Alte Apotheke

Preis für Bottroper Whistleblower: Lauterbach fordert Konsequenzen

Ihre Auszeichnung für Zivilcourage schlägt Wellen in der Politik. Die beiden früheren Mitarbeiter der Alten Apotheke, Marie Klein und Martin Porwoll, hatten einen der größten Medizinskandale der Nachkriegszeit bekannt gemacht. Nun fordert SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach in einer Stellungnahme zum Preis, dass Krebsmedikamente nur noch in Krankenhäusern hergestellt werden.

von Cristina Helberg

© Wie geht es uns morgen? von Stephan Röhl, lizenziert unter CC BY-SA 2.0

Martin Porwoll und Marie Klein werden am 1. Dezember von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und der Deutschen Sektion in der Juristenvereinigung mit dem Whistleblower-Preis ausgezeichnet. Damit sollen sie für ihren Einsatz im Skandal um gepanschte Krebsmittel in Bottrop geehrt werden. Ohne das Whistleblowing der beiden Angestellten der Alten Apotheke wären „Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei nicht einmal nachträglich in der Lage gewesen, Beweise zu sichern und Anklage zu erheben“, heißt es in der Erklärung der Jury.  

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Apotheker vor, über 60.000 Krebstherapien gepanscht und damit einen Schaden von über 56 Millionen Euro verursacht zu haben. Seit dem 13.11.2017 muß sich der Apotheker aus der Ruhrgebietsstadt vor dem Landgericht Essen für sein Tun verantworten. „Es geht hier also bei weitem nicht nur um die Schuldfrage“, schreibt SPD-Gesundheitsexperten Karl-Lauterbach in einer Stellungnahme für die Preisstifter. „Der Fall des Bottroper Apothekers zeigt ein wichtiges Systemversagen.“ 

Lauterbach: desaströse Informationspolitik

In keinem Bereich der Medizin werde mit so hohen Gewinnmargen gearbeitet wie in der Krebsmedizin, schreibt Lauterbach. Einzelne Apotheken könnten mit Chemotherapeutika dreistellige Millionenumsätze machen und Betrüger leicht Millionengewinne. Daraus ergibt sich für den SPD-Mann politischer Handlungsbedarf. Denn: „Mangels entsprechender Untersuchungen liegen derzeit keine Informationen über andere Vorfälle ähnlich dem in Bottrop vor. Weitere Fälle sind aber nicht auszuschließen.“

Lauterbach fordert deshalb eine bundesweite Reform bei der Herstellung und dem Vertrieb von Krebsmedikamenten. „Chemotherapeutika“ sollten nur noch in Krankenhäusern hergestellt werden, schreibt der SPD-Politiker,  „dort herrscht das Mehraugenprinzip und die finanziellen Anreize“ aus dem Verkauf der teuren Krebsmittel gebe es für einen angestellten Krankenhausapotheker nicht.

Außerdem müsse dringend auf die Verunsicherung der Patienten reagiert werden. Im Fall der Alten Apotheke sei die Informationspolitik des NRW-Gesundheitsministers Karl-Josef Laumann bislang „desaströs“, schreibt Lauterbach, „viele Patienten wissen nicht, ob sie betroffen sein könnten“. Sie wurden nicht proaktiv informiert. Weder von den Ärzten noch den Gesundheitsbehörden.  Lauterbach hält den von Laumann und der Ärztekammer vorgeschobenen Datenschutz in diesem Fall sogar für ethisch fragwürdig. Denn betroffene Patienten seien weiterhin gefährdet. Sie könnten zum Beispiel nachbehandelt werden, wenn sie Gewissheit hätten, schreibt Lauterbach.

Whistleblower unter Druck

Nur mit Hilfe von Insidern wie Porwoll und Klein sei es möglich Krebsmittel-Panschereien aufzudecken, schreibt die Jury des Whistleblower-Preises. Bisher werden Zytostatika-Apotheken hauptsächlich mit angekündigten Begehungen überprüft. Eine richtige Kontrolle gibt es nicht.  

Auch die Reaktion von Lauterbach zeigt, wie wichtig Whistleblower und die Würdigung ihres Mutes für unsere Gesellschaft sind. Denn Menschen wie Porwoll und Klein riskieren viel. Beide stehen derzeit unter Druck. Sie verloren ihre Arbeit in der Alten Apotheke. Die renommierte Anwaltskanzlei Höcker will im Auftrag der Mutter des Angeklagten dem früheren Buchhalter der Alten Apotheke einen Maulkorb verhängen. Er soll nicht mehr verbreiten, dass die Panschereien von Peter Stadtmann ein offenes Geheimnis in der Alten Apotheke gewesen seien. Für die Abmahnung soll Porwoll 3465 Euro an die Rechtsanwälte zahlen. Die Kanzlei vertritt sonst unter anderem den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und AfD-Politiker. 

Kein Bereich im deutschen Gesundheitswesen bietet so viel Potenzial für mafiöse Strukturen wie das Geschäft mit Krebsmedikamenten. 500.000 Menschen erkranken in Deutschland jährlich an Krebs. Studien besagen: In ein paar Jahren wird jeder zweite Deutsche im Alter an Krebs erkranken. Die Branche setzt jedes Jahr vier Milliarden Euro um. Diesen Markt teilen sich ein paar Dutzend Pharmahändler, 1.500 niedergelassene Onkologen und Hämatologen sowie die knapp über 200 Apotheker, die Krebsmedikamente herstellen dürfen.

Die Preisverleihung findet am 1. Dezember 2017 in Kassel statt.