Lokaljournalismus ist in der falschen Branche
Die Medienbranche war in den letzten Jahren gut darin, den Niedergang des Lokaljournalismus zu dokumentieren. Leider wurde wenig getan, um Geschäftsmodelle im Lokalen weiterzuentwickeln. Ein Gastbeitrag von Max Kabat von The Big Bend Sentinel.
2018 ging das Ehepaar Rosario und Robert Halpern in den Ruhestand. Sie hatten 30 Jahre lang zwei Wochenzeitungen in unserer abgelegenen Region im äußersten Westen von Texas betrieben. Sie fragten meine Frau und mich, ob wir daran interessiert seien, The Big Bend Sentinel und Presidio International zu übernehmen. Meine Frau war zu dem Zeitpunkt bereits eine preisgekrönte Journalistin und Dokumentarfilmerin. Ich arbeitete als Marken- und Unternehmensstratege. War es eine gute Idee, zwei alteingesessene Tageszeitungen zu übernehmen?
Wir recherchierten und stellten schnell fest:
Eine Zeitung mit nur zwei Einnahmequellen – (1) Leser zahlen für Inhalte und (2) Werbekunden zahlen für den Zugang zu Lesern – ist im Prinzip zum Scheitern verurteilt. Lokaljournalismus muss von der Seitenlinie zuschauen, während das Internet und soziale Medien das Spiel dominieren. Bei unserer Recherche lernten wir aber auch viele neue lokale Medienprojekte kennen oder schauten uns traditionelle Unternehmen an, die gerade dabei waren, ihre Einnahmequellen zu diversifizieren und dabei penibel darauf achteten, ihren Kern nicht zu vergessen.
Am Ende standen wir trotzdem vor der traurigen Wahrheit: Journalismus lohnt sich finanziell nicht mehr. Es gibt kostenlose Informationen im Überfluss und Werbekunden ist Reichweite tendenziell wichtiger als Qualität. Andererseits geben gerade Millennials und die Generation Z immer mehr Geld für einzigartige Erlebnisse aus. Konzerte; Sportereignisse; Sieben-Dollar-Kaffee. In einer Welt, in der sich alles verdammt digital anfühlt, sehnen sich die Menschen offensichtlich nach dem Physischen.
In Marfa wohnen 2.000 Menschen, das Einzugsgebiet der beiden Zeitungen, die wir übernehmen sollten, ist eines der am dünnsten besiedelten in den USA: 18.000 Einwohner auf einem Gebiet größer als Belgien. Nicht genug für Reichweiten, die für gut zahlende Werbekunden attraktiv sind. Wenn wir das Angebot der Halperns annehmen wollten, mussten wir kreativ werden. Wir brauchten ein einzigartiges Konzept.
Business + News – nicht umgekehrt
Im am dünnsten besiedelten Teil des ländlichen Texas sind wir aus dem Lokalnachrichten-Business ausgestiegen und ins Community-Business eingestiegen. Wir haben eine Marke ins Leben gerufen, die Gemeinschaft stiftet.
Am 4. Juli 2019 haben wir unsere ersten Zeitungen veröffentlicht. Gleichzeitig öffneten wir die Türen von The Sentinel – einem Café mit unserer Redaktion, einem kleinen Laden und einem Veranstaltungsraum. Damit wollten wir das Geld verdienen, das wir mit Inhalten und Reichweite nicht mehr verdienen konnten. Rund um den fast 100 Jahre alten Titel der Zeitung, haben wir ein ganzes Ökosystem neu erschaffen.
Heute, fast fünf Jahre später, haben wir unsere Einnahmen versechsfacht. Wir konnten mehr Journalisten einstellen, die mit besserer Bezahlung ein besseres Produkt herstellen.
Marfas Wirtschaft fußt auf Tourismus, also haben wir einen Einnahmemix geschaffen, der dazu passt und gleichzeitig unserer Community etwas Gutes tut. Journalismus bleibt unser Daseinsgrund. Unsere Journalisten produzieren ein erstklassiges, wöchentliches Produkt, das die Leute brauchen und lieben. Und sie lieben die Community, die wir im The Sentinel bieten. Von einem kleinen Familienunternehmen haben wir uns zu einer Organisation mit 20 Mitarbeitern entwickelt.
Eine nachhaltige, Community-zentrierte Zukunft für Lokaljournalismus
Bleibt Lokaljournalismus im News-Business, werden wir zwar schon irgendwie sein Überleben sichern können. Wenn Lokaljournalismus aber ins Community-Business einsteigt, hat er die Chance auf eine echte Zukunft.
Die gute Nachricht ist, dass mehr Mittel und Ressourcen für diese Zukunft bereitgestellt werden als je zuvor. In den USA unterstützt Press Forward, ein Zusammenschluss von Stiftungen, lokale Projekte in den nächsten Jahren mit 500 Millionen Dollar. Der Topf wächst, immer mehr Stiftungen schließen sich an. Und ja, Stiftungen können helfen, sind aber nur ein Baustein. Wir müssen auch Impact-Investoren und lokale Unternehmer an den Tisch bekommen, um beim Aufbau neuer Ökosysteme für den Lokaljournalismus mitzuwirken.
Was vor unserer Haustür passiert, ist das Frühwarnsystem einer gesunden Demokratie. Ist es nicht etwas kurzsichtig zu denken, dass allein neuartige journalistische Produkte oder gemeinnütziger Journalismus das Allheilmittel sind, auf das wir gewartet haben?
Menschen zahlen dafür, Teil von etwas zu sein. Sie sind bereit, sieben Dollar für eine Tasse Kaffee auszugeben, weil es ihnen ein bestimmtes Lebensgefühl vermittelt. Sie tun sich aber schwer damit, auch nur einen Dollar am Tag für Informationen zu bezahlen. Eine Marke aufzubauen, die Gemeinschaft stiftet, ist das Beste, was Lokaljournalismus tun kann, um sich abzuheben und relevant zu bleiben.
Wo kommen Menschen zusammen? Was will und braucht eine Community? Und wie kann ein Produkt eine Lücke füllen? Das Modell von The Sentinel ist replizierbar. Aber das Ökosystem und dessen Einnahme-Mix muss standortspezifisch sein, angepasst an den Ort und die Menschen, die dort leben. Geschaffen von stolzen Einheimischen, die sich gegenseitig unterstützen. Das ist es, was Community letztlich ausmacht.
Um das im großen Stil zu tun, brauchen wir eine Vision. Wir brauchen Menschen, die vor Ort im Lokalen die Arbeit machen. Und wir brauchen Geld. Produkte sind kurzlebig. Aber Marken können ewig bestehen. Lasst es uns angehen!
Max Kabat ist Verleger und Mitinhaber von The Big Bend Sentinel, einer Wochenzeitung für die Grenzregion im äußersten Westen von Texas. Außerdem betreibt er mit The Sentinel einen Ort, der gleichzeitig Café, Veranstaltungsort und Redaktion der Zeitung ist. Max ist auch Mitbegründer der Marketingagentur goodDog. Eine englische Version dieses Artikels ist zuerst auf Linkedin erschienen.
Dieses Fallbeispiel ist Teil des Angebots vom CORRECTIV.StartHub, der Anlaufstelle für Journalistinnen und Journalisten, die ihr eigenes Community-zentriertes Medienprojekt gründen wollen.
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