CORRECTIV.Ruhr

Klimakrise lokal: Mailand oder Gelsenkirchen? Hauptsache Italien!

Der Klimawandel hat längst das Ruhrgebiet erreicht. Besonders ist er in den Städten der Region zu spüren. Ein Beispiel ist Gelsenkirchen. Extremere Niederschläge auf der einen Seite, längere Dürreperioden und steigende Temperaturen auf der anderen. Forscher prognostizieren bald italienische Verhältnisse für die Ruhrgebietsstadt. Vom 20. bis 23. Januar werden im Rahmen unserer CORRECTIV-Klimawoche in Gelsenkirchen darüber sprechen.

Die Lichtinstallation ÑConsol Gelbì von G¸nther Dohr auf dem Fˆrdertum der ehemaligen Zeche Consolidation.
Künftiges Urlaubsparadies Gelsenkirchen? (Foto: Stadt Gelsenkirchen)

Von Tobias Hauswurz

In den vergangenen Jahrzehnten ist Gelsenkirchen immer wärmer und feuchter geworden. Die Zahlen der aktuellsten Stadtklimaanalyse sprechen eine deutliche Sprache: Die Temperatur hat sich in den letzten 50 Jahren im Schnitt um 1 Grad erhöht. Und es geht weiter bergauf. Messwerte bis 2018, die wir auf Anfrage von der Stadt erhielten, bestätigen den Trend. Forscher sagen voraus, dass das Gelsenkirchener Klima am Ende dieses Jahrhunderts mit dem südlich der Alpen vergleichbar sein wird. Bedeutet das bald, Zitronenbäume in Gelsenkirchener Reihenhausgärten, Urlaub am Emscherstrand, statt am Gardasee und belebte Flaniermeilen wie in Mailand?

Zur Urlaubsregion wird sich Gelsenkirchen wohl nicht entwickeln. Die Veränderung des Stadtklimas hat seine Schattenseiten: Die Feuerwehr verbucht schon jetzt mehr Einsätze aufgrund von Wetterextremen, die gesundheitlichen Belastungen für Einwohner nehmen zu. Dabei sind die Prognosen noch moderat. Das benutzte Modell der Stadtklimaanalyse geht davon aus, dass die Weltbevölkerung bald langsamer wächst, Kohle, Öl und Gas nach und nach durch erneuerbaren Energien ersetzt werden – und dadurch die Treibhausgasemissionen zurück gehen.

Wann wird’s mal wieder richtig Sommer? 2051!

Der Klimawandel lässt nicht nur die Gelsenkirchener Durchschnittstemperatur steigen. Er sorgt auch dafür, dass der Sommer deutlich länger wird. Vor 20 Jahren gab es im Schnitt rund 27 Sommertage, also Tage mit einer Temperatur von 25 Grad Celsius und mehr. 2051 könnten es schon 54 solcher Tage sein. Das ließe sich vielleicht aushalten. An mehr als einem Dutzend Tagen im Jahr rechnen Forscher aber auch mit mindestens 30 Grad. Längere Hitzewellen und mehr Tropennächte inklusive. Spätestens dann wird es bedenklich für die Gesundheit. Besonders Kindern und älteren Menschen setzen die höheren Temperaturen zu. 

Den heißeren Sommer stehen mildere Winter gegenüber. Ein Drittel weniger Frost-, drei Viertel weniger Eistage prognostizieren die Forscher. Das heißt, nur noch an gut 24 Tagen im Jahr, wird die Temperatur überhaupt unter Null Grad fallen. “Entsprechend werden auch die Tage mit Schneefall reduziert”, heißt es in der Klimaanalyse für Gelsenkirchen.

Städte vom Klimawandel besonders betroffen

Gelsenkirchen hat diese Probleme nicht exklusiv. Aber: Hohe Bevölkerungsdichte, zubetonierte Innenstädte, weniger Grün und dreckige Luft – all das führt dazu, dass Ruhrgebietsstädte wie Gelsenkirchen “in besonderem Maße vom Klimawandel betroffen sind und künftig sein werden”, heißt es in der Klimaanalyse. Die Temperaturkurve zeigt hier steiler nach oben als im Rest von Nordrhein-Westfalen: Während die Temperatur im NRW-Schnitt um 1 Grad Celsius pro Jahrhundert steigt, sind es in Gelsenkirchen 2,3 Grad in 100 Jahren.

Aber nicht nur zwischen Städten und ländlichen Gebieten gibt es Unterschiede. Der Klimawandel prägt sich auch in Stadtteilen unterschiedlich stark aus – in den dicht bebauten Stadtzentren steigen die Temperaturen extremer. Der Beton der Häuser und der Straßenbelag speichern die Wärme und geben sie nur langsam wieder an die Umgebung ab. Die Folge: Schon jetzt gibt es in den Stadtzentren mehr heiße Nächte, als in anderen Stadtteilen. Wie der Hitzeinseleffekt vor allem nachts wirkt, weiß Professor Stefan Greiving. Er leitet das Institut für Raumplanung an der TU Dortmund und forscht zu Folgen des Klimawandels. „Das kann zu acht bis zehn Grad höheren Nachttemperaturen gegenüber dem ländlichen Umland führen“, erklärt er.

In Gelsenkirchen gibt es gleich mehrere solcher Hotspots. Neben einigen kleineren, sind es vor allem die beiden Stadtzentren Buer und Altstadt. Sie leuchten in der Visualisierung der Forscher dunkelrot wie die Herdplatten auf einem Ceranfeld. 

Detailarbeit im Quartier

Am Rande einer solchen Herdplatte wohnt Wilfried Reckert. Der Rentner hat Glück: “Wir haben den Wald quasi direkt vor der Haustür. Ist es zu heiß, flüchte ich da rein.” Doch er kennt das Problem. Reckert war jahrelang Seniorenbeauftragter der Stadt Gelsenkirchen. Heute engagiert er sich für seinen Stadtteil Buer. Er ist Teil des Koordinierungsbüros des Quartiersnetztes. Sein Quartier heißt Buer-Ost. Das Projekt will älteren Menschen helfen, dass sie möglichst lange und selbstbestimmt in ihren eigen vier Wänden leben können. Dabei spielt auch das Thema Hitze eine Rolle. 

Reckert und seine Mitstreiter wollen die Menschen im Quartier sensibilisieren. Für mehr Grün in der buerschen Innenstadt – gegen zubetonierte Vorgärten, unbegrünte Carports, Garagen- und Flachdächer. Es soll helfen, das Leben auf der Hitzeinsel Buer ein wenig erträglicher für alle zu machen. “Das ist für uns ein großes Thema, wir müssen da noch viel Überzeugungsarbeit leisten”, sagt Reckert. Auch den Neubau des buerschen Busbahnhofs hat das Quartiersnetz kritisch begleitet. “Im ersten Entwurf war es uns zu viel Beton. Zu wenig Bäume.” Bäume, die wichtigen Schatten spenden, während die Menschen auf den Bus warten. “Die Stadt hat dann nachgebessert, die nächsten Entwürfe haben uns besser gefallen”, sagt Reckert.

Die Feuerwehr wappnet sich

Im Sommer wird es aber nicht nur heißer, sondern auch trockener. Guido Halbig, Meteorologe und Chef der Essener Niederlassung des Deutschen Wetterdienstes, sagt: “Normale Niederschläge werden im Sommer abnehmen und im Winter zunehmen. Es wird zu schweren Extremniederschlägen kommen.” 

Das bekommt die Gelsenkirchener Feuerwehr zum Teil schon zu spüren. Am heftigsten zuletzt am 18. Januar 2018. Vollgelaufene Keller, überschwemmte Straßen, umgestürzte Bäume – das volle Programm. 220 Unwettereinsätze zählt die Feuerwehr an diesem Tag. Und sie muss immer häufiger raus. Das beobachtet auch Daniel Hüwe, Abteilungsleiter Gefahrenabwehr und Rettungsdienst der Gelsenkirchener Feuerwehr. “Wir können nicht bewerten, ob das eine Folge des Klimawandels ist. Aber wir sind was Unwetter angeht mittlerweile besonders sensibilisiert.” 

Fakt ist: Die Einsatzzahlen wegen Unwettern steigen. Im letzten Jahr erfasste die Statistik der Feuerwehr Gelsenkirchen fast 40 Prozent mehr Einsätze als noch 2015. 2018 waren es sogar fast 100 Prozent mehr. Die Feuerwehr wappnet sich: “Für solche Tage haben wir mittlerweile Einsatzkonzepte in der Schublade”, erklärt Hüwe. “Wir gehen auch davon aus, dass das weiter zunehmen wird.” Deshalb steht die Gelsenkirchener Feuerwehr regional und überregional mit anderen Feuerwehren in Kontakt. “Wir arbeiten eng zusammen, auch um unsere Einsatzkonzepte noch weiter zu verbessern”, sagt Hüwe.

Klimawoche Gelsenkirchen 

Vom 20. bis 23. Januar 2020 findet nach Dortmund, Bochum und Essen die vierte CORRECTIV Klimawoche in Gelsenkirchen statt. Am 1. Tag wird Daniel Hüwe, Abteilungsleiter Gefahrenabwehr und Rettungsdienst der Gelsenkirchener Feuerwehr zu Gast sein. Am 3. Tag Wilfried Reckert vom Quartiersnetz Buer. Alle vier Veranstaltungen dieser Klimawoche finden in der Buchhandlung Lothar Junius in der Sparkassenstraße 4 in Gelsenkirchen statt. Beginn ist Montag bis Donnerstag jeweils um 19 Uhr. Die Veranstaltungen sind kostenlos.

Weitere Infos zu den Veranstaltungen finden Sie hier: 
Tag 1 – Die Klimakrise lokal
Tag 2 – Die größten Klimalügen
Tag 3 – Die Verkehrswende vor Ort
Tag 4 – Aktivismus vs. Realpolitik