Alte Apotheke

Alte Apotheke: Zu spät beschlagnahmt

Der Alte Apotheker Peter S. gilt als reicher Mann in Bottrop. Sein Jahresumsatz lag bei über 50 Millionen Euro. Doch es ist unsicher, ob seine Millionen ausreichen, um Schadensersatz zu leisten, für das Leid, das er angerichtet hat. Immer mehr Zwangshypotheken belasten seine Grundstücke.

von David Schraven

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Als der Alte Apotheker Peter S. Ende November 2016 festgenommen wurde, ließ die Staatsanwaltschaft eine Hypothek in Höhe von rund 2,5 Millionen Euro auf ein Privatgrundstück von Peter S. eintragen. Mit dem Geld sollte vor allem der Schadensersatz für die Geschädigten aus dem Medizinskandal bedient werden. So steht es in den Papieren. Doch die Summe reicht bei weitem nicht aus, um den Schaden zu decken. Das wurde im Verlauf der Ermittlungen immer deutlicher. Schließlich hatte Peter S. zehntausende gepanschte Krebsmedikamente verkauft — mit tausenden geschädigten Menschen in sechs Bundesländern.

Zu Beginn der Ermittlungen waren die Fahnder noch aufmerksam. Die 2,5 Millionen Euro beschlagnahmten sie, während auch der Haftbefehl gegen Peter S. rausging, um damit eventuelle Schäden ausgleichen zu können, die er mit seinen Panschereien angerichtet hatte. Die Summe ist als Hypothek auf ein Privathaus von Peter S. in Bottrop-Kirchhellen eingetragen.

Leider ließ die Aufmerksamkeit der Staatsanwaltschaft in finanziellen Dingen danach spürbar nach. Als im Verlauf der Ermittlungen immer deutlicher die Dimension des möglichen Verbrechens von Peter S. sichtbar wurde, erhöhten sie die Summe der Beschlagnahme nicht umgehend. Im Gegenteil. Die Ermittler rührten das Vermögen von Peter S. monatelang nicht weiter an – obwohl sie aus den Ermittlungen wussten, dass er eine unbekannte Summe Geld auf verschiedenen Konten und Firmen im In- und Ausland gebunkert hatte. Allein die Finanzaufstellung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in der Sache Peter S. füllt 38 Seiten.

Vor allem die Mutter von Peter S. profitierte von der Antriebslosigkeit der Staatsanwaltschaft und ließ eigene angebliche Forderungen gegen ihren Sohn in das Grundbuch eintragen. Zwangshypotheken, die ihr Millionen sichern sollen. Geld, das möglicherweise in Zukunft Geschädigten fehlen wird, wenn sie versuchen sollten, Schadensersatz zu bekommen.

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Die Mutter von Peter S. lässt sich die Alte Apotheke übertragen – aus Angst vor einer Beschlagnahme.

Uns liegen Dokumente, Verträge und Vollmachten vor, die den umfassenden Zugriff der Eltern von Peter S. auf weite Teile des Vermögens des inhaftierten Alten Apothekers belegen. Monatelang konnte demnach der Vater mit dem Geld seines Sohnes schalten und walten, wie er wollte. Gleichzeitig ließ sich die Mutter die vielleicht wichtigste Immobilie übertragen – das Haus der Alten Apotheke in der Bottroper Stadtmitte – und sicherte sich im gleichen Atemzug Hypotheken auf weitere Grundstücke von Peter S. im Bottroper Stadtgebiet. Angeblich als Sicherheit für Darlehen in Millionenhöhe: Geld, das der Sohn angeblich seiner Mutter schulden sollte.

Dieser Zugriff wurde möglich, weil die Staatsanwaltschaft erst neun Monate nach der Inhaftierung des Alten Apothekers dafür sorgte, dass nach der ersten Beschlagnahme weitere Millionen für eventuelle Schadensersatzforderungen beschlagnahmt wurden. Im August 2017 sicherte die Staatsanwaltschaft insgesamt 56 Millionen Euro. Dieses Geld würden in erster Linie die Krankenkassen bekommen, wenn ein Gericht den Betrug des Alten Apothekers Peter S. bestätigen sollte. Ausreichend Geld für mögliche Schadensersatzforderungen der vielen Patienten ist damit immer noch nicht gesichert.

Der Zugriff der Eltern

Die Übertragung des Vermögens von Peter S. in die Verfügungsgewalt der Eltern begann Mitte Januar 2017. Da saß Peter S. bereits zwei Monate in Untersuchungshaft. Das war lange bevor die tatsächliche Dimension des Skandals öffentlich war – und etwa zu der Zeit, als die Staatsanwaltschaft erfuhr, dass sie ihren Ursprungstatverdacht ausweiten musste. So geht es aus den Dokumenten hervor, die CORRECTIV vorliegen.

Hier eine kurze Chronologie der Ereignisse:

  • Im Dezember 2016 – kurz nach der Razzia – spricht der Anwalt der Mutter des Alten Apothekers am Telefon mit der Amtsapothekerin von Bottrop. Darin teilt er mit, dass die Mutter des Beschuldigten die Alte Apotheke wieder übernehmen will. Die Behörde teilt mit: Das werde kein Problem darstellen. Intern wird aus dem Rathaus berichtet: Die Alte Apotheke sei ein wichtiger Arbeitgeber in der Stadt. Der müsse geschützt werden.
  • Bis Mitte Januar 2017 erstellt das Landeszentrum Gesundheit NRW gemeinsam mit dem Paul-Ehrlich-Institut Analysen der Medikamentenproben, die bei der Razzia in der Alten Apotheke beschlagnahmt wurden. Während der Arbeit wird immer klarer, dass Peter S. massiv gepanscht hatte: In 43 der insgesamt 88 beschlagnahmten Krebsmedizin-Proben der Razzia war viel zu wenig Wirkstoff — nämlich weniger als 20 Prozent als verordnet worden war. Zudem waren in 20 von 29 monoklonaren Antikörpern viel zu wenig Wirkstoffe. Monoklonare Antikörper sind extrem teuer – Betroffene haben auf diese Arzneien besonders viel Hoffnung gelegt.
  • Am 25. Januar beauftragte das Gesundheitsministerium NRW die Stadt Bottrop, ein Prüfverfahren zu beginnen. Das Ziel sollte sein, die Betriebsgenehmigung der Alten Apotheke zu widerrufen. Mit anderen Worten: Die Alte Apotheke sollte nach dem Willen des Ministeriums dicht gemacht werden. Das Ministerium war überzeugt, dass es tatsächlich Panscherei gegeben hatte.
  • Am 26. Januar fuhr der Notar Andreas S. in das Gefängnis, in dem Peter S. in Untersuchungshaft sitzt. Dort ließ sich der Notar vom Alten Apotheker mehrere Dokumente unterschreiben. Das Vermögen von Peter S. sollte in den Zugriff der Eltern gelangen. Genau zum richtigen Zeitpunkt: Die Alte Apotheke geht an die Mutter, der Vater bekommt den Generalvollmacht über das gesamte Vermögen von Peter S.
  • Am 27. Januar legte das Landeszentrum Gesundheit NRW der Staatsanwaltschaft Essen den Bericht zur Razzia vor. Darin steht, dass mindestens 63 Medikamente stark gepanscht waren. Damit konnte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ausweiten. Spätestens von nun an wäre eine Ausweitung der beschlagnahmten Güter sinnvoll gewesen.

Eine Übertragung für Null Euro

Der zeitliche Zusammenhang ist interessant. Während die Beweise für die umfassende Panscherei geliefert wurden, begann der Zugriff der Eltern auf das Vermögen von Peter S..

Tatsächlich wurde die Alte Apotheke am 26. Januar aus der Haft heraus vom Sohn auf die Mutter übertragen. Das alte, denkmalgeschützte Haus, in dem auch die Apotheke ist, sollte nicht beschlagnahmt werden können. So steht es als Grund der Übertragung im Vertrag zwischen Mutter und Sohn: „Zudem droht eine Pfändung, da das Amtsgericht Essen einen dinglichen Arrest ausgesprochen hat, wenngleich dieser bezüglich der Apotheke nicht vollzogen wurde.“ Übersetzt bedeutet das: Wenn wir das Haus nicht auf die Mutter überschreiben, könnte es beschlagnahmt werden, um Betroffene zu entschädigen.

Im Dezember hatte die Staatsanwaltschaft nämlich nur das Privathaus in Bottrop-Kirchhellen beschlagnahmt. Sie hatten die Villa mit Rutschbahn vom Badezimmer in den Pool vom Amtsgericht Essen mit einem „dinglichen Arrest“ belegen lassen. Die Alte Apotheke aber noch nicht. Mutter und Sohn schienen sich vor diesem „dinglichen Arrest“ zu fürchten. Sollte auch die Alte Apotheke beschlagnahmt werden? Um dem zuvorzukommen, musste die Immobilie in ihren Augen zügig übertragen werden.

Die Mutter zahlte für diese Übertragung an ihren Sohn nichts. Keinen Euro.

Im Gegenteil. Im direkten Zusammenhang mit der Übertragung der Alte Apotheke akzeptierte Peter S. einen Darlehensvertrag über 2,2 Millionen Euro zugunsten seiner Mutter. Geld, das er nun seiner Mutter schuldet.

Um es nochmal klar zu sagen: Mit der Rückübertragung bekam die Mutter von ihrem inhaftierten Sohn das Gebäude der Alten Apotheke zum Preis von Null Euro. Und mehr noch: der inhaftierte Sohn akzeptierte zusätzlich einen Darlehensvertrag zu seinen Lasten und zu Gunsten seiner Mutter in Höhe von 2,2 Millionen Euro.

Im Gegenzug verzichtete die Mutter allerdings auf Geld, das Peter S. ihr geschuldet hätte, wenn er die Alte Apotheke behalten hätte. Und zwar eine Leibrente in Höhe von 6000 Euro monatlich – sowie ein lebenslanges Wohnrecht.

Auf eine schriftliche Anfrage zu der Frage, warum die Mutter von Peter S. sich mehrere Millionen Euro Schulden auf ihren Sohn eintragen lies, bekamen wir von den Anwälten der Mutter keine Antwort. Stattdessen wurden wir von den Anwälten juristisch unter Druck gesetzt, sollten wir über die Mutter berichten.

Alles für den Vater

Doch damit hört diese Geschichte nicht auf. Am 26. Januar ließ der Notar in der Haftanstalt Wuppertal noch ein zweites Dokument von Peter S. unterzeichnen. Und zwar eine Vollmacht auf sein gesamtes Vermögen. Auf jedes Schließfach, jede Immobilie, jede Wertsache. Diese Generalvollmacht gab Peter S. seinem Vater und seinem Steuerberater. Beide wurden damit ermächtigt, alleine und selbstständig alle Rechtsgeschäfte für Peter S. zu tätigen, Grundstücke zu belasten und zu verkaufen, Erklärungen abzugeben, Zwangsvollstreckungen zu unterwerfen und überhaupt Peter S. „in allen persönlichen, geschäftlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten, soweit dies gesetzlich zulässig ist, gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten.“ Damit hat Peter S. den Zugriff auf* sein gesamtes Vermögen auf seinen Vater – und seinen Steuerberater – übertragen. Die Eltern hatten von nun an vollständigen Zugriff auf Peters gesamtes Vermögen. Egal, ob es um Bilder, Kunstwerke, Diamanten oder die Spielzeugeisenbahn im Keller der beschlagnahmten Villa geht.

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Eine Generalvollmacht über das gesamte Vermögen für den Vater. Die Adresse unter der Peter S. residiert ist der Knast in Wuppertal. Hier übertrug er den Zugriff auf sein Vermögen.

Die Zwangshypotheken

Danach handelte die Mutter schnell. Sie verfügt über mehrere Darlehensverträge mit ihrem Sohn, die sie in den folgenden Wochen vollstreckte. Bereits im Mai 2017 – bevor die wirkliche Dimension des Falls bekannt wurde – ließ die Mutter gleich mehrere Hypotheken auf das Privathaus ihres Sohnes eintragen. Zunächst zwei Darlehensverträge über die Summe von 2.060.000 Euro und 1.592.628,87 Euro, dann mehrere Zinsforderungen in Höhe von insgesamt weit über 200.000 Euro.

Den entsprechenden Vollstreckungsbescheid beantragte die Mutter beim Amtsgericht in Hagen gegen ihren Sohn. Sie nahm gleichzeitig auch den Betrieb der Alten Apotheke gesamtschuldnerisch in Anspruch. Auch wenn sie selbst die Alte Apotheke erst wenige Tage zuvor übernommen hatte. Bei der Übertragung des Betriebs hatte sie nämlich etwaige Schulden ihres Sohnes oder Forderungen gegen ihn nicht mit übernommen. Dank der Rückübertragung der Apotheke auf die Mutter sind Forderungen gegen Peter S. nicht mehr gegen die Alte Apotheke vollstreckbar. Das geschah im Mai 2017.

Einfach gesagt: Die Mutter hatte mittlerweile nicht nur das Haus der Alten Apotheke übernommen, sondern auch den Betrieb der Apotheke selbst. Und sie hat dafür nichts bezahlt. Wer Geld von der Alten Apotheke für Vorgänge aus dem Jahr 2016 will, braucht gar nicht mehr dort klingeln. Er muss sich direkt an den inhaftierten Peter S. wenden.

Fazit

Die Bedeutung aller beschrieben Finanztransaktionen ist eindeutig:

Die Mutter sicherte sich die Alte Apotheke und Teile des Privathauses von Peter S. und versucht, dieses Vermögen gegen Pfändungen von Geschädigten abzublocken.

Der Vater hatte selbstständig und gemeinsam mit dem Steuerberater monatelang ungestört den vollständigen Zugriff auf das gesamte in- und ausländische Vermögen von Peter S..

Das machte die Staatsanwaltschaft möglich. Sie setzte erst Wochen, nachdem sie Anklage erhoben und einen Schaden von 56 Millionen Euro beziffert hatte, umfassende Beschlagnahmen durch. Erst jetzt lässt die Staatsanwaltschaft weitere Hypotheken auf das Haus von Peter S. eintragen. Und verhängt ein Verfügungs- und Verkaufsverbot über seine private Immobilie in Bottrop-Kirchhellen.

Bei der Summe von 56 Millionen Euro hat die Staatsanwaltschaft allerdings noch nicht berücksichtigt, dass auch Privatkassen und Privatpatienten geschädigt wurden. Auch für einen Opfer- und Täterausgleich hat die Staatsanwaltschaft nicht genug Geld festgesetzt.

Die Folgen sind klar. Eventuell Geschädigten steht am Ende aller Verfahren weniger Geld aus dem Vermögen von Peter S. zur Verfügung, um mögliche Ansprüche auf Schadensersatz zu befriedigen.

*Wir wurden für diesen Artikel mal wieder von der Kanzlei Höcker angegriffen – diesmal als Anwälte des Steuerberaters. Um jedes Missverständnis auszuschließen, haben wir hier am 12. Oktober noch mal klar gestellt, dass Vater und Steuerberater mit der Generalvollmacht von Peter S. nicht das Vermögen selbst übertragen bekommen haben, sondern den Zugriff auf das gesamte Vermögen. So wie es im Fazit beschrieben ist.