Der Prozess

Alte Apotheke: Der Prozess, Tag 20

Der Prozess läuft wie geplant weiter. Ein Mitarbeiter von Hexal widerspricht Schwarzverkäufen. Die Verteidigung kann nicht punkten.

von Cristina Helberg

© CORRECTIV.RUHR

Um über die Entscheidung des Aussetzungsantrages zu berichten, sind mehrere Kamerateams vor Ort. Als klar, ist, dass der Prozess wie geplant weiter läuft, leert sich der Saal. CORRECTIV berichtet aus dem Gerichtssaal. 

Welchen Eindruck macht Peter Stadtmann?

Während der Befragung des Pharmavertreters Wilfried H., zu dem Peter Stadtmann wohl enge Kontakte pflegte, schaut der Angeklagte demonstrativ in eine andere Richtung. In der Pause bespricht er sich abwechselnd intensiv mit seinen Anwälten.

Welchen Eindruck machen die Betroffenen?

Die Nebenklage ist an diesem Tag gut vertreten. Mittlerweile 47 Betroffene und Angehörige haben sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen. Sie sind erleichtert, dass das Verfahren wie geplant weiter läuft. Über die Frage, ob sie auch als Zeugen im Prozess aussagen dürfen, hat der Richter noch nicht entschieden.  

Die wichtigsten Ereignisse des Tages:

  • Der Prozess geht weiter. Das Gericht lehnt den Aussetzungsantrag der Verteidigung ab. Zuvor hatten die Anwälte der Nebenklage und die Staatsanwalt sich gegen die Unterbrechung des Verfahren ausgesprochen. Kurz darauf gibt der Vorsitzende Richter Johannes Hidding sechzehn zusätzliche Verhandlungstermine im März, April und Mai bekannt (alle Termine am Ende des Artikels). Er betont aber, das sei reine Vorsorge. Ob wirklich alle angesetzten Tage für den Abschluss des Prozesses nötig sind, ist noch unklar. Am letzten Prozesstag hatte die Verteidigung eine Aussetzung der Hauptverhandlung beantragt. Der Grund sei, dass eine Akte aus dem Verfahren im Internet einsehbar sei. In ihrem Antrag beschuldigten die Anwälte einen Mitarbeiter von CORRECTIV, die Akte veröffentlicht zu haben. Nach eigenen Angaben ermittelt die Staatsanwaltschaft. Aus Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen kann sich CORRECTIV zu Details nicht äußern. CORRECTIV prüft die Vorwürfe. 
  • Keine Beweise für Schwarzverkäufe. Wilfried H. ist eine Schlüsselfigur in der Argumentation der Verteidigung. Sie behauptet, der Pharmavertreter Wilfried H. habe Wirkstoffe schwarz aus dem Kofferraum verkauft. Wilfried H. ist vor Gericht eindeutig: Solche Kofferraum-Lieferungen habe es nicht gegeben. Der Pharmakonzern Hexal hatte illegale Lieferungen schon im November auf Anfrage von CORRECTIV dementiert. Vor Gericht sagt Wilfried H., er habe generell keinen Kontakt zu den eigentlichen Präparaten, die durch spezialisierte Unternehmen ausgeliefert würden. Durch die günstigen Einkaufskonditionen lohne sich ein illegaler Verkauf generell nicht. Auffällig ist: Selbst die Anwälte der Verteidigung scheinen an ihre eigene Theorie der Schwarzverkäufe nicht zu glauben. Denn als sie Gelegenheit dazu haben, fragen sie Wilfried H. nicht nach konkreten Details dieser angeblichen Schwarzverkäufe — weder nach dem Tag der Übergabe, der Uhrzeit der Übergabe, dem Ort oder der Automarke, noch nach den angeblich gekauften Produkten. Stattdessen eine Nebelkerze. Sie fragen nach einem anderen möglichen Geheimnis des Pharmavertreters. Nach Geldzahlungen und anderen Vorteilen, die er von dem Angeklagten erhalten haben soll. In diesem Punkt wird die Verteidigung nun sehr konkret. Stadtmanns Anwälte nennen, nachdem Wilfried H. bereits den Saal verlassen hat, sogar eine Möbelfirma, bei der Peter Stadtmann sechs hochwertige Haushaltsgegenstände im Wert von mehr als 7.000 Euro bestellt und an die Privatadresse von Wilfried H. liefern gelassen haben soll. Während Wilfried H. zu dem Vorwurf der Schwarzverkäufe vor Gericht ausführlich aussagt, schreckt er vor der Frage nach Geschenken und Geld zurück. Er zieht die Notbremse und beruft sich auf sein Aussageverweigerungsrecht nach §55. Die Verteidigung reagiert überraschend. Stadtmanns Anwälte erklären, sie seien verwundert, dass der Richter den Zeugen nicht schon zu Beginn darauf aufmerksam gemacht habe, dass er generell die Aussage mit Verweis darauf verweigern könne. Wäre der Verteidigung das Schweigen des Pharmareferenten lieber gewesen? Was bleibt, ist die Frage nach Sinn und Zweck möglicher Zahlungen. Könnte es sich bei den angeblichen Zuwendungen wohlmöglich um ein Dankeschön für die “besten Konditionen“, die die Alte Apotheke nach Aussagen von Martin Porwoll vor Gericht bei Hexal bekam, handeln? Wie auch immer: Die Aussage des Pharmavertreters war kein Punktgewinn für die Verteidigung.
  • Undurchsichtige Fahrtkostenerstattung. In einem Punkt bestätigt Wilfried H. von Peter Stadtmann Geld erhalten zu haben. Das sei eine Fahrtkostenerstattung für die Teilnahme einer Mitarbeiterin an einer Fachfortbildung gewesen. Der Name der Mitarbeiterin: Birgit K. Sie hatte sich vor Gericht als „gute Freundin“ Stadtmanns bezeichnet und am 16. Verhandlungstag detailliert ausgesagt. Die Fahrtkostenerstattung wird von der Verteidigung in Fragen angezweifelt und bleibt auch nach Erklärungsversuchen von Wilfried H. undurchsichtig.
  • Hexal bleibt bei Dementi. Der Pharmakonzern Hexal bleibt auf Nachfrage von CORRECTIV trotz der heutigen Aussageverweigerung ihres Mitarbeiters zu Finanzfragen bei der klaren Aussage: „Wie Sie selbst schildern, hat Herr H. heute vor Gericht ausgesagt, dass er keine Zytostatika via Kofferraum verkauft hat, und dass er als Außendienstmitarbeiter mit solcher Ware gar nicht in Berührung kommt. Das entspricht exakt dem, was wir Ihnen bereits zuvor erklärt hatten.Darüber hinaus kann ich Ihnen mitteilen, dass wir keinerlei Hinweise auf einen unzulässigen Handel mit abgelaufenen Produkten unseres Unternehmens haben. Zu den übrigen in der heutigen Vernehmung angesprochenen Punkte werden wir interne Untersuchungen veranlassen.“ 
  • Eigentor für die Verteidigung. Bisher sind die Finanzakten im Fall Alte Apotheke für die Nebenklage verschlossen. Sie haben keine Akteneinsicht. Die Nebenklage nutzt den Beweisantrag der Verteidigung für einen erneuten Versuch Einsicht in die Finanzen des Angeklagten zu bekommen. Stadtmanns Anwälte wollen die angeblichen Zahlungen der Haushaltsgeräte durch Kontoauszüge belegen. Der Nebenklage-Anwalt Khubaib-Ali Mohammed will diese Kontoauszüge einsehen können. Er fordert eine vollständige Einsicht der Kontounterlagen dieses Kontos. Dann wäre auch nachvollziehbar, ob solche Zahlungen mehr als einmal stattfanden und vielleicht sogar gängige Praxis waren.
  • Die Reste in der Apotheke. Die Anwälte Stadtmanns fragen den Pharmavertreter Wilfried H. nach einem angeblichen Treffen mit dem Vater von Peter Stadtmann und dem Mitarbeiter der Apotheke Marc F. nach der Razzia in der Alten Apotheke. Wilfried H. bestätigt, nach der Razzia ein oder zwei Mal in der Apotheke gewesen zu sein. Es sei um die Frage gegangen, was mit den Hexalprodukten passieren sollte, die nach der Razzia noch in der Apotheke lagerten. Die Verteidigung hält Wilfried H. vor, er habe angeboten diese Produkte bei einer Konferenz mit Zyto-Apothekern zu verkaufen. Wilfried H. bestreitet das. Er habe lediglich den Kontakt zu eventuell interessierten Apothekern herstellen wollen.
  • Falsche Verdächtigungen? Der Nebenklage Anwalt Andreas Schulz wirft die Frage auf, ob mit dem Vorgehen der Verteidigung im Bezug auf den Zeugen Wilfried H. ein Straftatbestand erfüllt sei. Die Verteidigung habe den Zeugen in die Nähe einer Straftat gerückt. „Sie haben einen Bock geschossen und dem Angeklagten keinen Gefallen getan“, kommentiert er das Vorgehen der Verteidigung. 
  • Straßenkleidung und ein Bauchgefühl. Der Zeuge Ingo E. berichtet von ungewöhnlichen Beobachtungen im Zyto-Labor der Alten Apotheke. Vor Gericht sagt er, Peter Stadtmann habe morgens regelmäßig teure Antikörper-Therapien schon für den nächsten Tag zubereitet. Das sei ein „großes finanzielles Risiko“ und zudem unüblich. Weil es Patienten kurzfristig schlechter gehen könne, würden Zubereitungen eigentlich möglichst kurzfristig hergestellt. Ingo E. arbeitete von April 2009 bis September 2010 als Apotheker im Zyto-Labor der Alten Apotheke.Wie mehrere andere Mitarbeiter gibt er an, den Angeklagten regelmäßig in Straßenkleidung im Labor gesehen zu haben. Eine andere Aussage des Zeugen lässt die Nebenklagevertreter aufhorchen. Ingo E. sagt, sein Bauchgefühl habe ihm an manchen Tagen morgens beim Blick in den Kühlschrank gesagt: „Für das, was hätte verbraucht werden müssen, hätte das nicht genügt“. Im Labor habe es Momente gegeben, in denen er über Wirkstoffe gedacht habe „komisch, hätte da nicht mehr weg sein müssen“. Der Keller sei aber immer voll gewesen. 
  • Vorproduzierte Etiketten für Krebsmittel. In der Alten Apotheke war es laut dem Zeugen Ingo E. gängige Praxis, Etiketten für Zyto-Zubereitungen vorzuproduzieren. Freitags seien Etiketten für Zubereitungen gedruckt worden, die man am Montagmorgen herstellen wollte. Darauf habe dann der geplante Herstellungszeitraum gestanden. In diesem Fall also Montag. „Ob dann am Wochenende diese Herstellungen von jemand anderem gemacht wurden, weiß ich nicht“, sagt Ingo E.. Die Nebenklage fragt nach. Daraufhin sagt Ingo E., es sei vorgekommen, dass am Montag Morgen schon vorgefertigte Etiketten abgearbeitet waren. Offen bleibt, von wem. Ingo E. sagt zunächst, er habe nicht mitbekommen, dass Mitarbeiter der Zyto-Abteilung am Wochenende arbeiteten. Auf Nachfrage der Verteidigung muss er aber einräumen, dies nicht genau zu wissen. 
  • Bewerbungsgespräch im Krankenhaus. Der Zeuge Ingo E. sagt vor Gericht aus, dass er Peter Stadtmann im Krankenhaus kennenlernte. Zur Zeit seiner Einstellung leiteten die Eltern des Angeklagten die Alte Apotheke. Für das Vorstellungsgespräch habe er gemeinsam mit ihnen den Angeklagten im Krankenhaus besucht. Wie an vorherigen Verhandlungstagen wird die Öffentlichkeit während der Fragen zur Gesundheit des Angeklagten von der Verhandlung ausgeschlossen. 
  • Werden die Opfer als Zeugen gehört? Noch hat das Gericht nicht über die Frage entschieden, ob betroffene Patienten und Nebenkläger als Zeugen im Prozess gehört werden. Das hatte die Nebenklage am 05. Februar in einem Antrag gefordert. Der Nebenklage-Anwalt Khubaib-Ali Mohammed bittet die Kammer nun in einer Stellungnahme nochmals eindringlich darum, die Opfer zu hören. Er verweist auf das „komplette Versagen der Exekutivorgane zum Schutz der Bevölkerung“. Damit gemeint seien die Stadtverwaltung, aber auch Staatsanwaltschaft und Ermittler. Es sei eine „unheimlich schlechte Anklageschrift“ herausgekommen und der Staatsanwalt sei „nicht fähig gewesen, am richtigen Gericht anzuklagen“. Die Anhörung der Betroffenen sei deshalb besonders wichtig. Der Richter will aus zeitlichen Gründen an diesem Prozesstag nicht mehr über den Antrag entschieden wird.
  • Herstellungsprotokolle chaotisch. In einer Erklärung stellt die Verteidigung den Beweiswert der Herstellungsprotokolle in Frage. Als Beispiel führt die Verteidigung an, dass der ehemalige Mitarbeiter Henrik M. im Jahr 2012 nicht in den Herstellungsprotokollen auftauche. Er habe aber am letzten Verhandlungstag ausgesagt, 2012 im Zyto-Labor an der Zubereitung beteiligt gewesen zu sein. Martin Porwoll dagegen habe nach eigener Aussage nicht zubereitet, tauche aber in Herstellungsprotokollen auf. Offensichtlich gebe es eine willkürliche Zuordnung der Therapien zu Mitarbeitern. 

Ausblick auf den nächsten Verhandlungstag:

Der nächste Verhandlungstag ist am 14.02.2018. Dann soll ein Finanzermittler vor Gericht als Zeuge aussagen. Außerdem will der Richter verschiedene Urkunden verlesen lassen. Darunter Grundbuchakten, Handelsregisterauszüge und Auszüge aus einer Akte. 

Die nächsten Verhandlungstage im Überblick (Beginn jeweils 09:30 Uhr):  14.02., 16.02., 20.02., 22.02., 06.03., 07.03, 09.03, 13.03., 14.03, 19.03. 21.03., 22.03., 03.04., 06.04., 03.05., 04.05, 09.05, 16.05., 18.05., 23.05., 24.05.