Pleiten, Pech und Pannen in der AfD
Die finanzielle Seriosität des Essener AfD-Chefs Stefan Keuter wird vom Pretzell-Lager in Frage gestellt. CORRECTIV.RUHR liegen Unterlagen zur insolventen Tradco GmbH vor, bei der Keuter Geschäftsführer war. Der Angriff des Pretzell-Lagers auf Keuter bringt den Bergmann Reil in einen Loyalitätskonflikt.
Vor der Landtagswahl am Sonntag hat die AfD in NRW ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das beginnt mit der Spitze um den Landesvorsitzenden Marcus Pretzell und zieht sich über die Funktionsträger bis in die Städte. Für die Aussprache zu den finanziellen Angelegenheiten des Essener AfD-Chefs Stefan Keuter rollte die AfD in NRW sogar die große Bühne frei.
Mit einem Porsche Panamera 4S fuhr Keuter am 4. März diesen Jahres zur Wahlversammlung der AfD in die Stadthalle nach Troisdorf. Der Porsche sei nicht seiner, sagte er gegenüber CORRECTIV.Ruhr, ihm gehöre ein Mercedes „nicht finanziert oder geleast“.
Keuter kandidierte an diesem Tag für den Platz 11 der Landesliste für den Bundestag. Kommt die AfD bei der Bundestagswahl über acht Prozent, gelten zwölf Plätze für die AfD aus NRW als sicher. Eine Woche vor dem Termin in Troisdorf war Keuter in Essen bei der Wahl um die Spitzenkandidatur gescheitert.
Bei der Vorstellung in Essen mussten die Kandidaten der AfD über ihre finanzielle Situation Auskunft geben. Keuter gab an, dass 100.000 Euro Verbindlichkeiten entsprechende Vermögenswerte gegenüberstünden.
Es war nicht das letzte Mal, dass in der AfD über seine finanzielle Situation gesprochen werden sollte.
Mit dem Porsche in den Bundestag
Später in Troisdorf ging Parteifreund Wolfgang Demolsky aus Bochum Keuter scharf an. Ob es stimme, dass er bei einem Parteifreund eine „eine titulierte Schuld von 70.000 Euro“ habe?
Demolsky ist in der AfD in NRW nicht irgendwer. Er ist Pretzells Mann fürs Grobe. Demolsky war an den Whats-App-Gruppen beteiligt, mit deren Hilfe die Listenaufstellung zum Landtag manipuliert wurde, wie der Stern aufdeckte.
Keuter warf Demolsky als Reaktion auf die Fragen nach seiner Vermögenssituation vor, die Partei zu spalten – und wurde auf die Landesliste gewählt.
Angesprochen auf die damalige Auseinandersetzung, sagt Keuter gegenüber CORRECTIV.Ruhr: „Es ist richtig, dass ich mit Herrn Scheer finanziell verbunden bin.“ Der Parteifreund Marcus Scheer kommt wie Demolsky aus Bochum. Scheer wollte sich gegenüber CORRECTIV.Ruhr dazu nicht äußern, da dies „das Ergebnis eines privaten Geschäftes“ gewesen sei.
Scheer ist aber ebenfalls kein Unbekannter. Er war Vorstand der Phenomedia AG, die durch das Moorhuhnspiel und einen spektakulären Finanzskandal berühmt wurde. Die Phenomedia schlitterte in die Insolvenz – und Scheer wurde 2009 wegen Bilanzfälschung, Kreditbetrug und Untreue zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt.
Auch Keuters bisheriges Berufsleben war ein stetiges Auf und Ab.
„Ich war Ende der 90er Jahre Geschäftsführer der Art Department Lizenzverwaltungs-GmbH, einem 100%-igen Tochterunternehmen der Phenomedia AG“, sagt Keuter gegenüber CORRECTIV.Ruhr. Er habe das Unternehmen mit Börsengang verlassen und wurde Berater einer Investmentbank in Frankfurt/Main.
Die Insolvenz der Tradco GmbH
Nach eigenen Angaben war er bei der Deutschen Bank, dann Vorstand der Capitalpartner Beteiligungs AG, Geschäftsführer der Keuter-Jagd-GmbH und im Vorstand der shoes24.com – bis zur Insolvenz.
Keuter war auch Geschäftsführer der Tradco GmbH, die sich seit dem 23. Februar 2016 im Insolvenzverfahren befindet. Die Gesellschaft betrieb Einzel- und Großversand von Kleidern und Schuhen.
Auf einem außerordentlichen Stadtverbandsparteitag der AfD in Essen am 29. März 2015 wurde Keuter zu der finanziellen Situation der Tradco befragt. Das Protokoll des Parteitages im Restaurant „Domstuben“ liegt CORRECTIV.Ruhr vor.
Nach dem Protokoll sagte Keuter dem Parteitag, dass „die Gesellschaft Verbindlichkeiten in Höhe von 50 Tausend Euro habe und es keine finanzielle Schwierigkeiten gebe“. Dem Schufa-Eintrag der GmbH zufolge hatte das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits neun Mal keine Vermögensauskunft abgegeben.
Der vorliegende Auszug vermerkt, dass die Tradco GmbH zwischen dem 16. April 2014 und dem 11. April 2016 sogar ein Dutzend Mal keine Vermögensauskunft abgegeben hat. Das heißt zwölf mal hat die GmbH nicht den sogenannten Offenbarungseid abgegeben.
Die Nichtabgabe von Vermögensauskünften also scheint, wie beim Spitzenkandidat Pretzell zu sehen ist, eine Besonderheit der AfD zu sein.
Hat Keuter damals der AfD die Unwahrheit gesagt? Auf dem Parteitag wurde er zum Vorsitzenden der AfD Essen gewählt.
Was Keuter dazu sagt
Keuter sagt gegenüber CORRECTIV.Ruhr, bei dem Stadtverbandsparteitag 2015 in Essen sei es „hoch her“ gegangen, die Spaltung zwischen Lucke-Anhängern und –Gegnern hätte sich schon angedeutet. Parteigründer Bernd Lucke unterlag im Sommer des gleichen Jahres im Kampf um den Parteivorsitz Frauke Petry und verließ daraufhin die AfD.
Der Protokollant sei ein Unterstützer Luckes gewesen, „der den Parteitag (aus meiner Sicht nicht ganz objektiv) akribisch protokollierte“, sagt Keuter. „Ich wurde auf dem Parteitag ausgiebig zur Tradco GmbH befragt und habe darauf wahrheitsgemäß geantwortet.“
Von den neun verweigerten Vermögensauskünften hat Keuter dem Parteitag nach dem Protokoll aber nichts gesagt.
Nach Keuter sei die Situation der Tradco durch „einen Streitfall“ mit der Ex-Frau und einen „Wasserschaden“ verschärft worden, aber den „Verbindlichkeiten“ hätten „erhebliche Warenbestände“ gegenüberstanden.
Der Insolvenzverwalter sagte CORRECTIV.Ruhr, dass das Insolvenzverfahren der Tradco andauere.
Tanzbär Reil in Bedrängnis
Das Petry-Lager zweifelt allerdings an Keuters finanzieller Seriosität, wie der Showdown auf offener Bühne in Troisdorf zeigte.
Dies wird auch zu einem Problem des Bergmannes Guido Reil, den Petry und Pretzell gerne als Aushängeschild des Wahlkampfes in NRW nutzen. Der ehemalige Sozialdemokrat wurde 2016 von Keuter in die AfD geholt. „Ich habe in Guido Reil einen politischen Rohdiamanten gesehen. Noch nie war ich mir bei einer strategischen Entscheidung so sicher, wie als es darum ging, Guido Reil in die AfD zu holen“, wird Keuter in einem Facebook-Eintrag der AfD Essen zitiert.
Reil fühlt sich Keuter verbunden und hat zu dessen Wahl auf der Liste für den Bundestag aufgerufen. Reil sieht in dem AfD-Chef aus Essen einen Kumpel.
Obwohl das Pretzell-Lager die finanzielle Lage von Reils Kumpel Keuter aufs Korn nimmt, führen Petry und Pretzell den Bergmann wie einen Tanzbär von einer Wahlveranstaltung zur anderen. Dabei steht Reil nur auf Platz 26 der Liste für den Landtag. Sollte die AfD bei der Landtagswahl am Sonntag weit unter zehn Prozent bleiben, könnte Reil den sicher geglaubten Einzug in den Landtag verpassen. Er hätte seinen Dienst getan, und könnte gehen.
Guido Reil hat auf eine Anfrage von CORRECTIV.Ruhr bisher nicht geantwortet.
Der Mut zur Wahrheit
Die verworrene Finanzsituation des Essener AfD-Chefs Keuter, die auch Bergmann Reil in Bedrängnis bringt, ist Ausdruck eines generellen Glaubwürdigkeitsproblems der AfD in NRW. Einer der Hauptslogans der AfD ist der „Mut zur Wahrheit“. Der Spitzenkandidat Marcus Pretzell nimmt es aber damit nicht so genau.
Im Januar 2015 pfändeten die Finanzbehörden in Bielefeld ein Parteikonto der AfD, um Steuerschulden bei Pretzell einzutreiben.
Doch damit endete die Geschichte nicht: Die Rheinische Post recherchierte die Gründe, warum der AfD-Spitzenkandidat Pretzell kein Anwalt mehr ist: Pretzell habe die Zulassung 2015 zurückgegeben, um einem Ausschluss der Kammer wegen des zweiten nicht geleisteten Offenbarungseids im Februar 2015 zuvorzukommen. Diese Information erhielt die Rheinische Post nach einer Auskunftsklage gegen die Rechtsanwaltskammer Hamm.
Die Anwälte Pretzells erklärten daraufhin, dass der AfD-Spitzenkandidat seine Zulassung nicht aufgrund der Einträge im Vollstreckungsregister zurückgegeben habe – und er mit der Rückgabe auch nicht einer Entscheidung der Rechtsanwaltskammer habe zuvorkommen wollen.
Er sei „zu keinem Zeitpunkt zahlungsunfähig, überschuldet oder zahlungsunwillig gewesen“, zitiert ihn die Rheinischen Post. Diese Versicherung hat Pretzell auch CORRECTIV.Ruhr im Dezember 2016 gegeben. „Ich bin nie pleite gewesen“, sagte Pretzell.
Auch andere Aussagen von Pretzell sind mit Vorsicht zu genießen.
Der Faktencheck
Im April sagte der Ehemann der AfD-Bundesvorsitzenden Petry in der „Welt“: „Es gibt kein einziges Zitat von Frauke Petry oder mir, in dem wir fordern, den Begriff ‚völkisch‘ zu rehabilitieren.“
Tatsächlich forderte Petry aber im September 2016 über mehrere Absätze in einem autorisierten Welt-Interview, dass „völkisch“ wieder positiv besetzt werden müsse. CORRECTIV.Ruhr machte zu dieser Aussage den Faktencheck.
Pretzells Blick auf die Welt und die Wahrheit scheint Methode zu haben. Der frühere Berater von Frauke Petry und ehemalige Focus-Journalist Michael Klonovsky hat dies unlängst in einer scharfen Charakterstudie zusammengefasst: „Pretzell ist eine Hochstaplerfigur, ein unseriöser Mensch mit krankhaftem Drang zur Intrige und zum Schüren von Konflikten, ein Hasardeur, der Verträge für unverbindlich und Versprechen für elastische Floskeln hält.“
Klonovsky hat Pretzell wegen nicht gezahlter Sozialabgaben angezeigt. Pretzell hält dagegen, der ehemalige Journalist habe nie für ihn gearbeitet. In einem Statement auf Youtube sagt Pretzell, seit Sommer 2016 „hat Herr Klonovsky weder Arbeit für mich geleistet, noch hat er an irgendeiner Stelle seine Arbeit angeboten“.
Daraufhin hat Klonovsky die Rede zum Tag der deutschen Einheit veröffentlicht, die Klonovsky geschrieben und Pretzell im Oktober 2016 gehalten hatte.
Die Glaubwürdigkeitsfalle
Aber es ist nicht nur der Spitzenkandidat in NRW Pretzell, der ein Problem mit der Glaubwürdigkeit hat. Es ist auch nicht nur der Essener AfD-Chef Stefan Keuter.
Ein Sitz im Landtag ist eine lukrative Sache. Es winken fast 500.000 Euro. Das Geld lockt viele dubiose Leute an.