So funktioniert Community-Engagement mit Umfragen
Die Bristol Cable macht lokalen Community-Journalismus par excellence. Umfragen sind dabei das zentrale Mittel, um die Community am Journalismus zu beteiligen. Wie das funktioniert, erklären wir hier.
Umfragen sind ein guter Weg, um Menschen am Journalismus zu beteiligen. Bei der Bristol Cable haben sich in den letzten Jahren vier Umfragetypen herauskristallisiert:
- Entwickeln redaktioneller Schwerpunkte
- Meinungen sammeln
- Erfahrungen sammeln
- Nicht-journalistisches Engagement
Im folgenden stellen wir die einzelnen Typen im Detail vor:
Entwickeln redaktioneller Schwerpunkte
Bei vielen Themen steht bei der Bristol Cable eine Umfrage am Anfang jeder Recherche. Sie dient dazu, die Bedürfnisse der Community besser zu verstehen. Zum Themenkomplex Klimawandel hat die Redaktion zum Beispiel ganz simpel gefragt, was die Menschen an dem Thema interessiert, welche Fragen und Sorgen, aber auch welches Wissen sie zu den lokalen Auswirkungen des Klimawandels in Bristol haben. Aus den Antworten ergeben sich häufig nicht nur unzählige Rechercheansätze – es hilft auch, Themen und Recherchen zu priorisieren. Wie der „Climate Callout” im Detail funktioniert hat, haben wir schon vor einiger Zeit aufgeschrieben.
Meinungen sammeln
Meinungen einzusammeln ist eine low hanging fruit. Die Bristol Cable bittet die Community regelmäßig zur Abstimmung über ganz aktuelle Nachrichtenthemen, zum Beispiel ob E-Scooter aus Bristol verbannt oder die Auflagen für Strip-Clubs erhöht werden sollten. Mit den einfachen Ja-oder-Nein-Fragen bekommt die Bristol Cable zwar keine tiefgehenden Einblicke, kann aber relativ einfach Content produzieren und den Meinungen von Menschen in der Community Raum geben. Durch ein offenes Textfeld am Ende der Abstimmung können Menschen außerdem ihre Meinung begründen, was wiederum für Zitate genutzt werden kann. Tipp: In der Umfrage immer danach fragen, ob die Begründung unter Nennung des Namens oder anonym in einem Artikel benutzt werden darf. So spart man sich die Nachfrage.
Erfahrungen sammeln
Fast alle Recherchen lassen sich besser erzählen, wenn es Protagonisten gibt, die betroffen sind. Wer darüber schreiben will, dass es für Familien schwierig ist, bezahlbaren Wohnraum zu finden, sollte im besten Fall eine Familie finden, die genau das durchgemacht hat. Mit Umfragen hat die Bristol Cable die Suche nach Protagonisten systematisiert. Bei fast allen Recherchen bitten die Cable-Reporter die Community, ihre eigenen Erfahrungen zu teilen. Wer Antworten von hunderten Menschen bekommt, die alle Probleme hatten, eine Wohnung zu finden, bekommt nicht nur viele neue Rechercheansätze und gute Protagonisten. Es entsteht auch eine Sub-Community zu diesem konkreten Thema.
Wenn die Cable auf der Suche nach Erfahrungen ist, arbeiten die Reporter in der Umfrage vor allem mit offenen Fragestellungen und freien Textfeldern. Dadurch kommen wesentlich fundiertere Antworten zustande, als bei einfachen Meinungsumfragen. Dafür sind sie auch deutlich aufwändiger in der Auswertung.
Nicht-journalistisches Engagement
Hier fällt alles drunter, was nicht primär journalistischen Zwecken dient. Das können zum Beispiel Mitglieder-Befragungen sein, bei denen man um generelles Feedback bittet. Bei der Cable können Mitglieder zum Beispiel regelmäßig über alle möglichen Dinge abstimmen, zum Beispiel ob sie sich eher mehr Nachrichtenjournalismus oder mehr Kulturjournalismus wünschen.
CrowdNewsroom als Sonderform von Umfragen
Es gibt natürlich noch viele weitere Arten von Umfragen. Bei CORRECTIV machen wir zum Beispiel regelmäßig Crowdrecherchen. Dabei recherchieren wir mit hunderten, manchmal auch tausenden Menschen zu einem ganz konkreten Thema. Wie genau das funktioniert, haben wir schon einmal detailliert zusammengefasst.
Worauf es bei Umfragen ankommt
- So lang wie nötig, so kurz wie möglich: Umfragen sollten immer so kurz wie möglich sein. Mit jeder zusätzlichen Frage wird die Gefahr größer, dass Teilnehmende abspringen. Redaktionen sollten sich also vorher genau überlegen, was sie eigentlich wissen wollen.
- Freie Textfelder liefern bessere Antworten, sind aber auch aufwändiger auszuwerten: Wer Menschen den Raum gibt, sich frei auszudrücken, wird immer wieder überrascht, wie viel (im wahrsten Sinne des Wortes) dabei rumkommt. Nicht selten schreiben Teilnehmende ganze Romane. Alles auszuwerten benötigt viel Zeit und Reporterpower, lohnt sich aber in der Regel. Redaktionen sollten nur mit offenen Umfragen arbeiten, wenn sie auch Kapazitäten für die Auswertung haben. Das führt zum nächsten Punkt:
- Wer fragt, muss auch zuhören: Umfragen sollten nie zum Selbstzweck verkommen. Wer eine Umfrage macht, geht einen Deal mit den Teilnehmenden ein: Ihr sprecht, wir hören zu. Aus Teilnehmendensicht gäbe es nichts schlimmeres, als seine Zeit zu opfern, eventuell persönliche Erlebnisse oder sogar Schicksalsschläge zu teilen – und nichts passiert. Zum Beispiel, weil die Redaktion gar keine Zeit hat, die Antworten auszuwerten oder es sich doch anders überlegt hat. Hin und wieder können Antworten auch anderen Rechercheergebnissen widersprechen oder so gar nicht zu den eigenen Vorstellungen passen. Redaktionen sollten darauf gefasst sein, von der eigenen Community überrascht zu werden.
- Umfrage-Kultur muss sich erst etablieren: Umfragen sind gerade am Anfang kein Selbstläufer. Viele Menschen sind es nicht gewohnt, von Journalistinnen und Journalisten auf diese Art und Weise befragt zu werden. Redaktionen sollten aber nicht aufgeben, wenn es anfangs teilweise nur wenig Resonanz geben sollte.
Dieses Fallbeispiel ist Teil des Angebots vom CORRECTIV.StartHub, der Anlaufstelle für Journalistinnen und Journalisten, die ihr eigenes Community-zentriertes Medienprojekt gründen wollen.
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