Weiter dreckige Luft in NRW
Im Kampf gegen die Luftbelastung durch Stickoxide glaubt die Landesregierung nicht mehr an schnelle Erfolge. Umweltminister Remmel setzt auf langfristige Maßnahmen, statt auf Verbote. Für Menschen in Ballungsgebieten kann das zu spät sein.
Nordrhein-Westfalen schafft es nicht, seine Luft sauber zu bekommen. Auch im vergangenen Jahr haben zahlreiche Städte den EU-Grenzwert für Stickstoffdioxide nicht eingehalten. Wissenschaftler gehen davon aus, dass durch die Abgase pro Jahr rund 10.000 Menschen in Deutschland vorzeitig sterben. Schuld sind vor allem Dieselfahrzeuge. Die Politik sagt, sie kann wenig tun.
Stickstoffdioxid macht krank. Das Gas verschlimmert Asthma und Bronchitis, erhöht das Herzinfarktrisiko und die Todesrate. In Städten sind es vor allem Dieselfahrzeuge, die das giftige Gas ausstoßen, besonders betroffen sind Kinder und ältere Menschen, die an Durchfahrtsstraßen wohnen. Unter anderem deswegen gibt es im Ruhrgebiet, in Köln, in Düsseldorf oder in Münster Umweltzonen, in die besonders dreckige Fahrzeuge nicht reinfahren dürfen. Bei der Reduzierung des Feinstaubes hat das auch geklappt. Allerdings scheint die Einrichtung der Umweltzonen so gut wie keine Auswirkungen auf die Konzentration der Stickoxide zu haben.
Kaum Messstellen, kaum Besserung
Das Recherchezentrum CORRECTIV hat die Werte aller Messstellen des Umweltbundesamtes der vergangenen Jahre ausgewertet und auf Karten gebracht. Durch die Langzeitbeobachtung werden zwei Dinge sichtbar.
Erstens: Es tut sich fast gar nichts. Die Werte in den exemplarisch ausgewerteten NRW-Gemeinden gehen allenfalls extrem langsam zurück. Sie liegen durchweg über den Grenzwerten. Nur punktuell, etwa in Bönen oder Krefeld, konnten die Grenzwerte im vergangenen Jahr erstmals eingehalten werden.
Zweitens: Es gibt sehr wenige feste Messstellen. In Essen ein halbes Dutzend. In Köln vier. In Düsseldorf und Dortmund zwei beziehungsweise drei. Die geringe Zahl der Messstellen erlaubt eigentlich keine Aussage über besondere lokale Belastungen an stark befahrenen Strassen etwa oder vor Ampelkreuzungen. Wird ein Rückgang der Belastung in einer Kommune festgestellt, kann das schon daran liegen, dass vor der Messstelle über einen längeren Zeitraum eine Baustelle war. In Essen wurde eine Verkehrsmessstelle neben einem Park aufgebaut.
Essen*: Von vier festen Messstellen, stehen in Essen immerhin drei an der Straße. Davon liegen die Messungen in der Hombrucher Straße mit 55 Mikrogramm (μg) je Kubikmeter (m³) Luft und der Gladbecker Straße mit 45 μg/m³ über dem Grenzwert und in Essen-Ost an der Streeler Straße knapp darunter. Doch auch an vielen Orten, an denen nicht regelmäßig gemessen wird, gibt es Überschreitungen – etwa an der Alfredstraße, der Brückstraße, an der Krayer Straße und in Frohnhausen. Selbst der neue, seit Mitte Oktober 2015 geltende Luftreinhalteplan für den westlichen Teil des Ruhrgebiets beinhaltet keine Prognose, ob und wann die Grenzwerte mit den aufgeführten Maßnahmen eingehalten werden.
Das NRW-Umweltministerium bestätigt die Auswertungen von correctiv.org: Der Rückgang der Stickoxid-Konzentration in der Luft sei „weitaus geringer“ als mit Einführung verschärfter Euro-Abgasnormen ursprünglich erwartet wurde. Als Ursache für den Schadstoff in der Luft macht das Ministerium eindeutig den Straßenverkehr aus. Und deswegen sei auch der Schuldige für den extrem langsamen Abstieg der Konzentrationen klar: die manipulierten Diesel-Pkw mit ihren Abschalteinrichtungen für Stickoxid-Minderungs-Systeme.
Fast überall schlechte Werte
Tatsächlich überschreiten Deutschlands Ballungszentren den EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft seit Jahren. Die offiziellen Messwerte des Umweltbundesamtes sind fast überall genau so schlecht wie in den Jahren zuvor. In München und Stuttgart wird das Limit nach wie vor um das Doppelte überschritten. In Hamburg – hier liegt die Belastung übers Jahr gesehen rund 50 Prozent über dem Grenzwert – verschlechterten sich die Messergebnisse sogar.
Damit werden Strafzahlungen an die EU immer wahrscheinlicher. Bereits vor knapp einem Jahr hatte die Kommission in Brüssel einen blauen Brief nach Berlin geschickt und gedroht, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten – mit Geldstrafen in zweistelliger Millionenhöhe pro Kommune. Die Bundesregierung hatte zugegeben, dass 23 Städte – darunter Hamburg, Köln, Frankfurt, München – die geltenden Grenzwerte nicht vor 2020 einhalten werden.
Dortmund: Hier gibt es lediglich drei feste Messstellen, davon zwei für den Verkehr. Die höchste Belastung wird in der Brackeler Straße mit 52 μg/m³ gemessen. An der Steinstraße lag der Messwert 2014 knapp unter dem Grenzwert. Zusätzliche Messungen werden nur an zwei Punkten an der B1 durchgeführt. An beiden wird der Grenzwert nicht eingehalten — am Rheinlanddamm mit 48 und am Westphalendamm mit 44 μg/m³.
Mahnschreiben an Deutschland
Dass die Grenzwerte in Deutschland auf lange Sicht nicht eingehalten werden, wollte die EU-Kommission nicht akzeptieren. Die Verzögerung sei „ein ausreichendes Indiz dafür, dass Deutschland keine geeigneten Maßnahmen getroffen hat“, so die Kommission in ihrem Mahnschreiben. Deutschland müsse sofort handeln.
Doch es ist wieder nichts geschehen. Tempolimits? Fahrverbote? Fehlanzeige. Die EU-Kommission monierte zudem die deutsche Steuerpolitik, die „Anreize für Dieselfahrzeuge bietet“. Die machen derzeit rund die Hälfte der Neuzulassungen aus.
Düsseldorf: Die Stadt hat nur drei feste Messstellen, von denen lediglich eine den Verkehr misst. An der Corneliusstraße übersteigt die Belastung mit 60 μg/m³ den Grenzwert um die Hälfte. An weiteren Standorten, an denen nicht regelmäßig gemessen wird, sieht es nicht besser aus. In Bilk liegt der Wert ebenfalls bei 60, an der Ludenberger Straße mit 56 fast genauso hoch.
NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) sagt: „Die Belastung mit Stickstoffdioxid ist das Problem Nummer eins in der Luftreinhaltung – nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Stickstoffdioxid in der Luft gefährdet die Gesundheit der Menschen.“
Die Bundesregierung erklärte in ihrer Antwort an die EU-Kommission, dass sie auf die strenge Euro-6-Abgasnorm setze: Seit dem 1. September 2014 dürfen Diesel-Pkw lediglich 80 Milligramm Stickoxide pro Kilometer ausstoßen – statt zuvor 180 Milligramm. Doch dann wurden die Abgasmanipulationen der Autokonzerne öffentlich, erst bei VW und inzwischen bei immer mehr Herstellern. In einem Praxis-Test des International Council of Clean Transportation (ICCT) zeigte sich: Auf der Straße stoßen auch neue Dieselfahrzeuge im Schnitt sieben Mal mehr Abgase aus als im Labor – bis zu 500 Milligramm pro Kubikmeter. Benzinmotoren hingegen bleiben mit 60 Milligramm unter dem Grenzwert.
Köln: Hier gibt es lediglich vier feste Messstellen, zwei davon für den Verkehr. Am höchsten ist die Belastung am Clevischen Ring mit 63 μg/m³. An der Turiner Straße wird der Grenzwert mit 47 μg/m³ nur leicht überschritten. Höhere Werte werden an vielen Orten gemessen, an denen keine feste Messstellen stehen: etwa am Neumarkt und in Weiden mit je 56 μg/m³, auch an der Justinianstraße und der Luxemburger Straße liegt der Messwert bei mehr als 50.
Keine Fahrverbote, keine neuen Umweltzonen?
Kurzfristig Abhilfe in NRW ist aus Sicht der Politik nicht realistisch. Das NRW-Umweltministerium sagt: „Maßnahmen, die auf lokaler Ebene ergriffenen werden, reichen allein nicht aus.“ Also keine neuen oder verschärften Umweltzonen, keine Fahrverbote, keine stillgelegten Straßen. Nachhaltige Verbesserungen der Luftqualität seien nur mit emissionsarmen oder -freien Antrieben, einem verbesserten Nahverkehr und mehr Rad- und Fußwegen zu erreichen, meint das Ministerium. NRW-Umweltminister Johannes Remmel schlägt langfristige Programme vor: Stromautos sollen gefördert und besonders saubere Verbrennungsmotoren extra gekennzeichnet werden.
Den Menschen, die jetzt die Stickoxide einatmen, helfen die langfristigen Maßnahmen wenig. In Deutschland geht die Europäische Umweltagentur (EEA) von rund 10.000 Todesfällen pro Jahr durch Stickstoffdioxide aus.
Stuttgart: Richtig schlecht sieht es in Stuttgart aus. Die Messstelle am Neckartor gilt als die am stärksten belastete Messstelle in ganz Deutschland. Hier werden die Grenzwerte deutlich überschritten. 2014 lag der NO2-Jahresmittelwert mit 89 μg/m³ um mehr als das Doppelte über dem Grenzwert. Der Stundenmittelwert von 200 μg/m³ wurde 36 Mal überschritten.
Einen Hoffnungsschimmer liefert Berlin. Dort scheint es besser zu werden. Die Grenzwerte konnten im vergangenen Jahr an den wenigen Messpunkten eingehalten werden. Nahverkehrsbusse wurden mit Filtern ausgestattet, die die Stickoxidemissionen um bis zu 80 Prozent senken, man führte Tempo-30-Zonen ein und baute das Radwegenetz aus. Die Berliner Umweltzone war eine der ersten und zählt zu den strengsten, mit wenig Ausnahmeregelungen und vielen Kontrollen.
Berlin: Im Vergleich zu anderen Städte ist Berlin relativ gut mit Messstellen abgedeckt. Am höchsten ist die NO2-Belastung am Hardenbergplatz in Charlottenburg mit 62 μg/m³ für 2014. Vorläufigen Berechnungen für 2015 zufolge ist der Wert immerhin deutlich gesunken auf 53 μg/m³. Auch an den Verkehrsmessstellen in der Silbersteinstraße und der Karl-Marx-Straße in Neukölln, der Frankfurter Allee in Friedrichshain, dem Mariendorfer Damm und der Schildhornstraße in Steglitz wird der Jahresgrenzwert regelmäßig überschritten.
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Anmerkung: *Alle Daten vom Umweltbundesamt, Stickoxid-Angaben in µg/m3, © OpenStreetMap contributors, CartoDB attributions
Diese CORRECTIV-Recherche wurde gefördert durch ein Datenfellowship der Rudolf Augstein Stiftung.