Die IG BCE und die Flüchtlinge
Vor ein paar Tagen war ich bei der IG BCE, der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Bei einer Veranstaltung in Bottrop zum Thema Integration und Flucht. Ich wollte mich erkundigen, wie der Stand dort ist. Sind die Kumpel den Flüchtlingen gegenüber aufgeschlossen – oder kritisch? Eine Frage, auf die ich sehr gemischte Antworten fand.
In Bottrop ist die IGBCE noch etwas Besonderes. In Bottrop gibt es noch eine Zeche. Hier geht es also nicht um Folklore, wenn sich die Bergleute treffen. In Bottrop ist die Grube immer noch einer der größten, wenn nicht der größte Arbeitgeber. Es geht also um Arbeit, um Macht, um Politik bei der IG BCE. Ich war auf einen interessanten Abend gefasst. Bottrops Kämmerer Willi Loeven hatte sein Kommen zugesagt. Er wollte den Kumpels Rede und Antwort stehen.
Ich habe mich gefragt: Warum steht die IG BCE eigentlich nicht vor den Flüchtlingsheimen, wenn diese angegriffen werden? Warum fährt sie keine Hilfskampagnen? Warum wehen die Fahnen der Gewerkschaft nicht für die Unterdrückten und Schutzbedürftigen, die zu uns kommen? Oder anders gesagt: Warum geht die IG BCE nicht gegen die AfD auf die Straße?
Ich habe ein paar Antworten auf diese Fragen bekommen.
Der Vortrag
Knapp 20 Leute waren im Veranstaltungsraum der IG BCE in Bottrop. Auf dem Tisch ein paar Bier, Wasser, Cola, Säfte. Nur Männer. Viele Weißhaarige, der Älteste 87 Jahre. Kaum einer unter 50 Jahren. Willi Loeven hat sich vor die Tische gestellt und eine Power-Point-Präsentation vorbereitet, die er von seinem iPad abspielt. Willi Loeven berichtet von den Zuständen, den Flüchtlingen, die monatelang in die Stadt geströmt sind. Zwischen Oktober 2015 und März 2016. In manchen Wochen über 100 Personen, die untergebracht, die versorgt werden mussten. Loeven sagt, er habe manchmal schlecht geschlafen, weil er nicht wusste, wo er die Menschen unterbringen sollte.
Insgesamt waren es bis Ende Juni 1635 Flüchtlinge, die in die 120.000-Einwohner-Stadt kamen. Rechnet man die Flüchtlinge hinzu, die vom Jobcenter versorgt werden, sind es knapp 2000. Die meisten stammen aus Syrien, einige aus Afghanistan, dem Irak und Iran. Wenige aus den Maghrebstaaten. Die meisten kamen im vergangenen Winter. Seit März kommen nur noch vereinzelt Flüchtlinge.
Loeven funktionierte damals den Saalbau der Stadt zum Flüchtlingsquartier um. Er sagt, es war eine schwierige Zeit, weil die Stadt unvorbereitet war. Nun habe man aber alles weitgehend im Griff. Für die Zukunft habe man Vorkehrungen getroffen, falls die Flüchtlingswelle wieder anschwellen sollte. Ansonsten verteile man die Menschen nun auf Wohnungen. Das sei für alle angenehmer und billiger als Massenunterkünfte. Der Bottroper Saalbau werde wieder leergezogen – und soll dann weiter als Reserveunterkunft dienen.
Loeven spricht davon, wie wichtig es ist, schnell mit der Integrationsarbeit anzufangen. Wie wichtig es ist, die Kooperation mit den Freiwilligen und den Hilfsorganisationen zu finden. „Ohne die wäre es kaum zu schaffen“, sagt er.
Loeven sieht aus wie ein Mensch, der schwierige Dinge in den Griff kriegt. Ein Typ, dem man gerne vertraut. Ein Macher.
Die Diskussion
Und dann reden auch die Anderen. Am weitesten von Loeven entfernt an einem Tisch sitzt eine Gruppe von fünf Bergleuten. Ihre Hände sind harte Arbeit gewohnt, groß und fest. Vor den Männern stehen Biere. „Ich komme aus dem Bottroper Süden. Da sind ganz schön viele von denen“, sagt einer aus der Gruppe. Er meint damit die alten Arbeiterstadtteile, unten Richtung Emscher. „Wie werden die denn verteilt?“ Loeven erklärt, dass die Menschen in Heime über die Stadt verteilt werden, von der Emscher im Süden bis in die ländlichen Stadtteile nach Kirchhellen im Norden. Dort seien immerhin 100 Flüchtlinge.
Das bedeutet aber auch, dass 1500 Menschen nicht in Kirchhellen untergebracht sind. Sondern in anderen Stadtteilen, vor allem im Bottroper Süden. Die Bergleute spüren, das die Wahrheit hier nicht verschwiegen, aber auch nicht klar ausgesprochen wird. Kämmerer Loeven sagt, dass die Stadt auf freie Wohnungen angewiesen sei, auf die Flüchtlingen verteilt werden könnten. Und die gebe es nun mal häufiger im ärmeren Süden als im wohlhabeneren Norden. „Sie wissen, wo die Wohnungen sind“, sagt Loeven.
Er trifft damit einen Kern. Einen Kern, der den Bergleuten zusetzt. Weil es im Süden schlechter ist, soll es dort noch schlechter werden? Das ist für die Männer hier die Frage. Es geht um ein Gefühl der Gerechtigkeit. Warum tragen die Leute im Norden nicht die gleiche Last wie die Leute im Süden – zumal die im Norden als reicher gelten? Loeven sagt, die Flüchtlinge in den Landeseinrichtungen im Süden könne man nicht zu den Zahlen für Bottrop hinzuzählen. Die Männer lachen auf: „Die sind doch auch da.“ Es gibt also mehr als die genannten rund 2000 Flüchtlinge in Bottrop – und die sind auch im Süden. Im Süden wurden Schulen zu Heimen umgebaut. Hier gibt es große Sammelunterkünfte. Ein Mann aus der Fünfergruppe ruft dazwischen: „Schulen gibt es in Kirchhellen auch“. Es ist ein gefühlter Streit der Reichen gegen die Armen. Der-da-oben gegen Die-da-unten. Das Vertrauen in die Führung scheint geschwächt. Loeven sagt: „In Kirchhellen haben wir die Möglichkeiten nicht.“
Und Loeven hat damit einfach recht; objektiv recht. Im Norden sind die Wohnungen teuer, es gibt kaum Lehrstände und kaum Schulen ohne Schüler. Aber diese einfache Wahrheit ändert nichts am Gefühl der Männer, benachteiligt zu werden, weil die Menschen im Norden nicht die gleiche Last tragen wie die im Süden. „Ghettobildung“, sagt einer der Männer aus dem Süden. Und er ist sauer. Loeven bittet um Vertrauen: „Nehmen Sie uns unsere Bemühungen ab, dass wir das anders verteilen wollen.“ Das Gefühl der Benachteiligung bleibt spürbar.
In Essen in Karnap sind Menschen aus der IG BCE, aus der SPD gegen noch mehr Flüchtlingsheime in ihrem Viertel auf die Straße gegangen. Sie haben demonstriert. Einer von den Vorstandsleuten aus der SPD in Karnap ist nach dem Protest aus der SPD ausgetreten und in die AfD eingetreten. Sein Name: Guido Reil. Er ist Mitglied der IG BCE. Er macht nun Wahlkampf gegen seine alten Genossen. Die gewohnten Verbindungen reißen auf. Kein gutes Signal, wenn das um sich greift.
Wie viel Geld kriegt die Stadt je Flüchtling? Das will einer der Männer aus der Fünfergruppe in Bottrop wissen. 10.000 Euro je Jahr, sagt Loeven. Das Geld werde für die Flüchtlinge ausgegeben. Die Stadt habe keine zusätzlichen Lasten zu tragen. Man gebe wie vor der Krise etwa 2 Millionen Euro im Jahr aus der Stadtkasse für Migranten aus. Einer der Bergleute rechnet im Kopf zusammen. Eine vierköpfige Familie kriegt also 40.000 Euro im Jahr? Für Nichts? Über 3200 Euro im Monat? „Tolles Einkommen“, ruft er. Die Augenbrauen in der Runde werden hochgezogen, das Lächeln wird bitter, der Blick höhnisch. Neid. So sieht Neid aus.
Loeven versucht zu erklären: Nein, das Geld kriegen die Menschen nicht in bar ausgezahlt. Davon muss die Stadt alle Kosten für alle Flüchtlinge tragen. Die Verwaltung bezahlen, die Sammelunterkünfte, die Heime. Die Menschen selbst würden etwa vier Fünftel des Geldes bekommen, das einem deutschen Hartz IV-Empfänger zusteht. „Wer zahlt den Strom in den Heimen?“ –„Da ist immer das Fenster offen und da brennt andauernd Licht“ „Wer zahlt das?“ Loeven wirbt um Verständnis. „Das ist eine andere Mentalität.“ Die Menschen würden aus Wüsten kommen. Da funktioniert eine Heizung anders als in Bottrop – wenn es überhaupt eine gibt. „Das gleiche Problem haben wir bei der Mülltrennung“, sagt Loeven. Man kann das verstehen – wenn man will. Und es nicht klar, ob die Männer in der Fünfergruppe wollen.
Willi Loeven schlägt sich zwar tapfer. Aber die Männer sehen einfach nicht überzeugt aus. Sie schreien nicht. Sie streiten nicht. Sie sind es gewohnt, sich Sachen erklären zu lassen. Und sich dann ihre eigenen Gedanken zu machen. Und nur danach zu handeln. Sie lehnen sich zurück. Sie haben dieses unbestimmte, dieses respektlose „Mach du mal, du Typ du“ an sich.
„Wie sind die Flüchtlinge versichert? Haben sie eine Haftpflicht?“ Loeven stutzt, als er die Frage aus der Gruppe hört. „Wie deutsche Hartz IV-Empfänger auch“, sagt er. Also erst mal gar nicht. „Was passiert, wenn die Kinder von denen draußen rumrennen und ein Auto wird verkratzt. Ist das versichert?“ Loeven sagt: „Nein.“ „Genau das ist das Problem.“ Vor den Heimen laufen viele Kinder rum. Sie können nicht den ganzen Tag in den engen Räumen sitzen, in denen sich Familien ein Zimmer teilen. Sie müssen raus. Raus zum Spielen. Raus zum Luft holen. 15 Kinder auf der Straße, ein Fahrrad, ein Roller. Und ein frisch geputztes Bergmanns-Auto. „Wenn das Auto kaputt ist, gibt es Ärger“, sagt der Bergmann.
Loeven nickt. Vielleicht sei es eine gute Idee, die Kinder zu versichern. Er müsse darüber nachdenken.
Ein alter, grauhaariger Mann mit erkennbar Ostpreußischem Akzent meldet sich: Das höre sich ja alles ganz nett an, was Loeven da erzähle. „Aber Sie vergessen die Fakten. Den Hodscha. Die haben für uns nichts über. Für die sind wir die Ungläubigen. Die werden hier versorgt, von denen geht keiner zurück. Am Ende sind es die Steuerzahler, die das bezahlen.“
Loeven zögert, erklärt, dass der Islam kein Problem der Flüchtlinge sei. Dass in Bottrop in manchem Stadtteil auch ohne Neuankömmlinge 50 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund haben. „Bei Kindern ist der Anteil größer“. Loeven sagt, dass wir in Deutschland jedes Jahr Zuwanderer brauchen, damit unsere Sozialsysteme halten und wir die Renten der Alten bezahlen können. „Vielleicht brauchen wir in zehn Jahren die Syrer.“ Außerdem habe die Integration der Ostpreußen nach dem zweiten Weltkrieg auch ganz gut geklappt. Obwohl von denen viele einen für Bottrop fremden Glauben gehabt hätten.
Die Fünfergruppe nörgelt vor sich hin, aber nun leiser. „Wenn man alles bekommt, soll man sich auch benehmen.“ „Bin gespannt, wann das nächste Köln passiert.“ „Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, aber die hätte man sofort in den Flieger stecken müssen.“
Das Fazit:
Der Abend ist zu Ende. Und ich habe ein paar Dinge verstanden. Als erstes: Die Gewerkschaft geht nicht gegen die AfD, Fremdenhass und Angriffe auf Flüchtlingsheime auf die Straße, weil sie sich nicht sicher sein kann, dass ihre Mitglieder geschlossen hinter ihr stehen.
Und dann habe ich die Angst verstanden. Diese Angst, die Menschen gegen Flüchtlinge einnimmt. Es ist kein Hass. Es ist Angst um die billige Wohnung in der Nachbarschaft für die eigenen Kinder. Die Angst vor dem Fremden. Die Angst um das eigene Auto. Die Angst vor Ungerechtigkeit. Die Angst davor, benachteiligt zu werden.
Diese Angst kann man den Menschen nehmen, wenn man sie geduldig aufklärt. Und wenn man sich ihre Sorgen anhört und darauf reagiert.
Als Beispiel für mögliche Reaktionen möchte ich zwei Dinge stark vereinfacht herausgreifen.
Zunächst die Angst um den Lack des eigenen Autos, das stolz in der Siedlung parkt. Wenn die Kinder der Flüchtlinge für ein paar Euro von der Stadt haftpflichtversichert werden, passiert nichts Schlimmes, wenn das Auto verkratzt wird. Der Bergmann bekommt seinen Schaden ersetzt. Sind die Kinder allerdings nicht versichert, gibt es Probleme, wenn ein Mercedes Kratzer bekommt. Dann hat die AfD einige Wähler mehr in der Siedlung. Tatsächlich kann hier die Haftpflichtversicherung einen Unterschied in der Wahlentscheidung ausmachen. Diese Dinge kann man nur erfahren, wenn man genau hinhört.
Als nächstes geht es um die Angst um die billigen Wohnungen. Die Angst, dass die Kinder, die Eltern, keinen Platz finden, wo sie bleiben können. In der Nähe. In der Siedlung. Die Lösung hier ist der Schweinezyklus. Wenn Wohnungen gebraucht werden, muss man bauen. Das fängt langsam an. Und geht dann rasend schnell. Die Kredite sind billig. Die Menschen wollen investieren. Ihre Bauten müssen sichtbar werden. Die Landesregierung, die Minister und die Bürgermeister sollten jede Woche eine Siedlung, ein Wohnblock mit günstigem Wohnraum eröffnen. Mit Fähnchen, rotem Band, Schere, Kapelle und Blitzlicht. Damit jeder sehen kann, was überall passiert. Dass kein Stillstand herrscht. Dass die Ärmel hochgekrempelt sind. Und alle mit anpacken.
Das gibt Optimismus. Und wo Optimisten sind, hat Angst keinen Platz.