Neue Rechte

Parteiinterne Kritik am Umgang der AfD-Spitze mit den Terrorangriffen der Hamas gegen Israel

Alice Weidel und Tino Chrupalla verurteilten den Terror der Hamas erst spät und nicht eindeutig. Die Neuwahl des AfD-Fraktionsvorstandes stärkt zudem die Unterstützer einer „multipolaren Weltordnung“, die die Westbindung in Frage stellt.

von Marcus Bensmann

Bundestag - Fraktionssitzung AfD
Die alten sind die neuen: Alice Weidel und Tino Chrupalla wurden am 10. Oktober als Fraktionsspitze der AfD im Bundestag bestätigt. © picture alliance/dpa

Das anfänglich lange Schweigen der AfD-Spitze zu den terroristischen Angriffen der Hamas in Israel sorgt parteiintern für Unruhe.

Als am Samstag die Nachrichten über den Terrorangriff der Hamas in Israel um die Welt gingen, war die Fraktions- und Parteispitze um Alice Weidel und Tino Chrupalla abgetaucht. Außer von einigen AfD-Abgeordneten und einer Verurteilung des Anschlages durch den „Arbeitskreis Außenpolitik“ der Bundestagsfraktion gab es von der Parteispitze zunächst keine Reaktion.

Erst nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen sowie der Bestätigung des Vorstands der Bundestagsfraktion meldete sich Co-Parteichef Chrupalla schließlich am Mittwoch mit einem bemerkenswerten Tweet: 

„Der Angriff der #Hamas auf #Israel ist zu verurteilen. Ich trauere um alle Kriegstoten. Jetzt müssen Staaten der Region auf Deeskalation setzen, um einen Flächenbrand abzuwenden. Diplomatie ist das Gebot der Stunde. Eine tragfähige Lösung für alle Seiten muss das Ziel sein.“

Die über 1000 Opfer der Hamas-Terroristen setzt Chrupalla hier mit den getöteten Terroristen gleich. Er schreibt „Kriegstote“, obwohl es sich um einen mörderischen Terror-Angriff handelte. Während die USA Flugzeugträger vor der Küste Israel beordert, appelliert der AfD-Vorsitzende vor allem an die „Staaten der Region“ und spricht Israel indirekt das Recht auf Selbstverteidigung ab.

Kritik innerhalb der Fraktion: Die späte Reaktion der Parteispitze sei „unprofessionell“ gewesen

Chrupalla hat sich auch nicht zu den Geiseln geäußert, darunter mehrere Deutsche, die die Hamas genommen hat.

Zuvor hatten die frühere AfD-Vorsitzende Frauke Petry und der frühere AfD-Politiker Marcus Pretzell, die 2017 die AfD verlassen hatten, das Schweigen der AfD-Spitze öffentlich kritisiert. 

Am Dienstagmorgen schrieb Pretzell auf X (ehemals Twitter):

„Von Weidel, Chrupalla, Höcke oder Krah kein Tweet zu Israel. Nichts von islamistischen Terroristen, ermordeten und entführten deutschen Staatsbürgern. Erstaunlich, oder?“

Dass sowohl Alice Weidel als auch Tino Chrupalla nicht sofort reagierten, sei auf der Fraktionssitzung am Dienstag als „unprofessionell“ kritisiert worden, heißt es aus Fraktionskreisen. Am Dienstag hatte die AfD-Bundestagsfraktion die Doppelspitze bestätigt. Nun hat sich die AfD offenbar darauf geeinigt, vor allem die Hamas-unterstützenden Aktionen in den deutschen Städten zu kritisieren und der Bundesregierung vorzuwerfen, indirekt die Hamas zu finanzieren.  

Ideologie der „multipolaren Weltordnung“ sei der Grund für das Schweigen der AfD

Für andere in der AfD greift der Vorwurf der Unprofessionalität zu kurz.

Grund für das lange Schweigen der AfD-Spitze sei die „Ideologie der multipolaren Weltordnung“, die von vielen in der AfD getragen werde, heißt es nach CORRECTIV-Informationen aus AfD-Kreisen. Diese unterstütze eine gute Beziehung zum Iran und Russland und lehne ab, was die Existenz Israel schütze: Die Ordnungs- und Schutzmacht der USA.

Die AfD hat sich in den zehn Jahren ihres Bestehens von der Westbindung gelöst und sich Russland und dem Konzept einer multipolaren Weltordnung verschrieben, wie eine Recherche von CORRECTIV zeigte. 

Auf dem jüngsten Parteitag zur Europawahl im August stimmten die AfD-Delegierten für eine Präambel des Wahlprogramms, in der die USA indirekt als eine der „außereuropäischen Großmächte“ beschrieben wird, die in Europa „Konflikte“ schüre.

Das Konzept der „multipolaren Weltordnung“ sieht sowohl ein Zurückdrängen der USA vor, als auch eine Hinwendung zu den regionalen Großmächten wie Russland, China oder eben auch Iran.

Den Bogen spannt auch der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah. Er bezeichnet in dem Buch „Politik von Rechts – ein Manifest“ die Errichtung des Mullahregimes im Iran als „erstes Erwachen“ – ausgerechnet in einer Zeit, in der Hunderttausende Frauen unter Lebensgefahr gegen das Regime protestierten. Er schreibt:

„Ein mental konservativ Denkender wird immer die eigene Tradition fortsetzen wollen, nicht die fremde Tradition. Das sollte spätestens mit der Islamischen Revolution im Iran 1978/1979 unbestritten sein. Der Westen gewinnt in den nichtwestlichen Ländern exakt jene Menschen, die mit den lokalen Traditionen hadern, vielleicht weil sie politisch links ticken, einer sexuellen Minderheit angehören oder sonstwie am Rande der traditionellen Gesellschaften stehen.“

Unterstützer einer „mulitpolaren Weltordnung“ gewinnen an Macht im Fraktionsvorstand

Der AfD-Spitzenkandidat Krah steht mit seinem Iranbild in der AfD nicht allein. CORRECTIV hatte Anfang des Jahres über ein Thesenpapier aus der Fraktion berichtet, in dem vorgeschlagen wird, das Regime im Iran nicht mehr „Mullahregime“ zu nennen; die Welt hatte Anfang des Jahres zudem über einen umstrittenen Besuch des AfD-Abgeordneten Roger Beckamp in der iranischen Botschaft berichtet.

Kritiker an dem derzeitigen außenpolitischen Kurs verlieren an Macht und Einfluss. Bei den Vorstandswahlen konnten die Unterstützer der multipolaren Weltordnung ihre Macht stärken. So zog der Bundestagsabgeordnete und Russland-Unterstützer Stefan Keuter in den Fraktionsvorstand ein. Norbert Kleinwächter wiederum, der die Thesen des EU-Wahl-Spitzenkandidaten Krah scharf kritisiert hat, flog aus dem Fraktionsvorstand.