
Liebe Leserinnen und Leser,
wenn Sie schon länger unsere Tageszeitung per E-Mail lesen, erinnern Sie sich vielleicht: In unserem ersten Leser-Recherche-Projekt „Gemeinsam aufgedeckt“ ging es hier im SPOTLIGHT vor 1,5 Jahren um die Frage, wie gerecht Bildungschancen in unserem Land verteilt sind. Das Ergebnis war: wenig gerecht.
In den vergangenen Monaten haben wir von CORRECTIV das Thema weiterverfolgt. Und wir berichten nun schwerpunktmäßig über Bildung. Unsere Reporterin Anna Ernst hat nun für Sie unter die Lupe genommen, was die neuen Bildungs-Politikerinnen und -politiker im Bundestag gedenken, gegen ungleiche Startchancen im Land zu tun. Heute ist das unser Thema des Tages.
Außerdem im SPOTLIGHT: In unserer aktuellen „Gemeinsam aufgedeckt“-Serie lassen wir Sie seit ein paar Wochen wieder live daran teilhaben, wie wir recherchieren. Diesmal geht es um folgendes Thema:
Wohin genau geht das Geld aus dem geplanten riesigen „Sondervermögen Infrastruktur“ – also die 500 Milliarden Euro, die in den nächsten Jahren in Straßen, Schienen oder eben Kindertagesstätten fließen sollen? Heute gibt es einen neuen Teil in diesem Fortsetzungsroman: Wir haben den ersten Entwurf für das grundlegende Gesetz bekommen und werten ihn aus.
Was interessiert Sie besonders: die Bildungsgerechtigkeit, das Ringen um modernisierte Infrastruktur, beides – oder etwas ganz anderes? Schreiben Sie mir: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Wer arm ist, bleibt dumm?
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Gute Sache(n): Erdbeermond • Journalismus auf der Bühne • „Tatort“ zu CORRECTIV-Recherche
CORRECTIV-Werkbank: Innenansichten aus dem Compact-Prozess
Grafik des Tages: Immer wieder Sanktionen gegen Israels Rechtsextreme
Gemeinsam aufgedeckt: Das steht im Gesetzentwurf zum Infrastrukur-Sondervermögen
Wer aus armen Verhältnissen stammt oder einen Migrationshintergrund hat, der hat es im deutschen Bildungssystem deutlich schwerer – und damit später schlechtere Chancen, sich im Leben „nach oben“ arbeiten zu können.
Studien zeigen zum Beispiel, dass Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen im Durchschnitt deutlich schlechter lesen können als Kinder mit Privilegien. Oder, dass sie in der Schule schlechter Englisch sprechen lernen.

Wir haben uns jetzt angeschaut: Bringt der neue Bundestag einen Wandel?
Was bisher geschah:
Vor ein paar Monaten hatte die alte Bundesregierung ein ehrgeiziges Investitionsprogramm ins Leben gerufen, um dieses Problem anzugehen: das sogenannte Startchancen-Programm. Es sollte, so die damalige Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), „die Trendwende“ in der Bildungspolitik bringen: insgesamt 20 Milliarden Euro für Schulen, an die viele benachteiligte Kinder gehen.
Unsere im vergangenen Herbst veröffentlichte CORRECTIV-Recherche zeigte allerdings, dass bislang kaum neues Geld in den benachteiligten Schulen ankam. Stattdessen deklarierten Bundesländer Ausgaben einfach um, die sie ohnehin getätigt hätten.
Was wir nun untersucht haben:
Unsere Reporterin Anna Ernst hat sich angeschaut, wer die wichtigsten Bildungspolitikerinnen und -politiker im neuen Bundestag sind – und hat sie gefragt: „Was genau wollen Sie tun gegen die soziale Ungleichheit im Bildungssystem?“
Was sie geantwortet haben:
Die Politikerinnen und Politiker der Regierungsparteien verweisen vor allem auf schon laufende Programme – so wie das Startchancen-Programm. Jene, die für die Opposition im Bildungsausschuss sitzen, halten dieses Projekt dagegen für nicht ausreichend.
Die Einzelantworten können Sie im Artikel auf unserer Webseite nachlesen.
Und was bringt die neue Bildungsministerin?
Karin Prien (CDU) scheint zumindest bisher deutlich umtriebiger zu sein als ihre Vorgängerin. Schon jetzt hat sie es geschafft, eine Reihe von Bildungsthemen in die öffentliche Debatte einzubringen. Beispiele: Prien forderte Sprachtests für alle Vierjährigen; sie will außerdem dafür sorgen, die Schulabbrecher-Quote zu halbieren, Und sie setzt sich für ein Handyverbot an Schulen ein.
Polens Ministerpräsident stellt Vertrauensfrage – erfolgreich
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hat im Parlament die Vertrauensfrage gestellt – nachdem vor ein paar Tagen der nationalkonservative Karol Nawrocki zum Präsidenten gewählt worden war. Ergebnis: Tusk hat das Vertrauen.
fr.de
Prominente SPD-Leute werben für Dialog mit Russland
Es brodelt in der SPD: Mehrere prominente Köpfe der Partei fordern eine Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik. Konkret: In einem „Manifest“ dringen sie auf einen neuen Dialog mit Russland. Damit stellen sie sich gegen die Position der Regierungskoalition – der die SPD selbst angehört.
deutschlandfunk.de
Russlands Verbindungsmann in Mecklenburg-Vorpommern
In kaum einem Bundesland sind die deutsch-russischen Verflechtungen so dicht und tief wie in Mecklenburg-Vorpommern. Zentrale Figur über Jahre war der Leiter des Wirtschaftsbüros der Russischen Botschaft. Seine Spuren zeigen, wie strategisch Russland seine Beziehungen ausbaute.
correctiv.org
Neuer Spionagefall an TU München? Staatsanwaltschaft ermittelt gegen chinesische Studentin
Die Technische Universität München steht im Zentrum eines mutmaßlichen neuen Spionagefalls: Nach CORRECTIV-Informationen ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen eine Studentin chinesischer Herkunft. Sie wird verdächtigt, Dienstgeheimnisse weitergegeben zu haben.
correctiv.org

Faktencheck

Nach einem mutmaßlichen Amoklauf an einer österreichischen Schule kursieren online auch Videos im falschen Kontext. Worauf in Krisensituationen zu achten ist, wenn man Inhalte teilt.
correctiv.org
Endlich verständlich
Der Vollmond diese Woche erscheint besonders groß und wird aufgrund seiner Färbung Erdbeermond genannt. Den Hintergrund erklärt der MDR.
mdr.de
So geht’s auch
Der Journalismus hat ein Problem: Lange Texte mit komplexen Informationen werden von vielen nicht mehr gelesen. Deshalb erzählen wir von CORRECTIV unsere Recherchen häufig anders – als Theaterstück oder in Ausstellungen. Ähnlich macht es das Format JIVE: Dort gehen Reporterinnen und Reporter auf die Bühne und erzählen spannend und unterhaltsam von ihren Recherchen. Diesen Freitag und Samstag gastiert das Programm in Berlin und Hamburg.
jive.de
Fundstück
Ein „Tatort“-Krimi, der an eine CORRECTIV-Recherche angelehnt ist? Den gibt es am kommenden Sonntag in der ARD. Das Thema: radikale Väterrechtler.
welt.de
Ich bin heute im Bundesverwaltungsgericht Leipzig, wo das rechtsextreme Magazin Compact gegen sein Verbot klagt. Das Verbot wurde im Eilverfahren ausgesetzt – nun läuft der Hauptprozess, heute ist der zweite Verhandlungstag. Im Saal sitzen Journalisten, Reichsbürger, Identitäre und andere rechte Akteure.
Im Zentrum steht laut dem vorsitzenden Richter das „Sellnersche Konzept”.
Compact-Chef Jürgen Elsässer nennt Martin Sellner daraufhin einen Helden – die Debatte müsse sich, so Elsässer, künftig nicht um Migration, sondern um „Eingriffe in die DNA” drehen.
Bitte was? Über Sellners völkische Strategie hatten wir ausführlich berichtet. Die Argumentationen von Elsässer und seinen Anwälten, darunter übrigens Laurenz Nothdurft, wirken wie eine Reihe von Eigentoren. Die Rede von genetischer Reinheit etwa: sie ist Teil einer völkischen Homogenitätsideologie.
Noch so eins: Der Compact-Anwalt Ulrich Vosgerau zitiert eine Aussage vom Tübinger Bürgermeister Boris Palmer zu einem Bild „Farbiger”, die er als „erkennbar ausländische Menschen” bezeichnet. Damit definiert er „Deutschsein” offenbar über Hautfarbe.
Vosgerau erklärt außerdem, es sei ein Unterschied, ob man Menschen im Ausland vertreibe – was verboten sei – oder die „eigene Gruppe” im Inland verteidige. Das sei zulässig. Eine Argumentation, die an ethnische Reinheits- und Lebensraumkonzepte erinnert.
Das Bundesinnenministerium listet währenddessen systematisch die verfassungsfeindlichen Aussagen auf. Ironie am Rande: Ein Partner ihrer „Kanzlei Redeker, Sellner & Dahms” heißt tatsächlich – Sellner.

Mehrere Regierungen hatten Israel wegen des Vorgehens im Gaza-Krieg und im Westjordanland mit scharfen Reaktionen gedroht. Fünf Länder, darunter Großbritannien, verhängen Sanktionen. Sie treffen zwei israelische Minister. Wir haben uns angeschaut, wie oft israelische Rechtsextreme seit der Offensive in Gaza sanktioniert wurden.
Mit OpenSanctions konnten wir eine Liste aller Sanktionen gegen israelische Einrichtungen (Personen, Unternehmen usw.) erstellen. Wir haben nur Sanktionen betrachtet, die seit dem 07.10.2023 verhängt wurden und keine Verbindungen zu Russland oder der Ukraine aufweisen. Anschließend überprüften wir die sanktionierten Einrichtungen manuell, um sicherzustellen, dass sie wegen extremistischer Aktivitäten und nicht etwa wegen der Lieferung von Waffen an die Ukraine oder Geldwäsche sanktioniert wurden. Anschließend fügten wir manuell Einträge für Neuseeland und Norwegen hinzu, da deren offizielle Sanktionsregister noch nicht aktualisiert worden sind.
Ein wichtiger Teil der Arbeit von uns Reporterinnen und Reportern ist es, den Entstehungsprozess eines Gesetzes zu verfolgen: Wir schauen uns bei wichtigen Gesetzen, wenn möglich, an: Was stand im ersten Entwurf, was im endgültigen? Was ist in der Zwischenzeit passiert, wer hat Einfluss genommen?
Gestern haben wir nun die erste Fassung des geplanten Gesetzes zum Infrastruktur-Sondervermögen erhalten.
Falls Sie sich fragen, woher: Gute Journalistinnen verbringen einen guten Teil ihrer Zeit damit, Kontakte zu Mitarbeitern von Ministerien und Bundestagsabgeordneten zu pflegen. In diesem Fall hat unsere Klimareporterin Elena Kolb das Dokument zugespielt bekommen. 14 Seiten ist der sogenannte Referentenentwurf lang. Referentenentwurf heißt: Das Gerüst für ein Gesetz wird von Fachleuten in Ministerien geschrieben, also den Referenten.
Und was steht nun drin? Eigentlich nichts, das noch nicht bekannt war – bis auf ein überraschend positives Detail: in § 10 heißt es, dass für die geplanten Milliardenausgaben ein System der Erfolgskontrolle eingeführt werden solle.
Das ist ungewöhnlich. Bisher gab es fast nie institutionalisierte Kontrollsysteme, um nachzuprüfen, ob öffentliche Gelder sinnvoll angelegt wurden. Die Frage ist: Wer genau soll diese Kontrollen machen, wer hat dafür Zeit und Leute? Das steht nicht im Entwurf.
Wir haben auch noch ein Zusatzdokument bekommen, das weiter ausführt, nach welchen Kriterien das Geld auf die Bundesländer verteilt werden sollen. Und da könnte es Ärger geben. Denn in dem Dokument heißt es, verteilt werden solle nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel. Ganz grob gesagt: Das Geld soll nach Einwohnerzahl verteilt werden – und nicht danach, wo besonders viel Infrastruktur modernisiert werden muss.
Was sind die Hintergründe dieser Pläne? Darüber könnte das verantwortliche Bundesfinanzministerium Auskunft geben. Wir haben diese Woche zum dritten Mal um ein Gespräch im Haus von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) zum Sondervermögen gebeten. Vielleicht gibt es diesmal eine Reaktion.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Max Donheiser und Till Eckert
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