Alte Apotheke

Sieben offene Fragen zu den gepanschten Medikamenten

Die Stadt Bottrop hat eine Liste mit 49 Wirkstoffen erstellt, die nachweislich in der “Alten Apotheke” gepanscht wurden. Damit wollte man die Patienten beruhigen und informieren. Auch wir haben uns an diese Liste gehalten – allerdings haben wir festgestellt, dass sie viele Fragen aufwirft. Wir haben die Staatsanwaltschaft und die Stadt Bottrop damit konfrontiert.

von Anna Mayr

49 Stoffe von insgesamt 138, die im Reinlabor der Alten Apotheke verarbeitet wurden, stehen auf der Liste des Gesundheitsamts.© Correctiv.Ruhr/Tina Jakob

Hier geht es zur Liste des Gesundheitsamts Bottrop.

1. Peter S. soll farbige Medikamente gepanscht haben – warum hat das niemand gesehen?

Auf der Liste stehen zwei Wirkstoffe, die man eigentlich nicht panschen kann: Epirubicin und Doxorubicin. Denn diese Wirkstoffe sind rot. Eine Infusionslösung, in der sie enthalten sind, ist demnach auch rot. Man könnte Panscherei mit dem Auge erkennen. Wir haben dazu einen Onkologen befragt. Er sagt: Bei farbigen Wirkstoffen müsste man mindestens 70 Prozent reintun – sonst könne der Apotheker auch direkt selbst zur Polizei gehen. Denn geschultes Personal müsste erkennen, wenn die Infusionslösung rosa statt rot ist. Allerdings hat Peter S. weniger als 70 Prozent von Doxorubicin eingekauft – das hat die Staatsanwaltschaft ausgerechnet. Warum ist es dann niemandem aufgefallen, dass die Lösungen nicht rot waren, sondern rosa? Warum hat in den Arztpraxen kein Mensch die Unterdosierung bemerkt? Die Staatsanwaltschaft sagt dazu: „Die behandelnden Ärzte und ihre Mitarbeiter sind nicht Beschuldigte.“

2. Peter S. soll auch sehr billige Mittel gepanscht haben. Ging es ihm wirklich nur ums Geld?

Carboplatin steht auf der Liste der gepanschten Wirkstoffe. Carboplatin kostet etwa 50 Euro pro 100 Milligramm – es ist also günstig. Andere Wirkstoffe kosten in der gleichen Menge tausende Euro. Hat Peter S. also nicht nur gierig, sondern einfach grob fahrlässig gehandelt? Gab es einen Plan? Die Staatsanwaltschaft möchte sich an Spekulationen nicht beteiligen – Sprecherin Anette Milk sagt: „Wir haben kein Muster erkannt.“

3. Sind etwa doch nicht nur Krebspatienten betroffen?

Bei der Razzia am 29. November fand die Staatsanwaltschaft eine Spritze, in der Zoledronsäure unterdosiert war. Zoledronsäure bekommen auch Patienten, die an Osteoporose leiden. Außerdem hat Peter S. zu wenig Cyclophosphamid eingekauft – ein Wirkstoff, der selten auch bei Multipler Sklerose eingesetzt wird. Müssen sich nun auch die Patienten Sorgen machen, die Medikamente gegen Multiple Sklerose und Osteoporose bekommen haben? Die Antwort der Staatsanwaltschaft: „Eine Aussage über Indikationen haben wir nicht getroffen.“ Die Diagnosen der Patienten kenne man nicht. Andere Behörden müssen also für Aufklärung sorgen.

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Die folgenden Illustrationen zu den Wirkstoffen dienen zur Veranschaulichung der Geschichte. Sie sind keine genauen Piktogramme.

Correctiv.Ruhr/Tina Jakob

4. Warum geht es immer nur um Krebsmedikamente, wenn Peter S. sogar Mittel gegen Übelkeit gepanscht hat?

Bei einer Chemotherapie wird den Patienten oft schlecht. Sie bekommen deshalb Dexamethason gespritzt, das ebenfalls auf der Liste steht. Es ist einfach, dieses Mittel gegen Übelkeit zu panschen, denn es kann den Ärzten nicht auffallen: Patienten reagieren sehr unterschiedlich auf Übelkeit, Raucher sind zum Beispiel abgehärtet. Bei der Razzia wurden in der Apotheke 66 Infusionen sichergestellt, die unterdosiert waren, davon waren 28 Infusionen mit Wirkstoffen gegen Krebs. Bleiben also 38 Infusionen mit anderen Medikamenten, die auch unterdosiert waren. Klingt soweit logisch: Denn wenn Patienten keine Krebsmedikamente bekommen, brauchen sie auch kein Mittel gegen Übelkeit.

5. Warum wurden diese Mittel überhaupt in der Apotheke zubereitet?

Ein unabhängiger Onkologe sagt, dass es ungewöhnlich ist, Spritzen Dexamethason (gegen Übelkeit) und mit Zoledronsäure (gegen Osteoporose) in einer Apotheke mischen zu lassen. Normalerweise kaufen Ärzte aus der Apotheke nur die Ampullen, um die Spritzen selbst aufzuziehen. Aber allein bei der Razzia am 29. November muss die Staatsanwaltschaft zwei Spritzen mit Zoledronsäure und Dexamethason gefunden haben, sonst wären diese Wirkstoffe nicht auf der Liste. In der Anklageschrift, die CORRECTIV in Auszügen vorliegt, heißt es, dass Peter S. Fertigarzneimittel verdünnt haben soll, um sie erst dann auf die Spritzen zu ziehen.

6. Können Patienten, die an Arzneimittelstudien teilgenommen haben, sich sicher fühlen?

Der Onkologe Wolf Köster des Gemeinschaftskrankenhauses Witten-Herdecke sagte auf einer Veranstaltung von Correctiv, dass er sich nicht vorstellen könne, dass Panscherei innerhalb von Studien möglich ist. Die Ergebnisse der Razzia können diese Annahme zumindest teilweise bestätigen. In der Anklageschrift heißt es, dass von 29 Antikörpertherapien, die in der „Alten Apotheke“ sichergestellt wurden, nur eine die volle Dosierung enthielt – und diese war für eine Studie vorgesehen.

7. Wer fühlt sich final für die Liste verantwortlich?

Die Liste mit den 49 Wirkstoffen hat das Gesundheitsamt der Stadt Bottrop erstellt. Dafür hat es die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft verwendet. Deshalb lässt sich jetzt die Verantwortung gut hin- und herschieben. Die Stadt Bottrop sagt, dass die Liste sich noch verlängern kann: Aufgrund der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und des Prozessverlaufs. Die Staatsanwaltschaft hingegen sagt: Die Liste, damit haben wir nichts zu tun, denn die hat ja die Stadt Bottrop erstellt – und die Ermittlungen sind sowieso längst abgeschlossen.