Anette Dowideit
stellvertretende Chefredakteurin
Liebe Leserinnen und Leser,
der Präsidentschaftswahlkampf in den USA bewegt auch bei uns ungemein die Gemüter – vor allem deshalb, weil er auf viele wie ein abgedrehter Hollywood-Film wirkt: mit einem Kandidaten Donald Trump in der Hauptrolle, von dem aus der Distanz in Deutschland kaum fassbar erscheint, dass er bald wiedergewählt werden könnte. Doch es gibt bei uns auch einige, die auf Trump setzen und hoffen, von der Nähe zu ihm profitieren zu können. Darum geht es im Thema des Tages.
Außerdem im Spotlight: Nach unserer vorgestern erschienenen Story zur RWTH Aachen, wo offenbar wissenschaftliche Mitarbeiter für Privatfirmen von Professoren schuften müssen, muss jetzt der Rektor der Hochschule vor dem NRW-Landtag erklären, was eigentlich in seinem Haus los ist.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, und schreiben Sie mir gerne, was Sie besonders beschäftigt: anette.dowideit@correctiv.org
Thema des Tages: Wer von Trump profitieren würde
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Bürokratie-Brecher: Fahrradtouren werden zur Pauschalreise
Faktencheck: Angebliches Gesetz zum „Vaterschaftsurlaub“
Gute Sache(n): Vom US-Wahlkampf lernen • Bis 2030 soll Obdachlosigkeit überwunden werden • Die Chemie hinter schlechtem Büro-Kaffee
CORRECTIV Werkbank: Reichelt fordert den Rauswurf Höckes?
Grafik des Tages: „Das kommt mir Spanisch vor“ in anderen Sprachen
Die Demokraten greifen gerade ganz tief in die Wahlkampf-Trickkiste und holen noch einmal alles heraus, bevor am 5. November die neue Präsidentin oder der neue Präsident gewählt wird. Die Kandidatin der Demokraten, Kamala Harris, trat jetzt mit Beyoncé auf, einem der größten Popstars weltweit. Eigentlich ist es in jedem Präsidentschaftswahlkampf so, dass die Demokraten den größten Teil der Pop- und Schauspielgrößen hinter sich haben. Genützt hat es aber nicht immer.
Wir werfen heute mal einen Blick darauf, wer in Deutschland darauf hoffen könnte, dass Trump gewählt wird – und warum:
Jens Spahn und die CDU:
Der CDU-Politiker Spahn, früher mal Bundesgesundheitsminister, ist in den letzten Jahren immer weiter in Richtung Rechtspopulismus gedriftet. Das bescheinigte ihm sogar kürzlich die konservative FAZ, weil Spahn immer wieder Ängste vor „unkontrollierter Massenmigration“ schürt. Man kann den Eindruck bekommen, Spahn sei mittlerweile so etwas wie der harte Hund von Parteichef Friedrich Merz – also der Mann fürs Grobe, der populistische Thesen noch mehr auf die Spitze treiben kann als der Parteichef selbst.
Spahn pflegt seit einiger Zeit auffallend stark den Kontakt zu Trumps Team. Im Sommer reiste er zum Beispiel zum Parteitag der Republikaner in Milwaukee. Schon da sagte Spahn sinngemäß, Trump sei politisch viel besser als sein Ruf. Spahn will offenbar sich selbst und auch Teile seiner Partei, die dies nicht so offen sagen können, für den Fall eines Trump-Siegs in Stellung bringen.
Mathias Döpfner und der Springer-Verlag:
Axel Springer – der Verlag, in dem BILD und WELT erscheinen, der konservativen Themen durchaus zugeneigt ist, der Nähe zu FDP-Politikern wie Christian Lindner und auch CDU-Politikern wie Spahn pflegt – will in den USA wachsen. Dort gehören schon die Medien Politico und Business Insider zum Springer-Imperium.
Würde Trump erneut zum Präsidenten gewählt, wäre das für den Springer-Konzern ziemlich gut. Denn dessen Konzernchef Döpfner hat enge Drähte zum ehemaligen US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell: Als dieser während der ersten Trump-Amtszeit in Berlin residierte, feierten Grenell und Döpfner häufiger zusammen Partys. Grenell ist jetzt im Gespräch, bei einem Trump-Sieg ebenfalls zurückzukommen, vielleicht sogar als Außenminister.
Seit ein paar Monaten wird deshalb in der Medien-Branche darüber spekuliert (siehe zum Beispiel in dieser Recherche des in den USA renommierten Fachmediums Semafor), dass Konzernchef Döpfner versuche, die Wirtschaftszeitung Wall Street Journal zu kaufen – und diese dann noch deutlich Trump-freundlicher auszurichten. Das würde diesem ebenso nützen wie Döpfner, der im Falle eines Trump Siegs extrem nah an die Macht in den USA rücken würde.
Elon Musk: Trump-Unterstützer und Putin-Kontakt
Seit knapp zwei Jahren soll Elon Musk direkten Kontakt zu Wladimir Putin pflegen. Das haben Recherchen des Wall Street Journal ergeben. Musk – der Donald Trump unterstützt – könnte damit auch ein Sicherheitsrisiko für die USA darstellen.
zeit.de
Linder plant Gegengipfel zu Scholz‘ Wirtschaftsgipfel
Fast zeitgleich mit dem Wirtschaftsgipfel, zu dem Bundeskanzler Olaf Scholz geladen hat, lädt Finanzminister Christian Lindner jetzt zu einem eigenen Gipfel ein. Zuletzt hatte es Streitigkeiten über Aussagen zur Wirtschaftspolitik zwischen Lindner, Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck gegeben.
spiegel.de
Özdemir will Ministerpräsident für Baden-Württemberg werden
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat am Mittag verkündet, sich für die Landtagswahl 2026 in Baden-Württemberg als Ministerpräsident aufstellen zu wollen.
swr.de
RWTH Uni–Rektor und Landesregierung sollen sich äußern
Als direkte Reaktion auf unsere Recherchen fordern Fraktionen mehrerer Parteien jetzt, dass sich der Rektor der RWTH Aachen und die Landesregierung NRW vor dem Wissenschaftsausschuss äußern. Kürzlich haben wir darüber berichtet, wie Professoren auch ihre Mitarbeitenden in das Konstrukt der Selbstbereicherung mit GmbHs eingeflochten haben.
correctiv.org
Für kleine Unternehmen kann Bürokratie zu einer großen Hürde werden. Dietmar Meier stand schon vor so einer Hürde und konnte sie nicht überwinden.
In einem Ort in Thüringen betreibt Dietmar Meier ein kleines Hotel. Nebenbei wollte er ein paar Radtouren anbieten und dafür seine Gäste zum Startpunkt fahren und später wieder dort abholen. Die Vorgaben, um das machen zu können, sind umfangreich: Meier braucht einen zugelassenen, TÜV-geprüften Transporter und einen Führerschein – soweit klar. Außerdem muss er einen Personenbeförderungsschein vorweisen, das Ganze anmelden und versteuern.
Dann gibt es da noch die Pauschalreiserichtlinie. Die gilt für Meiers Radtouren, denn nach der Richtlinie handelt es sich um eine Pauschalreise, „wenn es zu einer Bündelung von mindestens zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise kommt“. Die Konsequenz daraus: Meier muss besonderen Haftungs- und Informationspflichten nachkommen. Für ihn und sein kleines Hotel eine große bürokratische Belastung. Meier bietet die Radtouren daher ohne Übernachtung auf seiner Website an. Wenn ein Gast nun aber selbstständig eine Tour und – im gleichen Vorgang – eine Übernachtung bei ihm bucht, fällt er unfreiwillig wieder unter die Pauschalreiserichtlinie. Wenn er dann den Informationspflichten nicht nachkommt, kann es sein, dass er abgemahnt wird. Speziell darauf getrimmte „windige Anwälte“, wie Meier sagt, durchforsten das Internet nach solchen Versäumnissen, um diese dann abzumahnen. All diese Anforderungen an sein kleines Hotel haben Dietmar Meier schließlich dazu bewogen, es „zu lassen“.
Hier kommen regelmäßig Menschen zu Wort, die in ihrem Alltag auf bürokratische Hürden stoßen – und Ideen haben, wie es auch einfacher geht. Wenn Ihnen die Bürokratie auch Steine in den Weg legt und Sie konstruktive Lösungen dafür haben, schreiben Sie mir gerne: bianca.poersch@correctiv.org. Wir benötigen ein Foto von Ihnen und die Bereitschaft, dass wir Ihre Geschichte veröffentlichen dürfen.
Der Influencer „Immo Tommy“ behauptet auf Instagram, ab 1. Dezember 2024 trete ein Gesetz zum „Vaterschaftsurlaub“ in Kraft. Väter könnten nach der Geburt des Kindes dann zusätzlich zwei Wochen bezahlten Urlaub nehmen. Zwar steht das Vorhaben im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, doch eine Einigung gibt es bislang nicht.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Rhetorik, Memes und Social Media: Anhand des laufenden Wahlkampfs in den USA kann man einiges lernen. Sie sind Lehrerin, Schüler oder kennen jemanden, der im Schulkontext arbeitet? Dann legen Sie ihnen doch diese Unterrichtsreihe von Reporter4You ans Herz!
reporter4you.de
So geht’s auch
Mit dem Konzept „Housing First“ soll wohnungslosen Menschen in mehreren deutschen Großstädten geholfen werden, eine langfristige Bleibe zu finden. Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 so alle Wohnungslosen unterzubringen.
deutschlandfunkkultur.de
Fundstück
Niemand will den letzten Rest Kaffee aus der Büro-Filtermaschine, weil der abgestanden und ranzig schmeckt. Das Wissenschaftsportal Spektrum liefert eine chemische Erklärung dafür, warum „Konferenzkaffee“ meistens nicht schmeckt.
spektrum.de
Marcus Bensmann
Investigativreporter
Die Frage zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Westbindung spaltet die Rechte in Deutschland. Der ehemalige Bild-Chef Julian Reichelt wettert Anfang der Woche auf dem Internetportal Nius gegen den Russlandkurs der AfD und fordert den Rauswurf Björn Höckes.
Das ist ein neuer Ton. Nius schürt sonst die Angst vor Migranten und Flüchtlinge und bestärkt so die völkische Welle, auf der die AfD reitet.
Doch die Kremlunterwerfung der AfD missfällt Reichelt. Denn als Bild-Reporter berichtete er aus Syrien und der Ukraine über russische Kriegsverbrechen und die Brutalität des Putin-Regimes. Die AfD unter Alice Weidel und Tino Chrupalla verlieren sich derweil im Irrgarten der „multipolaren Weltordnung”. Die daraus stammenden AfD-Positionen zu Russland und Chrupallas Zaudern gegenüber Israel triggern Reichelt offenbar.
Doch der Schwenk der AfD zu Russland ist in der Partei tief verankert, wie CORRECTIV zeigt. Reichelt irrt, wenn er denkt, die AfD müsse nur Höcke rauswerfen. In der AfD gilt die USA landauf, landab als „raumfremde Macht“. Die AfD wendet sich gegen die militärische Unterstützung der Ukraine. Alice Weidel sprach auf dem Parteitag in Essen der Ukraine ab, zu Europa zu gehören.Reichelt hat nun die Debatte eröffnet. Der Knackpunkt: Wie verhalten sich rechte Wähler zur Westbindung, zur Unterstützung der Ukraine und zur russischen Bedrohung? Von dieser Spaltung könnte die CDU profitieren, wie ich in meinem Buch beschreibe, doch dazu müsste sie zu ihrem Glutkern der Westbindung zurückkehren.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert, Bianca Poersch, Elena Schipfer, Finn Schöneck
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