Starkregengefahrenkarten: Klimakrise drängt Kommunen zu mehr Transparenz
Die Klimakrise wird dafür sorgen, dass immer häufiger Starkregen fällt. Wo und wann kann nur schwer vorhergesagt werden. Kommunen und Hausbesitzer müssen sich vorbereiten. Die Städte im Ruhrgebiet haben haben die Dringlichkeit erkannt. Sie bilden Starkregenberater aus und veröffentlichen Gefahrenkarten, damit sich Hausbesitzer besser schützen können. Vor Jahren gab es dagegen noch massive Widerstände.
Von Tobias Hauswurz
Wenn Starkregen fällt, hilft kein Schirm und keine Regenjacke. Man wäre trotzdem in Sekunden durchnässt – und sollte ohnehin lieber flüchten. Starkregen lässt Straßen zu Flüssen werden, Kanalisationen über- und U-Bahn-Stationen volllaufen.
Wie am 26. Juli 2008 in Dortmund, als die Wassermassen ganze Straßenzüge der Stadtteile Marten und Dorstfeld verwüsteten. Oder als Starkregen am 20. Juni 2013 die Bochumer Ruhr-Uni lahmlegte und ganze U-Bahnhöfe unter Wasser standen. In Duisburg war die Kanalisation im Sommer 2018 durch die Regenmassen völlig überlastet. Die Liste ließe sich noch lange weiterführen. Die Folgen für die Menschen sind häufig fatal.
“Die Naturgefahr Starkregen wird in Deutschland notorisch unterschätzt”, sagt Andreas Becker, Leiter des Referats für Niederschlagsüberwachung des Deutschen Wetterdienstes. Dabei kann kann es jeden treffen. Hausbesitzer, Mieter, Gewerbetreibende. Viele von ihnen haben sich noch nie mit der Gefahr auseinandergesetzt. Bis ihr Keller geflutet wird, ihr Garten unter einer Schlammlawine verschwindet oder ihr Auto zerstört ist. Bis es zu spät ist.
Transparenz trotz Widerstände
Die Gefahr ist jetzt schon da und wird sich noch verschlimmern. Der Klimawandel wird dafür sorgen, dass in Zukunft immer mehr Menschen von Starkregenkatastrophen heimgesucht werden. Experten vom Deutschen Wetterdienst gehen davon aus, dass Starkregenereignisse in den kommenden Jahrzehnten um bis zu 50 Prozent zunehmen werden. “Theoretisch können schon heute in ganz Deutschland 400 Liter Regen pro Quadratmeter am Tag fallen”, erklärt Andreas Becker. Das sind zwei große Badewannen voll Wasser. Wegen des Klimawandels könnte die Maximalsumme bald bis zu viereinhalb Mal so hoch sein, prognostiziert der Meteorologe. Neun Badewannen auf einem Quadratmeter. Keine Kanalisation kann auch nur ansatzweise solche Wassermengen aufnehmen.
Deshalb reagieren jetzt nach und nach mehr Städte und Gemeinden und schaffen Transparenz. Mit Starkregengefahrenkarten sollen Hausbesitzer die Gefahr für ihr Grundstück abschätzen können. Auf den Karten könne sie auf die Hausnummer genau erkennen, wie hoch das Wasser bei einem extremen Starkregenereignis auf ihrem Gründstück stehen würde. Vor Jahren gab es noch massive Widerstände gegen die Veröffentlichung der Karten.
Im Zweifel geht es um Menschenleben
Schon 2018 hatte das Umweltministerium in NRW auf Correctiv-Anfrage die Ansage gemacht: „Aus der Sicht unseres Hauses ergibt sich grundsätzlich die Veröffentlichung der Informationen, damit alles getan werden kann, um solche Gefährdungen zu vermindern und die daraus resultierenden Schäden zu verhindern.” Schließlich gehe es auch um Menschenleben. Als am 27. Juli 2014 in Münster die Wolken platzten und so viel Regen in Stunden viel, wie sonst in Wochen, starben zwei Menschen in den Fluten.
Hintergrund
Starkregen NRW: Welche Straßen sind flutgefährdet? (CORRECTIV, 2018)
Starkregen: Wenn die Stadt zum Schwamm werden muss (CORRECTIV, 2018)
Im Regen stehen gelassen (CORRECTIV, 2016)
Explizit sind die Kommunen rechtlich nicht verpflichtet, Starkregengefahrenkarten zu veröffentlichen. Sie müssen sich aber für die Folgen des Klimawandels wappnen. Dafür gehört für immer mehr Städte auch Starkregen. „Der beste Schutz vor Überflutungen oder Wasser im Haus ist eine gut informierte Bevölkerung. Daher war es keine Frage, die Starkregengefahrenkarte zu veröffentlichen”, schreibt zum Beispiel die Stadt Gelsenkirchen auf Anfrage. Ähnliche Erkenntnisse sickern in den Rathäusern des Ruhrgebiets mehr und mehr durch.
Angst vor Werteverlust
Das war nicht immer so. „Heiß“ sei es zugegangen, erinnert sich Thomas Brüggemann, Projektentwickler beim Institut für Unterirdische Infrastruktur IKT, als Gemeindevertreter in Gelsenkirchen über die Frage stritten, ob diese Karten nach der Fertigstellung im Internet überhaupt als Ganzes veröffentlicht werden sollten. Ingenieure wie Brüggemann entwickeln am IKT Vorsorgemaßnahmen für Starkregenereignisse.
Die Angst damals: Starkregengefahrenkarten könnten Grundstückspreise sinken lassen. Auch beim Thema Datenschutz hatten einige Städte Bedenken. Der Gedanke liegt nah: Welcher Hausverkäufer will schon, dass potenzielle Käufer Bilder von schlammüberfluteten Kellern im Kopf haben. “Es wird inzwischen bei den Kommunen und auch bei vielen Rechtsanwälten die Auffassung vertreten, dass die Risiken größer sind, wenn man Starkregenkarten nicht veröffentlicht”, sagt Brüggemann. “Diese Risiken, auch für Leib und Leben, wiegen schwerer, als Datenschutz und Werteverfall.”
Den Kommunen geht bei der Veröffentlichung noch etwas anderes durch den Kopf. „Wir brauchen die Unterstützung von Hausbesitzern, um die Gefahr von Starkregen einzudämmen”, sagt Ralf Engels vom Tiefbauamt der Stadt Bochum. Seine Stadt hat die Starkregengefahrenkarte fertiggestellt, im Mai soll sie veröffentlicht werden. “Wir planen derzeit noch das Beratungsangebot”, erklärt Engels.
Das ist wichtig, damit die Karten nicht falsch interpretiert werden. Anwohner können auf die Hausnummer genau erkennen, wie hoch die theoretische Gefahr ist, abzusaufen. Milimeterangaben, verschiedene Starkregenszenarien, Wasserläufe – für Laien sind die Starkregengefahrenkarten häufig schwer zu lesen. Auch ein einheitlicher Standard fehlt.
Ständiges Abwägen
Deshalb hat die Stadt Bochum, wie andere Kommunen auch, Mitarbeiter zu Starkregenexperten ausbilden lassen. Bei Thomas Brüggemann und seinen Kollegen vom IKT in Gelsenkirchen. 40 solcher Experten hat das IKT bisher zertifiziert. Sie sollen in den Kommunen Hausbesitzer beraten. Welche Maßnahmen sind nötig? Reichen wasserdichte Kellerfenster oder eine kleine Mauer vor dem Haus? Oder muss die Stadt auf der Straße etwas baulich verändern? “Wir sind laufend dabei, die Starkregenkarte auf Hotspots zu überprüfen, Gefährdungen abzuschätzen und Maßnahmen zur Verminderung zu planen beziehungsweise mit den Betroffenen zu kommunizieren”, sagt die Stadt Essen dazu.
Auch in den anderen Ruhrgebietsstädten sind die Starkregengefahrenkarten nicht nur für die Bürger gedacht. Die Stadtverwaltungen wollen die Erkenntnisse der Karten in Zukunft in der Stadtplanung berücksichtigen. Doch was Starkregenexperten empfehlen, um extremer Wassermassen Herr zu werden, dürfte in vielen Städten für Streit unter den zuständigen Dienststellen sorgen.
So sind zum Beispiel die meisten Gullis an Straßenrändern falsch angeordnet – mit Streben quer zur Fahrbahn. Was Radfahrer vor schweren Stürzen bewahrt, lässt Sturzfluten über die Gullis hinwegrauschen. Das Wasser fließt nicht richtig ab. Außerdem sollten Hauptstraßen aus Sicht der Experten mit extra hohen Bordsteinen ausgestattet sein, damit sie bei Starkregen wie ein Kanal funktionieren. Der Trend in den Städten geht aber in die andere Richtung: Niedrige Bordsteine, damit gehbehinderte Menschen besser zurecht kommen. “Wir sind ständig dabei abzuwägen”, erklärt Ralf Engels vom Bochumer Tiefbauamt.
Starkregen ist bei Versicherungen längst Thema
Neben den Städten haben vor allem Versicherer die Gefahr von Starkregen erkannt. Warum ist klar: Es geht um viel Geld. 1,3 Millarden Euro Schaden hat Starkregen in Nordrhein-Westfalen zwischen 2002 und 2017 verursacht. Das hat Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem Deutschen Wetterdienst berechnet.
Um bei solchen Schäden nicht alleine auf den Kosten sitzen zu bleiben, können Hausbesitzer eine Elementarschadenversicherung abschließen. Sie greift zum Beispiel bei Hagel, Sturm, Gewitter, Hochwasser – und eben Starkregen. Um die Prämien für diese Versicherungen zu berechnen, schätzen die Konzerne längst auch die Gefahr von Starkregen ab.
Die allermeisten Versicherer berechnen ihre Prämien anhand des ZÜRS, dem “Zonierungssystem für Überschwemmungen, Rückstau und Starkregen”. Jedes Haus wird danach einer Gefahrenstufe zugeordnet. Früher wurde damit vor allem die Gefahr von Hochwasser eingeschätzt. Wer in der höchsten Hochwassergefahrenstufe 4 wohnt, etwa am Ufer großer Flüsse kann sich nicht, oder nur zu sehr schlechten Konditionen versichern.
Doch Starkregen kann immer und überall auftreten.
Mittlerweile ist das ZÜRS-System deshalb ausgereifter. Es erfasst jetzt auch die Gefahr von Starkregen. Liegt ein Haus am Hang oder in einer Senke, lässt das die Versicherungsprämie in der Regel steigen – eine Versicherung für ein Haus auf einer Kuppe ist vergleichsweise günstiger.
Der Klimawandel wird die Hausbesitzer im Ruhrgebiet und in ganz Deutschland viel Geld kosten. Starkregen spielt dabei längst keine untergeordnete Rolle mehr. Trotzdem lassen sich bisher nur wenige Menschen bei den Kommunen zu Starkregen beraten. In Essen meldeten sich bisher fast ausschließlich Bürger, die schon mal Wasser im Haus hatten. In Recklinghausen und Gelsenkirchen ebbte das anfängliche Interesse direkt nach der Veröffentlichung der Starkregengefahrenkarte schnell wieder ab. Vermutlich, bis der nächste Starkregen kommt.
Diese Städte haben Starkregengefahrenkarten veröffentlicht
Die Klimaredaktion von Correctiv hat in den Kernkommunen des Ruhrgebiets nachgefragt.
Gelsenkirchen
In Gelsenkirchen ist eine interaktive Starkregengefahrenkarte seit Juni 2019 auf der Website der Stadt verfügbar. Dazu gibt es Infomaterial und ein Beratungsangebot.
Dortmund
In Dortmund ist eine interaktive Starkregengefahrenkarte seit Juli 2019 auf der Website der Stadt verfügbar. Dazu gibt es Infomaterial und Ansprechpartner für Hausbesitzer oder Gewerbetreibende.
Bochum
Die Starkregengefahrenkarte ist fertiggestellt und soll voraussichtlich im Mai 2020 für alle einsehbar im Internet veröffentlicht werden. Zurzeit entwickelt die Stadt Bochum noch ein begleitendes Beratungsangebot. Zur Veröffentlichung der Karte soll es Informationsveranstaltungen in den Stadtteilen geben.
Bottrop
Die Starkregengefahrenkarte wird gerade fertiggestellt und soll auch für alle einsehbar veröffentlicht werden. Zurzeit überlegt die Stadt, “wie eine Veröffentlichung seitens der Verwaltung begleitet werden kann.” Dadurch sollen Fehlinterpretationen ausgeschlossen werden.
Recklinghausen
In Recklinghausen ist eine Starkregengefahrenkarte seit Sommer 2018 auf der Website der Stadt verfügbar. Es handelt sich um eine hochauflösende PDF-Datei zum Download. Dazu gibt es Infomaterial und ein Beratungsangebot.
Essen
In Essen ist eine interaktive Starkregengefahrenkarte seit Ende 2019 auf der Website der Stadt verfügbar. Dazu gibt es Infomaterial und ein Beratungsangebot.
Mülheim
Eine Starkregengefahrenkarte ist derzeit in Arbeit. Wie genau die Karte aussehen wird, ist noch nicht klar.
Duisburg
Die Starkregengefahrenkarte wird gerade erstellt. Wann sie zur Veröffentlichung bereit ist, ist aber noch unklar. Informationen zum Schutz vor Hochwasser und Starkregen finden sich auf der Homepage der Stadt.