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Bezieht die Chefin der Duisburger Behindertenwerkstatt 350.000 Euro im Jahr?

Die Stadt Duisburg weigert sich, das Gehalt der Geschäftsführerin der Duisburger Behindertenwerkstätten offen zu legen. Nach CORRECTIV vorliegenden Hinweisen könnten ihre Bezüge im vergangenen Jahr bei etwa 350.000 Euro gelegen haben. Und damit deutlich mehr als bei vergleichbaren Werkstätten.

von Dietmar Seher

Chefin der wfbm, Roselyn Rogg, und Duisburgs OB Sören Link© Heike Kaldenhoff

Wieviel verdient die Geschäftsführerin der Duisburger Werkstätten für Menschen mit Behinderung? Die Stadt Duisburg, die zur Hälfte an der Werkstatt beteiligt ist, schweigt sich eisern über das Gehalt von Roselyne Rogg aus. CORRECTIV liegen Hinweise vor, nach denen Rogg im vergangenen Jahr inklusive Gehalt und Altersvorsorge rund 350.000 Euro bezogen haben könnte. 

Angesichts eines Jahresumsatzes der Werkstätten im Jahr 2015 von etwa 11 Millionen Euro wäre das ein hohes Geschäftsführergehalt. Zumal die Satzung der Werkstätten eine „unverhältnismäßige Vergütung“ verbietet. Weder Rogg noch die Stadt wollten sich auf Anfrage zu dieser Summe äußern.

Die Duisburger Behindertenwerkstätten sorgen dafür, dass Menschen mit Behinderung einen Job bekommen. 190 fest angestellte Mitarbeiter betreuen rund 1.100 Behinderte. Das Unternehmen unterhält dafür vier Werkstätten, in denen im Auftrag privater Unternehmer Elektro- und Metallgeräte montiert und Verpackungen und Gärtnerarbeiten erledigt werden. 

Dazu kommen mit „Der kleine Prinz“ und „Ziegenpeter“ zwei Restaurants sowie ein eigenes Modelabel. Vor kurzem wurde die Werkstatt zu den 100 innovativsten Unternehmen im deutschen Mittelstand gekürt.

Wie die Stadt wollte sich auch die Lebenshilfe Duisburg, neben dem Verein für Körper- und Mehrfachbehinderte weiterer Anteilseigner der Werkstätten, auf Anfrage nicht zum Gehalt von Rogg äußern. Rogg ist seit 2009 alleinige Geschäftsführerin der Werkstätten. 

Glaubt man den CORRECTIV vorliegenden Hinweisen, verdient Rogg deutlich mehr als die Geschäftsführer von zwei von der Größe her vergleichbaren Werkstätten in der Region, in Düsseldorf und Essen. Sie veröffentlichen die Gehälter ihrer Geschäftsführer. 

Der Chef der Werkstatt für angepasste Arbeit in Düsseldorf, die 1.500 Behinderte in acht Betriebsstätten betreut, verdiente 2015 112.000 Euro. Die Stadt Essen, die gemeinsam mit Wohlfahrtsverbänden seit 2015 die Gesellschaft für Soziale Arbeit Essen betreibt, zahlt dem Chef der Einrichtung 146.000 Euro. Nachzulesen im Internet.

Dort veröffentlicht auch die hoch verschuldete Stadt Duisburg die Gehälter von stadteigenen Unternehmen. Der Chef des Hafens, der größte Binnenhafen der Welt, verdient fast eine Million Euro, der Zoodirektor 250.000 Euro, der Chef der Duisburger Verkehrs- und Versorgungsgesellschaft  737.520 Euro. Nur bei der Behindertenwerkstatt fehlt die Angabe.

Anja Kopka, die Sprecherin des Oberbürgermeisters, teilte lapidar mit, die Veröffentlichung des Geschäftsführergehalts sei bei der Behindertenwerkstatt nicht vorgesehen. Die Stadt habe zudem in der Gesellschaft „keine beherrschende Stellung“ und könne eine Antwort „gegen den Willen der Mitgesellschafter“ nicht herbeiführen.

Dagmar Frochte, die Vorstandsvorsitzende der Duisburger Lebenshilfe, sagte auf Anfrage lediglich, die Duisburger Behindertenwerkstatt sei gesetzlich nicht verpflichtet, die Vergütung von Mitarbeitern offen zu legen.

Was ist ein angemessenes Gehalt für die Geschäftsführung eines gemeinnützigen Unternehmens? Dafür gibt es keine klare Regeln. Die Finanzämter haben Ermessensspielraum.

Lange erwarteter Präzedenzfall

Für mehr Klärung könnte der Prozess mit dem Aktenzeichen V R 5/17 am Bundesfinanzhof sorgen. Viele Beobachter des gemeinnützigen Sektors erhoffen sich von dem Urteil Klarheit.

Konkret geht es um die Vorstandsbezüge eines in der Psychiatrie engagierten Unternehmens aus Mecklenburg-Vorpommern. Das dortige Finanzamt entzog dem Unternehmen die Gemeinnützigkeit, weil der Geschäftsführer zu viel verdiente. Und zwar ähnlich viel wie die Geschäftsführerin der Duisburger Behindertenwerkstatt: bis zu 346.000 Euro.

Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern bestätigte die Entscheidung. Das Gericht orientierte sich bei seiner Entscheidung an dem Durchschnittsgehalt eines Geschäftsführers im Gesundheitswesen, das nur halb so hoch ist wie bei dem Unternehmen. Nach einer Revision liegt der Fall jetzt beim Bundesfinanzhof. Bestätigt der Bundesfinanzhof das Urteil aus Mecklenburg-Vorpommern, hätten Finanzämter und Gerichte in Zukunft eine Orientierungsgröße zur Verfügung.

Großer Klärungsbedarf

„Wir sind schnell“, sagt Finanzhof-Richter Christoph Wäger. Er ist Sprecher des obersten deutschen Steuergerichts und Mitglied seines fünften Senats, der das Verfahren zu entscheiden hat. Seit wenigen Monaten liegen die Prozessakten in München. Wäger rechnet damit, dass er und seine Kollegen ein Urteil im Lauf des Jahres 2018 fällen werden. Die Aufmerksamkeit kleiner und großer wohltätiger Organisationen im ganzen Bundesgebiet ist diesem Richterkollegium sicher.

Denn eine Klärung drängt. Was eine angemessene Vergütung ist, darüber gibt es große Unsicherheit in der Branche. Rund 4.000 Organisationen und Unternehmen haben in Deutschland die Form einer gemeinnützigen GmbH. Ihre Zahl ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Viele Wohlfahrtsorganisationen und Kommunen richten sie ein. Allein der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. gehören 700 Betriebe mit 2.700 Standorten an. Sie betreuen 300.000 Menschen.

Es sind also engagierte Kräfte, die sich für die Schwächeren in der Gesellschaft einsetzen und dafür vom Gesetzgeber steuerrechtlich bewusst geschont werden. Doch immer wieder wird die Wohlfahrtsbranche auch von Skandalen erschüttert. 

Erstaunen über das Gehalt

Zum Beispiel die Berliner „Maserati-Affäre“. Der Geschäftsführer des Sozialunternehmens Treberhilfe hatte sich ein Jahresgehalt von über 300.000 Euro plus Dienstwagen genehmigt. CORRECTIV deckte im Sommer auf, dass ein Geschäftsführer des evangelischen Diakoniewerks Bethel etwa 700.000 Euro jährlich erhalten haben soll.

Eberhard Kanski, Vorstandsmitglied des NRW-Landesverband des Bundes der Steuerzahler ist nicht überrascht von der Verschlossenheit der Stadt Duisburg. So musste der Steuerzahlerbund im Fall des Umbaus des Kulturzentrums Küppers Mühle am Innenhafen Informationen über die tatsächlichen Kosten vor Gericht einklagen. „Besonders seit dem Love Parade-Unglück beobachten wir Zurückhaltung“, sagt Kanski.

Über die mutmaßliche Höhe des Gehalts von Roselyne Rogg ist Kanski aber erstaunt. Er rechnet hier mit eingehenden Nachfragen durch die Finanzbehörden. Steuerbeamte schauten in der letzten Zeit genau hin, wenn gemeinnützige Organisationen mit hohen Summen jonglierten, sagt er. Das sei so, seit die Skandale beim Deutschen Fußball Bund (DFB) im Zusammenhang mit dem „Sommermärchen“ 2006 und beim ADAC aufgeflogen seien. Die Vorgabe der Abgabenordnung, die Unternehmen müssten „selbstlos“ arbeiten, sei ernst zu nehmen.

Die Duisburger Behindertenwerkstätten sind nicht das erste Mal in den Schlagzeilen. 2009 sorgten die Vorgänger von Roselyn Rogg für einen Finanzskandal mit Betrugs- und Vorteilnahme-Vorwürfen. Nur knapp entkam die Werkstatt damals ihrem Aus. Jetzt dürften ihre neue Schlagzeilen sicher sein.