Der Prozess

Der Prozess, Tag 16

Eine “gute Freundin” Stadtmanns berichtet, wie der Apotheker mit großzügigen Geschenken Freunde suchte und täglich mit seiner Mutter und chronischen Kopfschmerzen um die Vorherrschaft in der Alten Apotheke kämpfte. Den Kampf habe er nur an manchen Tagen gewonnen.

von Cristina Helberg , Marcus Bensmann

© correctiv.ruhr

Nach dem Medienrummel um die Aussage des Whistleblowers Martin Porwoll am vergangenen Verhandlungstag ist im Saal 101 im Landgericht Essen wieder Ruhe eingekehrt. Nur vier Journalisten und knapp 20 Zuschauer sitzen im Publikumsbereich.  CORRECTIV berichtet aus dem Gerichtssaal.

Welchen Eindruck macht Peter Stadtmann?

Für Peter Stadtmann ist es ein schwieriger Tag. Die Zeugin und Mitarbeiterin der Alten Apotheke Birgit K., die sich selbst als „gute Freundin“ Stadtmanns bezeichnet, berichtet detailliert über das Privatleben Stadtmanns. Auch der Gesundheitszustand des Apothekers ist wieder Thema — wenn auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Angeklagte wirkt blass und angeschlagen. In der Pause spricht er intensiv mit seinen Anwälten.

Welchen Eindruck machen die Betroffenen?

Die Zeugin Birgit K. berichtet vor Gericht von einem Gespräch mit Peter Stadtmann über Krebs. Er habe gesagt, falls er jemals an Krebs erkranken sollte, wünsche er sich einen Tumor im Anfangsstadium, weil dieser mit „den neuen Methoden“ gut behandelbar sei. Die Betroffenen verfolgen diese Passage mit großer Aufmerksamkeit.

Die wichtigsten Ereignisse des Tages:

  • Doppel-Hierarchie und Streitereien zwischen Mutter und Sohn: Als „Herrscherin des Kellers“ beschreibt die Zeugin Birgit K. vor Gericht die Rolle von Stadtmanns Mutter in der Apotheke. „Tagsüber war die Mutter meist komplett im Keller und machte den Wareneingang“, sagt Birgit K. Es habe eine „interne Doppel-Hierarchie“ gegeben. Für die Mitarbeiter sei das schwierig gewesen, weil man nicht gewusst habe, auf wen man hören solle — auf „Peter Stadtmann, dem die Apotheke zumindest auf dem Papier gehörte oder seine Mutter“. Birgit K. arbeitete ab dem Sommer 2014 für einige Monate in der Alten Apotheke und kümmerte sich als Stadtmanns Assistentin nach eigenen Angaben um Marketingfragen und interne Organisationsabläufe. Sie verdiente laut ihrer Aussage vor Gericht 5.500 Euro brutto —  500 Euro mehr als eine Kollegin, die approbierte Apothekerin ist. Zur Rolle der Mutter stellt der Richter Johannes Hidding mehrere Nachfragen an Birgit K. „Es wurde keine Entscheidung getroffen, die nicht von ihr abgesegnet war“, sagt Birgit K. Auf Nachfrage der Nebenklage, ob die Mutter Stadtmanns über die Umsätze der Apotheke informiert war, antwortet die Zeugin Birgit K.: „So involviert, wie die Mutter war, würde es mich wundern, wenn sie keinen Einblick hatte“. Im Bereich der Führung der Apotheke habe es große Differenzen zwischen Sohn und Mutter gegeben, so Birgit K. Inventuren habe die Mutter als „verlorene Zeit“ bezeichnet. Inventurlisten habe sie den Mitarbeitern weggenommen und gesagt, sie sollten stattdessen „was Gescheites machen“.  Bei einer ersten Inventur sei es „drunter und drüber gegangen“, sagt die Zeugin. Dann sei eine zweite Inventur anberaumt worden. Sie habe keine Kenntnis, ob die Inventur auch die Zyto-Abteilung beinhaltete, sagt Birgit K. vor Gericht. Auch über die Wiederholung der Inventur könne sie nichts berichten, da sie an diesem Tag krank gewesen sei. Der Ausgang der Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Sohn war offenbar abhängig vom Gesundheitszustand Peter Stadtmanns. „Wenn Stadtmann Kopfschmerzen hatte, verlor er gegen die Mutter. Sonst setzte er sich manchmal durch“, sagt Birgit K. vor Gericht.  Die Auseinandersetzungen führten demnach zu skurrilen Szenen. Peter Stadtmann habe die Putzkräfte in schwarz-roten Kitteln arbeiten lassen, den Farben der Alten Apotheke. Die Mutter habe türkise Arbeitskleidung verlangt. Abwechselnd hätten Sohn und Mutter von den Putzkräften verlangt, sich dementsprechend umzuziehen. Das habe damit geendet, dass die Hälfte der Putzkräfte schwarz-rot trug und die andere türkis. Auch privat habe die Mutter sich durchgesetzt. Birgit K. beschreibt Stadtmanns Mutter als „sehr dominante Mutter, die sich ein Leben lang eingemischt hat und nicht akzeptierte, dass er ein eigener Mensch ist.“ Als Peter Stadtmann auf Anraten der Zeugin Birgit K. neue Kleidung kaufte und anstatt im Anzug in Polohemden in der Apotheke erschien, habe die Mutter gesagt: „Wie siehst du denn schon wieder aus?“

  • Nebenklage will Verurteilung wegen versuchten Mordes ermöglichen. Der Anwalt der Nebenklage Markus Goldbach fordert das Gericht auf, dem Angeklagten einen „rechtlichen Hinweis“ zu geben, dass eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in Betracht kommen könnte. Nur wenn das Gericht diesen Hinweis erteilt, kann es den Angeklagten später auch dafür verurteilen. Durch die Verabreichung ordnungsgemäßer Therapien habe für die Patienten grundsätzlich eine reale Möglichkeit der Lebenszeitverlängerung bestanden, so Goldbach. Dementsprechend sei eine Minderdosierung ein Vorenthalten dieser Lebenszeitverlängerung. Als fachkundigem Apotheker sei Peter Stadtmann dies bekannt gewesen. Er habe deshalb mit Vorsatz gehandelt. Als Beweis führt der Anwalt die Aussagen mehrerer Mitarbeiter an. Laut Martin Porwoll habe sich Stadtmann regelmäßig über den neuesten Stand im Bereich Zytostatika informiert. Außerdem habe Stadtmann sich um die Teilnahme an möglichst vielen Studien beworben und  “war auch tatsächlich in mehrere Studien zur Wirksamkeit von neuen Krebstherapien eingebunden“. Goldbach bezieht sich auf die verdünnten Therapien monoklonaler Antikörper. Er weist darauf hin, dass eine Opferindividualisierung, also der Nachweis der Gefährdung in Einzelfällen gestreckter Krebsmittel, nicht notwendig sei, um zu einer Verurteilung wegen der Gefahr des Todes zu gelangen.

  • Die Kopfschmerzen des Peter Stadtmann. Der Richter stellt der Zeugin Birgit K. Fragen zum Gesundheitszustand des Angeklagten. Wiederholt waren an den letzten Verhandlungstagen Fragen zu einer Kopfverletzung Stadtmanns und möglichen psychischen Folgen gestellt worden. Die Öffentlichkeit wird während dieser Fragen, wie schon an vorherigen Verhandlungstagen, ausgeschlossen. Später erwähnt die Zeugin Birgit K. das Thema aber noch einmal. Stadtmann habe zu ihr gesagt: „Mein größter Wunsch ist einfach wieder gesund zu sein und keine Kopfschmerzen zu haben.“ Am Ende des Verhandlungstages lässt sich auch anhand eines Antrages des Nebenklage-Anwaltes Markus Goldbach erahnen, welches Ausmaß die Kopfschmerzen Stadtmanns gehabt haben müssen. In dem Antrag heißt es: „Denn der Angeklagte litt, wie durch den Zeugen Porwoll in seiner Vernehmung vom 18.01.2018 bekundet, als Folge einer Kopfverletzung an teilweise derart schweren Kopfschmerzen, dass er an manchen Tagen nicht arbeitsfähig war.“ Der Anwalt der Nebenklage Andreas Schulz sagt im Gericht, dass er sich über den Zusammenhang und die Wirkung von chronischen Kopfschmerzen und dominanter Mutter Gedanken mache.

  • Alte Apotheke: Internationaler oder regionale Player. Die Zeugin Birgit K. berichtet von einem Zielkonflikt zwischen Mutter, Angeklagten und Martin Porwoll. Die Mutter wollte demnach keine Veränderung, Porwoll soll davon geträumt haben, die Alte Apotheke zur Nummer Eins in Deutschland auszubauen mit Lieferketten bis nach Holland. Aber Stadtmann wollte sich demnach nur auf die Region und Bottrop beschränken.

  • Hang zum Luxus. Die Zeugin Birgit K. sagt, Stadtmann habe einen Hang zum Luxus gehabt. Davon spreche das Haus mit Wasserrutsche und Kunst für fünf Millionen Euro und dessen Vorliebe für Prada-Schuhe. Sie habe eine Kreditkarte gehabt, mit der sie Kleidung für den Angeklagten und Schuhe kaufte. Prada habe sich, so bemerkt der Staatsanwalt, beim treuen Kunden aus Bottrop mit einem Brief bedankt. Sie habe über die Kreditkarte auch für sich selbst ab und an Kleider bestellt, sagt Birgit K.. Aber die Kleidung, die die „gute Freundin“ für den Angeklagten kaufte, wanderte oft wieder in den Schrank. Denn die Mutter war dagegen.

  • Die Onkologen — und Stadtmann? Birgit K. sagt vor Gericht aus, dass Stadtmann sich mit vielen Ärzten zum Abendessen getroffen habe. Außerdem berichtet sie, dass Stadtmann 2014 die Weihnachtsfeier der Praxis Dr. Pott bezahlte. Auch seien Bestellungen aus den Bereichen „Sprechstunden- und Praxisbedarf „ verschiedener Arztpraxen zu sehr unterschiedlichen Konditionen berechnet worden. Es habe für manche Praxen Rabatte von 5% oder 10% gegeben, andere bezahlten den vollen Preis oder gar nichts. Sprechstunden- und Praxisbedarf seien beispielsweise Desinfektionsmittel und Mullbinden. Birgit K. sagt, sie habe die Mutter Stadtmanns darauf angesprochen und darauf hingewiesen, dass diese Lieferungen bezahlt werden müssten. Die Vernetzung zwischen Stadtmann und Dr. Pott sei auf Augenhöhe gewesen, aber der eine habe gegeben, der andere genommen.

  • Eine teure Freundschaft. Birgit K. bezeichnet Peter Stadtmann als „guten Freund“. Näher kennengelernt hätten sie sich im Jahr 2011. Damals arbeitete Birgit K. im kaufmännischen Bereich der Praxis Dr. Pott. Stadtmann habe die Praxis schon damals mit Krebsmedikamenten beliefert und sie auf ihre parallele Ausbildung als Betriebswirtin angesprochen und ihr Bücher geschenkt. Der Kontakt sei dann immer enger geworden und er habe ihr im Sommer 2014 einen Job in der Alten Apotheke angeboten. Nach dem Wechsel zu Stadtmann hat sie 2.000 Euro mehr brutto verdient. Auch privat habe man sich getroffen. Er habe Weihnachten und Ostern mit ihrer Familie verbracht. „Sonst war er Weihnachten immer alleine“, sagt Birgit K.. Immer wieder habe Stadtmann aber unpassend teure Geschenke gemacht. „Ich hatte das Gefühl, er versucht sich Freundschaft zu kaufen“, sagt Birgit K. Zu Grillabenden mit ihrer Familie habe er Champagner mitgebracht. Zum Geburtstag habe er ihr zwei Tickets für eine Mittelmeer-Kreuzfahrt geschenkt — für sie und ihren Freund. Das teure Geschenk sei beiden unangenehm gewesen, deshalb habe sie ihm vorgeschlagen mitzufahren. Daraufhin seien sie zu dritt auf die zweiwöchige Kreuzfahrt gefahren. Eine Liebesbeziehung habe es zwischen Stadtmann und ihr nie gegeben, sagt Birgit K. auf Nachfrage mehrerer Anwälte der Nebenklage.

  • Besuch der Amtsapothekerin in der Alten Apotheke. Auf Nachfrage der Nebenklage berichtet die zweite Zeugin des Tages, Ramona S., von einem Besuch der Amtsapothekerin in der Alten Apotheke. Der Besuch sei angekündigt worden. An einigen Türen seien dann im Vorfeld der Kontrolle Schilder mit dem Titel „Nur Personal“ angebracht worden. Am Tag der Kontrolle habe der Angeklagte mit der Amtsapothekerin Kaffee getrunken, dann wurde die Apotheke kontrolliert. Die Zeugin Ramona S. arbeitete als Apothekerin ab Mai 2013 in der Alten Apotheke. Im Jahr 2014 übernahm sie die Leitung über den Bereich Rezeptur, also das Herstellen von Salben und Cremes. Mit dem Zyto-Bereich selbst hatte sie nach eigenen Angaben nichts zu tun.

  • Fehlerhafter Warenbestand und fehlende Schutzkleidung. Ramona S. berichtet auf Fragen der Verteidigung von Problemen mit dem Warenprogramm der Alten Apotheke. Ware, die im Computer als vorrätig angezeigt wurde, sei nicht im Lager gewesen. Und Ware, die laut Warensystem gerade nicht vorrätig war, habe sich im Lager befunden. „Ich habe Peter Stadtmann wohl auch zwei, drei Mal im Anzug im Labor gesehen“, sagt sie und bestätigt damit die Aussagen mehrerer anderer Mitarbeiter vor Gericht. Angesprochen habe sie Stadtmann darauf nicht, aber es sei „natürlich nicht in Ordnung“.

  • Zytos aus München und aufgezogene Spritzen. Die Zeugin Birgit K. berichtet vor Gericht von Zytos-Lieferungen aus einer Apotheke in München.  Außerdem sagt sie, dass die Spritzen mit Krebstherapien in der Praxis von Dr. Pott selbst aufgezogen worden seien.

  • Neue Zeugen? Die Nebenklage regt an mehrere weitere Zeugen im Prozess zu hören. Sie wollen den Journalisten Oliver Schröm, Autor des Buches „Die Krebsmafia“ als Sachverständigen-Zeugen laden. Schröm wird ab Februar Chefredakteur von CORRECTIV. Außerdem wird von der Nebenklage angeregt, die Onkologen Tirier und Dierks als Zeugen zu laden und sie zur Wirksamkeit von Behandlungen zu befragen. Auch den Steuerberater der Familie Stadtmann will die Nebenklage hören. Der Whistleblower Martin Porwoll hatte vor Gericht ausgesagt, der Steuerberater habe ihm gegenüber die Gewinne der Alten Apotheke als „an der Grenze zur Erklärbarkeit“ bezeichnet. Des Weiteren regt die Nebenklage an, die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linke im Deutschen Bundestag zum Thema zum Gegenstand der Verhandlung zu machen.

  • Abgelaufene Medikamente nach der Razzia. Der Anwalt der Nebenklage Andreas Schulz fragt die Zeugin Ramona S., ob sie sich erinnert, dass Anfang Dezember 2016 ein Patient ein abgelaufenes Krebsmedikament in der Alten Apotheke bekommen habe. Ramona S. sagt, sie könne sich an einen solchen Vorfall nicht erinnern.

  • Wer stellte die Krebstherapien her? Die Verteidigung versucht Zweifel an der Dokumentation der Alten Apotheke zu schüren. Dafür legt sie Screenshots von Unterlagen vor, die Martin Porwoll als Hersteller von zehn Krebstherapien ausweisen sollen. Da der Zeuge glaubhaft versichert habe, niemals Krebstherapien hergestellt zu haben, bewiesen die Unterlagen eine „willkürliche personelle Zuordnung“. Demnach sei aus dem Dokumentationssystem der Alten Apotheke nicht zuverlässig ersichtlich, wer welche Therapien hergestellt habe. Die Nebenklage bemängelt, dass die Fotos nicht am Tag der Zeugenaussage Porwolls vorgelegt wurden. Dann hätte man Porwoll direkt dazu befragen können.

  • Akteneinsicht für die Nebenklage. Die Anwälte der Nebenklage wollten, nachdem die Staatsanwaltschaft aus einem Brief von Prada an den Angeklagten zitierte, Einsicht in die geschwärzten Finanz-Akten. Es entwickelte sich ein heftiges Wortgefecht. Der Richter sagt, das Oberlandesgericht habe seine Auffassung bestätigt, die Nebenklage sieht dies nicht so. Aber jetzt wollen sie erstmal Einsicht in die Grundbuchakten und die Notarverträge zur Übertragung der Alten Apotheke an die Mutter und den Darlehensvertrag.CORRECTIV hat über diese Notarverträge aus der Untersuchungshaft schon geschrieben. Zudem geht es um die Geschäftskonten der Alten Apotheke. Das Gericht wird darüber entscheiden.   

Ausblick auf den nächsten Verhandlungstag:

Der nächste Verhandlungstag am 29.01.2018 fällt aus. An diesem Tag sollten eigentlich zwei Apotheker aussagen, die in der Alten Apotheke gearbeitet haben. Der Termin wird auf einen unbestimmten Termin verschoben. Weiter geht es deshalb erst am 31.Januar. An diesem Tag soll die Amtsapothekerin Hanneline Lochte als Zeugin aussagen. Sie war für die Kontrolle der Alten Apotheke zuständig. Ursprünglich sollte die Amtsapothekerin schon im November aussagen. Weil sie krank war, musste der Termin damals verlegt werden.

Die nächsten Verhandlungstage im Überblick (Beginn jeweils 09:30 Uhr): 31.01., 01.02., 05.02., 08.02., 14.02., 16.02., 20.02., 22.02., 13.03.