigen, wenn der Düngebedarf ermittelt wird. Zwar werden die Zeiträume ausgeweitet, in denen keine Gülle gefahren werden darf. Zwar sollen mit neuer Technik Ammoniakemissionen gesenkt werden.

Reform schafft neue Schlupflöcher

Doch alte Schlupflöcher wurden durch neue ersetzt, kritisieren Experten. Ein Beispiel ist die geplante „Stoffstrombilanz“ – sie ist einer der zentralen Bausteine im neuen Düngerecht.

Die Idee: Alles, was an Nährstoffen wie Nitrat oder Phosphat einem landwirtschaftlichen Betrieb zugeführt oder entzogen wird, muss künftig lückenlos aufgezeichnet und miteinander verrechnet werden. So soll sichergestellt werden, dass Höchstgrenzen bei der Düngerausbringung nicht überschritten werden. Bis 2018 soll die Regelung für besonders viehstarke Betriebe gelten, bis 2023 für alle größeren Betriebe.

Doch plötzlich gibt es im Verordnungsentwurf der Bundesregierung zur Stoffstrombilanz „auf wundersame Weise zusätzliche Abzugsmöglichkeiten für Stickstoff und Phosphor“, kritisiert der agrarpolitische Sprecher der SPD, Wilhelm Priesmeier. Wegen „Messungenauigkeit“, so heißt es in Anlage 5 des CORRECTIV.Ruhr vorliegenden Verordnungsentwurfes, können bei der Bilanzierung der Gülleströme künftig pauschal 20 Prozent abgezogen werden.

Ein Beispiel: Verkauft ein Landwirt dem anderen ein 2000-Liter-Fass mit Gülle, kann der Abnehmer künftig 20 Prozent der Menge abziehen – er übernimmt rechnerisch nur 1600 Liter Gülle, obwohl immer noch 2000 Liter im Fass sind.

Deutschland drohen weiterhin Strafen

„Mit dieser Verordnung werden wir die Strafzahlungen aus den laufenden Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland nicht abwenden können“, sagt Priesmeier. „Die SPD kann dem Entwurf in dieser Form nicht zustimmen.“

Auch Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim WWF, ist sich sicher: „Mit dieser Düngeverordnung bleibt Deutschlands Nitrat-Misere bestehen. Wir werden recht sicher die Vorgaben der EU-Nitratrichtlinie weiter nicht einhalten. Das Artensterben auf überdüngten Äckern und in belasteten Gewässern wird weitergehen. Die Qualität des Trinkwassers steht in vielen Gebieten Deutschlands weiter auf dem Spiel.“

In den Tenor der Kritiker stimmt auch die Wasserwirtschaft mit ein: Der Bund Deutscher Energie- und Wasserversorger (BDEW) forderte schon im Februar in einem Schreiben an die EU-Kommission, dass diese am laufenden Klageverfahren festhalten solle – trotz der bundesdeutschen Gesetzesnovelle.

„Nach unserer Auffassung bedeuten auch die jetzt vorliegenden Änderungen keine nachhaltige Verminderung der Nitrat-Verschmutzung“, heißt es in dem Schreiben. Langfristig könnten die Trinkwasserpreise in besonders stark belasteten Regionen eklatant steigen, weil dort Nitrat bei der Trinkwassergewinnung mit hohem Kostenaufwand entfernt werden muss. Der BDEW fordert in einer Stellungnahme gegenüber CORRECTIV.Ruhr, die Stoffstrombilanz ab 2018 für alle Betriebe einzuführen und die Schlupflöcher des Referentenentwurfs zurückzunehmen.

Einzig der Deutsche Bauernverband (DBV) begrüßt den Kompromiss im Düngerecht. Der Verband habe „seinen Frieden damit gemacht“, auch wenn die Landwirte dadurch nun vor zusätzlichen Herausforderungen stünden, sagt DBV-Sprecher Michael Lohse. Die Verordnung leiste „einen weitreichenden Beitrag für die schwierige Balance zwischen den Belangen der Lebensmittelerzeugung und des Gewässerschutzes“. Das eingeleitete EU-Vertragsverletzungsverfahren habe „keine Grundlage mehr“.