Artikel

Wie der Terror mein Nizza verändert

Wer weiß, ob wir vor fünf Jahren nach Nizza ausgewandert wären, hätte es schon damals ein Attentat gegeben. Wer weiß, ob wir unsere Radtaschen in unserer Bochumer Wohnung gepackt hätten und mit dem Nachtzug 1200 Kilometer in den Süden gefahren wären, wenn schon damals ein Durchgeknallter mit einem Lastwagen mehr als 80 Menschen auf der Strandpromenade in den Tod gerissen hätte. Aber nun leben wir hier. Und das kleine Paradies am Mittelmeer verändert sich.

von Annika Joeres

Ferienparadies Nizza. Autorin Annika Joeres lebt dort seit fünf Jahren. Der Anschlag hat vieles verändert.© old town von Stephan Harmes, lizensiert unter CC BY 2.0

Plötzlich zählt Frankreich zu den gefährlichen Urlaubsgebieten der Welt. Plötzlich haben viele Menschen ihre Reise ans Mittelmeer wieder abgesagt. Auch wenn das keinen Sinn ergibt und ich mich hier bei uns im kleinen Dorf bei Nizza so sicher fühle wie vorher, wandelt sich der Ruf der neuen Heimat. Plötzlich erscheint vielen das matte Ruhrgebiet als sicherer Hafen und die Côte-d’Azur wirkt mit ihren schillernden Strandparties, den bulligen Yachten am Hafen und der Prominenz wie ein gefundenes Fressen für Menschen, die sich an der Gesellschaft rächen wollen. 

Mit dem Attentat wuchern all die schlechten Seiten der Côte-d’Azur. Die Menschen haben hier schon seit drei Jahrzehnten weit rechts gewählt, mit der Trauer im Bauch wird die Sehnsucht nach vermeintlicher Sicherheit noch größer. Und die Sehnsucht nach einem „alten Frankreich“ wächst, obwohl niemand genau weiß, warum es irgendwann in den 1960er oder 1970er Jahren hier besser gewesen sein soll. 

Freundinnen wollen Flüchtlinge aussperren

Selbst gute Freundinnen von mir wandeln sich. „Wir sollten alle Verdächtigen in einem Flugzeug über dem Meer abwerfen“, sagt Hélène. Sie ist in Nizza geboren, sie ist Rechtsanwältin, hat zwei kleine Kinder, tanzt auf Feiern bis zum Schluss und ihre beste Freundin ist eine Muslimin. Eine herzliche, belesene Frau. Aber seitdem in ihrer südfranzösischen Stadt ein Attentäter mindestens 84 Menschen mit einem Laster in den Tod riss, haben sich ihre Gesichtszüge verhärtet. Kurz nach dem Ereignis wollte sie gar nicht darüber sprechen, angestrengt verschloss sie ihre Wut und Trauer hinter zusammen gepressten Lippen. Nun, einige Tage später, möchte sie Sondergesetze für alle einmal suspekt gewordenen Menschen und sie möchte Flüchtlinge an der nur 20 Kilometer entfernten italienischen Grenze aussperren. „Ich habe so einen Hass in mir, ich kann das nicht mehr schlucken“, sagt sie.

Ich wünsche mir in diesen Momenten meine alten Freunde an den Tisch in der Sonne. In Südfrankreich weiß ich nie, ob ich nicht aus Versehen mit einem Anhänger der Front National einen Apéro trinke. Die Sorge kannte ich im Ruhrgebiet kaum, die beängstigende rechte Szene trieb sich im Dortmunder Norden rum und auch mit den Bochumer Neonazis saß ich sicherlich nicht aus Versehen an einem Tisch. Selbst konservative Menschen im Ruhrgebiet wählen SPD, nicht Parteien, die die Todesstrafe wieder einführen wollen und an den zahlreichen französischen Kolonialkriegen immer auch was Gutes finden können. 

Rechtsextreme werden stärker

Leider ist Hélène mit ihrer Meinung nicht alleine. In einigen Städten am Mittelmeer regiert der rechtsextreme Front National, in nahezu allen weiteren Kommunen die konservativen Republikaner. Ihre Worte sind häufig ebenso brachial und emotional wie neuerdings auch die von meiner Freundin Hélène. Es sollten künftig Kriegswaffen in den Städten benutzt werden, sagt Eric Ciotti von den Republikanern. Marion Maréchal Le Pen von der Front National darf in allen Medien äußern, dass es den Franzosen die alte Sicherheit wiederbringen würde, wenn sie keine Flüchtlinge mehr aufnehmen würden.

Der Wandel zu „law and order“, zu einer allein auf Sicherheit abzielenden Politik ist ein bekanntes Phänomen in unsicheren Zeiten. Vielleicht trifft es Franzosen und Französinnen in dieser schönen Gegend mit Meerblick und den Seealpen im Rücken besonders unverhofft. Die Bilder der Promenade, auf denen vor dem türkisblauen Wasser Leichen liegen und Blut an den Dattelpalmen klebt sind von einem verstörenden Kontrast. Die Menschen sind fassungslos. Sie wollen die örtlichen Polizisten mit Schusswaffen ausstatten, obwohl sie eigentlich nur den Verkehr regeln und Knöllchen verteilen. Und sie heißen es gut, wenn neben den Eisdielen und Bikini-Shops in Nizza plötzlich Soldaten mit Maschinengewehren stehen.

Die Sonnenseite Europas hat ihre dunklen Stellen. Der neuen französischen Heimat den Rücken zu kehren fiele mir trotzdem nicht ein. Auch der alten Heimat Ruhrgebiet halte ich schließlich die Treue.