Der Prozess, Tag 39
Die Nebenklage lehnt Richter Hidding als befangen ab. Eine Scheidungsanwältin sagt als unerwartete Zeugin aus. Ein Sachverständiger bescheinigt Stadtmann Störungen. Am späten Abend wird die Verhandlung wegen einem Migräneanfall Stadtmanns unterbrochen.
Welchen Eindruck macht Peter Stadtmann?
Stadtmann ist heute ruhig und starrt über weite Teile der Verhandlung auf die Wand gegenüber. Als es kurz vor Schluss eine Pause gibt, steht er am offenen Fenster und beobachtet die Straße. Nach der Verhandlung wirkt er müde, unterhält sich aber noch mit seinen Anwälten.
Welchen Eindruck machen die Betroffenen?
Zehn Betroffene sitzen heute auf den Bänken der Nebenklage. Am Ende des zehnstündigen Verhandlungstages sind es nur noch zwei. Neun Zuschauer und fünf Journalisten verfolgen anfangs den Prozess. Über den Tag verlassen drei Journalisten und fünf Zuschauer den Saal.
Die wichtigsten Ereignisse des Tages:
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Befangenheitsantrag gegen Richter Hidding. Schon am Sonntag hatte Nebenklageanwalt Andreas Schulz einen Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden eingereicht. Das verkündet Richter Hidding zu Beginn der Sitzung. In einem solchen Fall muss die Kammer ohne den vorsitzenden Richter über dessen Befangenheit entscheiden. Trotz des Antrages entscheidet Hidding weiterzuverhandeln und den Sachverständigen Pedro Faustmann aus praktischen Gründen erst einmal aussagen zu lassen. Es beginnt ein Schlagabtausch an Anträgen. Schulz fordert einen Kammerbeschluss. Als die Kammer den Richter bestätigt, beantragt Nebenklage-Anwältin Gerdau eine Unterbrechung. Sie will einen Antrag auf Befangenheit der gesamten Kammer vorbereiten. Hidding will das Wort nicht mehr erteilen. Auch dafür benötigt es wieder einen Kammerbeschluss. Schulz wirft immer wieder ein, er wolle eine Entscheidung zu seinem Antrag auf Einsicht der Arbeitsunterlagen der Sachverständigen. Auch in der Befragung von Faustmann, betont er immer wieder, die Unterlagen ja leider nicht zu bekommen. Richter Hidding wird laut. Schulz wirft ihm vor, empfindlich zu sein. Die Verteidigung beantragt die Vernehmung der Zeugin Christina M., die sie bereits geladen haben und die vor Ort ist. Dem wird stattgegeben. Sie darf aussagen. Alle anderen Anträge werden auf Mittwoch verschoben.
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Scheidungsanwältin kann kurze Ehe nicht verstehen. Christina M., eine Schulfreundin Stadtmanns sagt aus, sie habe auffällige Veränderungen an ihm bemerkt. Sie hatte sich bereits per Fax bei Gericht gemeldet. In der Schulzeit sei Stadtmann ein strukturierter, überlegter, ein bisschen verklemmter Mensch gewesen, sagt die Zeugin. Als er sie 2010 wieder kontaktierte, um sich von ihr als Scheidungsanwältin vertreten zu lassen, habe sie einige Veränderungen bemerkt. Die kurzfristige Eheschließung sei für sie schwer nachvollziehbar gewesen. Es habe nicht zu dem Mensch gepasst, den sie kannte. Es seien auch geschätzt 400.000 bis 600.000 Euro an die Ehefrau und ihre Eltern geflossen. Dies und die Gründe der Trennung habe Stadtmann nicht begründen können. Das habe für sie realitätsfern gewirkt. Auch Konzentrationsprobleme und Stimmungsschwankungen seien ihr aufgefallen. In einem Gespräch sei er euphorisch gewesen und im nächsten bedrückt. Die Veränderung hätten auch Stadtmanns Vater und sein Anwalt bestätigt, sagt Christina M. Auf Nachfrage, wie das Fax an das Gericht gelangte der Nebenklage, sagt Christina M., dass sie zuerst Stadtmanns Verteidigern angerufen habe. Dort habe sie das Aktenzeichen erfragt, um das Fax an das Gericht zu schicken. Grund: Sie hatte die Kanzlei damals Stadtmanns Eltern empfohlen und sich noch an den Namen erinnert.
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Kognitive und affektive Störung? Die Testergebnisse sprechen für eine Störung der kognitiven Leistungsfähigkeit im konzeptuellen Denken und Exekutivfunktionen, sagt der psychiatrische Sachverständige Pedro Faustmann. Die IQ-Werte von 100 beziehungsweise 115 würde man bei einem studierten Akademiker anders erwarten. Richter Hidding wirft ein, dass in Deutschland die Bildung nicht allein von der Intelligenz abhinge. Faustmann bezieht sich auf Listen, die Psychologen für die Einschätzung von IQs entworfen haben. Dort sei für einen Apotheker 120 bis 125 ein normaler IQ-Wert. Auch habe er im Vergleich zu Hauptschülern in einem der Tests schlecht abgeschnitten. Der psychologische Sachverständige Schiffer hatte diese Vergleichswerte in Frage gestellt, da er sie in keinem Handbuch gefunden habe. Faustmann verweist auf Testverfahren, die man in einem Katalog bestellen könne. Auffällig sei außerdem gewesen, wie Stadtmann sich verhalten habe, sagt Faustmann. Er habe im Gespräch motiviert und freundlich gewirkt: „Er hatte sich einen Notizblock mitgenommen, eine Überschrift geschrieben, um was es gehen solle heute.“ Das sei ein ungewöhnliches Verhalten für jemanden, der so lange in Haft saß. Das deute auf eine affektive Störung hin. Stadtmann habe auch seine eigenen Schwächen nicht gesehen. Auf Frage der Nebenklage erklärt Faustmann, in Bezug auf das Gutachten von Schiffer, sei seine Diagnose gleich, nur habe Schiffer keine validen Testergebnisse gehabt.
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Fehler oder Vorsatz? Die Nebenklage will wissen, ob es unter solchen Bedingungen möglich ist, dass nur Unter- jedoch keine Überdosierungen produziert werden. Stadtmann habe ständig Angst gehabt, nicht mit der Arbeit fertig zu werden, sagt der Sachverständige. Falls diese Angst so dominant war, ließen sich gerade Unterdosierungen erklären, sagt Faustmann. In so einer Situation käme es zu Elementarhandlungen, wie einfache Schritte immer wieder zu wiederholen. Auch sei es plausibel, dass Stadtmann durch die Angst lieber zu wenig als zu viel Wirkstoff hineingetan habe. Dies müsse nicht bewusst geschehen sein. Die Nebenklage hakt nach: Bei den beschlagnahmten Proben war nur eine von 29 Antikörper-Probe nicht unterdosiert gewesen. Ausgerechnet die war für eine Studie hergestellt worden. Wie sich das erklären ließe, fragt die Nebenklage. Faustmann weicht aus. Dies könne er nur beantworten, wenn er die Herstellungssituation kenne. Sind alle Proben an einem Tag entstanden? Wie viel Zeitdruck hat bei der Herstellung geherrscht? Ohne diese Informationen könne er die Frage nicht beantworten.
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Migräneanfall Stadtmanns, Faustmann muss in die Verlängerung. Bevor die Verteidigung den Sachverständigen befragen kann, muss die Verhandlung am späten Abend gegen 19.45 Uhr abgebrochen werden. Stadtmann habe einen Migräneanfall, sagen seine Anwälte und bereits Schmerzmittel genommen. Er könne der Verhandlung nicht weiter folgen. Faustmann muss somit erneut geladen werden. Er hatte bereits zu Anfang mitgeteilt, dass er die nächsten zwei Wochen keine Zeit habe. Auch eine erneute Befragung des Sachverständigen Schiffer sei noch möglich, sagt Richter Hidding. Bis Mittwoch will er einen neuen Termin mit Faustmann koordinieren. Dann müsse man sehen, ob die angesetzten Termine eingehalten werden. Möglicherweise kommt es auch zu einer Unterbrechung.
Ausblick auf den nächsten Verhandlungstag
Am Mittwoch sollen einige Anträge gestellt werden. Das Gericht will außerdem entscheiden, wie der Zeitplan für die nächste Woche aussieht.
Die nächsten Verhandlungstage im Überblick (Beginn jeweils 09:30 Uhr): 27.06., 28.06., 29.06., 03.07., 05.07. und 06.07.