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Wie Andererseits inklusiven Journalismus macht

10 Millionen Menschen in Deutschland sind auf einfache oder leichte Sprache angewiesen. Trotzdem werden sie vom klassischen Journalismus nicht erreicht. Wie die inklusive Redaktion Andererseits das ändern möchte und was andere Medien davon lernen können.

von Tobias Hauswurz

© Stefan Fürtbauer / andererseits
© Stefan Fürtbauer / andererseits

Angefangen hat alles mit einem Tweet: „Hallo Twitter-Menschen! Ich möchte ein Projekt im Journalismus für #Inklusion beginnen. Gerne teilen, noch lieber mitmachen! Infos in leichter Sprache im Thread! #wildezeitenwildeideen.” So schrieb es Andererseits-Gründerin Clara Porak 2020, als X noch Twitter hieß, Clara Porak selbst noch freie Journalistin war und sich die Welt im Corona-Lockdown befand.

Vier Jahre später ist aus dem Tweet eine GmbH mit eigener Redaktion in Wien geworden. Dazwischen liegen größere Recherchen zur Inklusion auf dem Arbeitsmarkt in Österreich und eine fragwürdige Spendenaktion des ORF oder eine Dokumentation über die Flutkatastrophe im Ahrtal, bei der 10 Menschen mit Behinderung in einem Wohnheim starben. Und viele Texte, in denen Menschen mit Behinderung aus ihrer Sicht über Themen ihres Alltags schreiben: Die ungerechte Bezahlung in Werkstätten zum Beispiel oder ihren Umgang mit Barrieren in der Stadt. Die meisten Texte sind in einfacher Sprache verfasst, ohne komplizierte Wörter oder Satzstrukturen. In Kürze erscheint ein ganzes Printmagazin mit Texten in leichter Sprache.

Bei allen Recherchen und Veröffentlichungen arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt zusammen. Das erfordert eine komplett andere Redaktionsstruktur. Und viel Zeit, erklärt Lisa Kreutzer, Redaktionsleiterin von Andererseits: Wir machen zweimal im Jahr einen großen Ideentag. Da planen wir den Journalismus für sechs Monate.” Harte Deadlines und Zeitdruck gibt es nicht. Dadurch automatisch auch keine schnellen Recherchen oder tagesaktuelle Berichterstattung.

Dafür aber Perspektiven, die es sonst kaum irgendwo zu lesen gibt. „Die meisten Redaktionen sind immer noch so aufgestellt: Wer am besten über seine eigenen Grenzen gehen kann und wer die besten Startvoraussetzungen hat, um für wenig Geld sehr viel zu arbeiten, setzt sich durch”, sagt Lisa Kreutzer. „Wenn der Journalismus aber immer von denselben Menschen gemacht wird, kann er nicht die Welt abbilden, wie sie wirklich ist”.

Wer ist die Andererseits-Community?

So zu arbeiten ist teuer, inklusiver Journalismus ist kostenintensiver als nicht-inklusiver. Andererseits finanziert sich über Fördergelder, Mitgliedschaften, Heftverkäufe, Werbung und Workshops. Ende 2024 soll die Hälfte der Einnahmen über Mitgliedschaften kommen. Aktuell hat Andererseits 1350 zahlende Mitglieder. Anfang 2023 waren es noch rund 150. „Für unseren Journalismus ist es am besten, ein Community-basiertes Medium zu sein. Dafür müssen wir weiter wachsen”, sagt Lisa Kreutzer.

Die Community von Andererseits besteht laut Lisa Kreutzer aus zwei großen Gruppen:

Menschen, die sich gesehen und gehört fühlen wollen. Menschen mit Behinderung, deren Familienangehörige oder solche, die Sozialbereich arbeiten und täglich mit Missständen konfrontiert sind.
Menschen, die nach neuen Perspektiven suchen. Darunter sind viele Journalisten, aber vor allem politisch aktive Menschen, die die Perspektive von Menschen mit Behinderung wichtig finden.

Wie können andere Medien inklusiver werden?

Indem sie Strukturen schaffen, in denen nicht Menschen mit Behinderung immer die sind, die Dinge einfordern müssen. „Wenn alle Menschen lernen, auf ihre Bedürfnisse zu achten, ist es möglich, ein Umfeld zu kreieren, in denen nicht nur Menschen mit Behinderung die sind, die besondere Bedürfnisse haben”, sagt Lisa Kreutzer. „Eigentlich ist unser Ziel, dass es Andererseits in ein paar Jahren gar nicht mehr geben muss.”

Dieses Fallbeispiel ist Teil des Angebots vom CORRECTIV.StartHub, der Anlaufstelle für alle, die ihr eigenes Community-zentriertes Medienprojekt starten wollen.

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