Warum
Demokratie
Faktenchecks
braucht
Das Foto zeigt einen friedlichen Demonstranten, der in Washington D.C. bei der Amtseinführung von Donald Trump im Jahre 2017 von Anhängern Trumps zum Schweigen gebracht und zurechtgewiesen wurde. Quelle: Michael Ramey
Desinformation im Netz ist ein zentrales Problem des 21. Jahrhunderts. Es hat das Potenzial, Demokratien zu zerreiben. Nie war das deutlicher als in der Corona-Krise. Faktenchecker auf der ganzen Welt haben die Gefahr erkannt – und arbeiten trotz Widerstands und Angriffen täglich dagegen an. Warum unsere Arbeit so wichtig ist.
- Intro
- Desinformation bedroht die Demokratie
- Was haben Menschen davon, falsche Behauptungen zu verbreiten?
- Wir sind nicht allein
- Die Verantwortung der großen Tech-Konzerne
- Wie wir arbeiten
- Transparenz: Wir zeigen, wie wir recherchieren
- Wir werden angegriffen
- Ein Beitrag für Demokratie, Gesellschaft und Journalismus
- Es bleibt noch viel zu tun
14. März 2020
Whatsapp pingt: „Kennst du den Scheiß schon?“, fragt eine Freundin. „Wird mir momentan von allen möglichen Seiten zugeschickt.“ Zuvor hatte sie eine Sprachnachricht weitergeleitet.
Eine fremde Frauenstimme sagt darin: „Hallo liebe Isabella, hier ist Elisabeth, die Mama von Poldi.“ Ihre Freundin von der Uniklinik Wien habe ihr erzählt: Ibuprofen beschleunige die Vermehrung des Coronavirus, deshalb seien so viele Menschen in Italien schwer krank geworden.
Ob Elisabeth, Isabella und Poldi existieren, wissen wir nicht. Die angebliche Forschung der Uniklinik Wien gab es definitiv nicht. Die Sprachnachricht verbreitete sich dennoch durch den deutschsprachigen Raum wie ein Lauffeuer, und identische Gerüchte über Ibuprofen tauchten weltweit auf – in den USA, Südafrika, Türkei, Kolumbien, Griechenland, Argentinien, Polen, der Ukraine oder Venezuela. Sie haben potenziell Millionen Menschen erreicht, und das obwohl es nicht einen Beleg gibt, dass Ibuprofen bei Covid-19 schädliche Wirkungen hat.
»Ich weiß leider nicht mehr,
was ich glauben soll bzw. kann.«
an CORRECTIV im Mai 2020
Die „Infodemie“, wie die WHO die Flut an irreführenden Informationen nannte, verunsichert die Menschen. Im März erlebte das Team von CORRECTIV.Faktencheck einen starken Anstieg von Nachrichten von Leserinnen und Lesern, die uns um Hilfe baten. Sie hatten – oft per Whatsapp – Informationen zum Coronavirus geschickt bekommen, denen sie misstrauten. Eine Leserin schilderte in einer E-Mail ihr Dilemma, als eine Freundin ihr einen Artikel eines Alternativheilers über Corona gegeben habe, bei dem sich ihr der Magen umdrehe: „Ich möchte weder die Freundschaft aufs Spiel setzen noch Stillhalten.“
Desinformation
bedroht die Demokratie
Desinformation im Netz ist kein neues Phänomen. Durch die Pandemie wurde es erst richtig sichtbar. Seit Jahren wird in Deutschland zu den Themen Migration oder Klimawandel desinformiert und mit falschen Behauptungen gegen Minderheiten aufgehetzt. Immer wieder sind auch die Medien, Politik und Wissenschaft Ziel falscher und oft diffamierender Behauptungen.
der Deutschen glauben, dass Falschinformationen
unsere Demokratie bedrohen.
Laut einer Forsa-Umfrage 2019 glauben 72 Prozent der Befragten, schon einmal (vermutliche) Falschnachrichten im Internet bemerkt zu haben. 62 Prozent sind der Ansicht, dass sie unsere Demokratie bedrohen; 40 Prozent gaben an, sich mit dem Identifizieren der Falschnachrichten überfordert zu fühlen.
Falschinformationen können Angst und Hass schüren. Sie können Menschen davon abbringen, ihre Kinder impfen zu lassen oder zum Arzt zu gehen. Kurz: Sie können im schlimmsten Fall Menschenleben kosten.
CORRECTIV.Faktencheck hat 2017 begonnen, ihnen etwas entgegen zu setzen. Desinformation ist die absichtliche Verbreitung von falschen Informationen, mit dem Ziel, die Gesellschaft zu polarisieren und zu spalten. Wissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass Menschen sich von Fakten überzeugen lassen. Faktenchecks wirken. Das zeigen auch die wiederholten Angriffe gegen unser Team durch diejenigen, die Falschinformationen verbreiten: Wir werden beleidigt, bedroht und auf juristischer Ebene versucht man, uns von unserer Arbeit abzuhalten.
Wir glauben, dass nur Transparenz das Vertrauen in den Journalismus wieder herstellen kann. Durch hohe Standards ermöglichen wir den Menschen, vertrauenswürdige Informationen von falschen, irreführenden und manipulativen Behauptungen zu unterscheiden.
Was haben Menschen davon,
falsche Behauptungen zu verbreiten?
Wer die Urheber solcher Behauptungen sind und welches Motiv sie verfolgen, ist dabei nicht immer eindeutig. Das liegt auch an der Dynamik des Internets und Sozialer Netzwerke. Wenn Inhalte erstmal ins Netz hochgeladen wurden, können sie dort auf vielfältige Weise kopiert, vervielfacht, verändert werden. Plattformübergreifend. Oft taucht ein und dasselbe Youtube-Video gleich auf mehreren Kanälen auf. In anderen Fällen machen Nutzer Screenshots einer Bildkachel auf Facebook und verschicken diese dann per Whatsapp, wo sie dann immer weiter verbreitet werden. Ein Schneeballeffekt, der es schwer macht, den Ursprung auszumachen.
Es gibt aber durchaus Webseiten, Blogger oder Youtube-Kanäle, die immer wieder damit auffallen, falsche Behauptungen aufzustellen und zu verbreiten. Im deutschsprachigen Raum sind das oft Medien oder Akteure der Neuen Rechten, zum Beispiel der Blog Journalistenwatch, der für flüchtlings- und islamfeindliche Falschmeldungen in den vergangenen Jahren auch Geld von einem US-Think-Tank erhielt.
Desinformation kann, wie in diesen Fällen, politisch motiviert sein, gleichzeitig aber lässt sich damit auch ganz schlicht Geld verdienen. So schalten etwa Webseiten, die immer wieder Falschmeldungen verbreiten, Anzeigen von Werbekunden. Und ab einer gewissen Reichweite und genügend Klicks auf Videos kann man auch auf Youtube Werbeeinnahmen machen.
Einige Falschbehauptungen oder Narrative verbreiten sich dabei über auch Landesgrenzen hinweg. Das zeigt eine aktuelle Auswertung von uns zusammen mit englischen, spanischen, französischen und italienischen Faktencheck-Organisationen zu einigen der am stärksten verbreiteten Falschmeldungen über Covid-19. Darunter war zum Beispiel eine Behauptung, nach der angeblich Helikopter Desinfektionsmittel über Städten versprühen. Sie tauchte innerhalb eines Monats nahezu identisch in fünf Ländern auf.
Desinformation – das gezielte Manipulieren der Öffentlichkeit mit falschen oder verzerrenden Informationen – ist längst ein globales Problem.
Wir sind nicht allein
Weil das so ist, vernetzen wir uns. Wir gehören seit 2017 dem International Fact-Checking Network (IFCN) des Poynter-Instituts an. Das heißt, wir verpflichten uns zu hohen Standards und werden jährlich zertifiziert. Über das Netzwerk stehen wir zudem mit mehr als 70 Faktencheck-Organisationen weltweit in Kontakt, die uns auch bei Recherchen helfen können.
Viele dieser Redaktionen sind wie wir eine Kooperation mit Facebook eingegangen – neben uns in Deutschland zum Beispiel auch die Deutsche Presse-Agentur (DPA). Die Journalisten überprüfen Beiträge in dem Sozialen Netzwerk und verknüpfen ihre Faktenchecks mit ihnen – also genau dort, wo die falsche Informationen kursiert. Damit durchbrechen wir das Prinzip der Filterblasen, die durch die Algorithmen, die Funktionsweise von Sozialen Netzwerken oder Suchmaschinen entstehen können. Manche Menschen kommen durch sie gar nicht in Kontakt mit Widerspruch, mit anderen Meinungen – oder eben mit Fakten – weil sie sich nur unter Gleichgesinnten bewegen. Das ist menschlich ganz normal, und doch fatal bei der Verbreitung von Desinformation.
Deshalb kooperieren wir mit Facebook: um den Menschen Faktenchecks näher zu bringen, die sonst nicht auf sie stoßen würden. Sie bekommen Warnhinweise angezeigt, wenn Informationen falsch sind, insbesondere, wenn sie diese teilen wollen. Die Inhalte werden nicht gelöscht und können weiter verbreitet werden – doch wir finden wichtig, dass die Menschen, die dies tun, eine informierte Entscheidung treffen können. Für diese Arbeit werden wir und andere Faktenchecker von Facebook vergütet. Was wir prüfen und wie, entscheiden wir jedoch allein.
»Faktenprüfer setzen sich dafür ein,
die Mächtigen in ihren Gesellschaften
zur Rechenschaft zu ziehen
– und den Nutzern zu helfen,
online Fakt von Fiktion zu trennen«
– Baybars Örsek, Direktor des International Fact-Checking Network
Erst kürzlich, Ende Juni, trafen sich hunderte Faktenchecker weltweit zur virtuellen „Global Fact 7“, einer Konferenz für die Menschen, die sich tagtäglich mit Desinformation und cleveren Wegen, dieser entgegenzutreten, beschäftigen. Dabei waren etwa Vertreter der Washington Post, die seit Jahren hauptsächlich Falschaussagen des US-Präsidenten Donald Trump dokumentiert. Und die Leiterin des Taiwan Factcheck Center berichtete, wie ihre Redaktion schon im Januar Gerüchte über das Virus aus China entdeckt und den IFCN informiert habe – eine Woche bevor die WHO den Ausbruch als internationalen Notfall einstufte.
„Faktenprüfer setzen sich dafür ein, die Mächtigen in ihren Gesellschaften zur Rechenschaft zu ziehen – und den Nutzern zu helfen, online Fakt von Fiktion zu trennen“, sagt Baybars Örsek, Direktor des IFCN, zu CORRECTIV. Er will die professionelle Faktenprüfung weltweit fördern, um eine höhere Genauigkeit und Transparenz zu erreichen. Dafür legt er zusammen mit dem Netzwerk auch einen Kodex fest, nach dem viele Organisationen arbeiten. „Die dort festgelegten Kriterien und Werte haben sich als Industriestandard für die Faktenprüfung erwiesen.“
Faktenchecks wirken. Das ist wissenschaftlich inzwischen gut belegt. Die US-amerikanischen Forscher Thomas J. Wood und Ethan Porter beispielsweise formulierten in einem Artikel bei Politico im April die hoffnungsvolle Überschrift: „Nein, wir leben nicht in einer post-faktischen Welt“. 13 Studien von ihnen zum Thema Misinformation hätten gezeigt, dass Menschen für Fakten sehr wohl empfänglich sind: Von denen, die keine faktenbasierten Informationen bekamen, äußerten 32 Prozent korrekte Einschätzungen. Bei denen, die Fakten geliefert bekamen, waren es 60 Prozent.
Diese Zahlen widersprechen einer populären Theorie, die als der „Backfire Effect“ bekannt ist. Demnach könnten Korrekturen – also Faktenchecks – nach hinten losgehen und Menschen unter Umständen noch stärker von der falschen Information überzeugen. Die These basiert auf einer Studie von 2010; inzwischen sagen jedoch die Autoren dieser Studie selbst, sie sei überschätzt worden. Auch die Faktenchecker von Full Fact aus Großbritannien kamen 2019 nach einer Auswertung von sieben Studien zu dem Schluss, dass aktuelle Forschung die Wirksamkeit von Faktenchecks bestätige.
Die Verantwortung der großen Tech-Konzerne
Falschinformationen können sich nur deshalb so rasant verbreiten, weil es große Internetplattformen wie Facebook oder Youtube gibt. Eine Datenanalyse von CORRECTIV zeigte in diesem Jahr, dass Nutzerinnen und Nutzer fragwürdige Informationen zum Coronavirus vor allem auf Youtube fanden und sie über Whatsapp verbreiteten. Die Konzerne bemühen sich nach eigenen Angaben, das Problem in den Griff zu bekommen. Doch was sie bisher tun, ist nicht genug – das zeigt die Corona-Krise deutlich.
Facebook geht seit 2016 Kooperationen mit unabhängigen Faktencheck-Organisationen wie CORRECTIV ein und schränkt die Reichweite von Inhalten, die diese als falsch einstufen, ein. Nutzer bekommen Warnhinweise angezeigt. Das System wird auch auf Instagram angewendet.
Whatsapp, das zu Facebook gehört, ist ein besonderer Fall, da die Nachrichten, die dort verschickt werden, privat sind und von niemandem eingesehen werden können. Anfang April hat das Unternehmen jedoch die Weiterleitungsfunktion eingeschränkt. Damit soll die Verbreitung von Kettenbriefen in Fällen wie der Ibuprofen-Sprachnachricht zu Corona erschwert werden.
Google und Youtube kooperieren bisher nicht direkt mit Faktencheckern. Sie nutzen ein Datenformat namens Claim Review, das diese zur Verfügung stellen. Damit heben die Plattformen Faktenchecks in ihren Suchergebnissen hervor, wenn Nutzer nach bestimmten Begriffen suchen. Auf Youtube gibt es diese Funktion erst für die USA, Brasilien und Indien. Videos mit fragwürdigen Informationen selbst erhalten keine Warnhinweise.
Ziemlich undurchschaubar geht derzeit Twitter vor, das seit Mai manche Tweets – darunter einer von US-Präsident Donald Trump – mit einer Art Warnhinweis für mehr Kontext versieht. Das betrifft zum Beispiel auch Tweets, die den Mobilfunkstandard 5G in Verbindung mit der Covid-19-Pandemie bringen. Den Kontext, der den Nutzern dort angezeigt wird, kuratiert Twitter jedoch ganz allein.
Der Messenger-Dienst Telegram wird inzwischen von vielen als Alternative zu Whatsapp verwendet. Die Besonderheit: Mit ihm kann man öffentliche Kanäle einrichten, die jeder abonnieren kann. Diese Channels werden immer stärker zur Verbreitung von Falschinformationen verwendet – und bisher ist uns nicht bekannt, dass Telegram dagegen aktiv vorgeht.
Wie wir arbeiten
Wenn wir das Ziel unseres Faktencheck-Teams in einem Satz benennen müssten, wäre das: Wir wollen die Meinungsvielfalt stärken, indem wir Kontext zu Gerüchten und Falschbehauptungen anbieten. Dafür arbeiten wir nach hohen Standards. Wir legen unsere Quellen und Recherchemethoden dar und korrigieren Fehler, die wir machen, offen und transparent.
Unsere Arbeitsweise:
1. Themenauswahl
Wir fragen uns: Wie viele Menschen erreicht die Behauptung (ist sie „viral“)? Hat sie nachrichtliche Relevanz? Besteht durch sie Gefahr für Menschen? Schürt sie Hass?
2. Recherche
Wir sammeln Informationen aus Primärquellen – das können Statistiken, Studien, Experten, Behörden oder betroffene Personen und Unternehmen sein.
3. Schreibprozess
Wir legen unsere Ergebnisse und unsere Recherchewege dar. Jeder Satz im Text muss mit einer Quelle belegt sein. Wir verlinken alle Quellen und/oder dokumentieren mit Screenshots.
4. Bewertung
Wir vergeben für die Behauptung eine Bewertung auf einer Skala zwischen „Richtig“ und „Falsch“. International verwenden Faktenchecker solche Bewertungssysteme. Gibt es keine Belege für oder gegen eine Aussage, ist sie „Unbelegt“.
5. Internes Faktenchecken
Bevor unser Text veröffentlicht wird, wird er von zwei Kolleginnen oder Kollegen aus unserem Team nacheinander genau geprüft.
Transparenz:
Wir zeigen, wie wir recherchieren
Wir glauben, dass saubere digitale Quellenarbeit Vertrauen der Leserinnen und Leser stärkt. Wenn sie unsere Quellen einsehen können, können sie nachvollziehen, wie wir zu unserer Bewertung gekommen sind. Indem wir unsere Recherchewege immer transparent machen, wollen wir ihnen außerdem vermitteln, wie sie selbst Informationen zusammentragen können.
Ein Beispiel dafür ist ein aktueller Fall, bei dem sich vier Fotos von Polizeibeamten auf Facebook verbreiteten. Angeblich sollen sie aus Stuttgart stammen, wo es kürzlich zu Ausschreitungen gekommen war. Dabei stammen die Aufnahmen alle aus Australien und sind teils mehr als zehn Jahre alt. Unsere Recherche war simpel: Wir wandten die klassische Bilder-Rückwärtssuche in Suchmaschinen wie Google an, viermal – und dokumentierten diese Recherchemethode in unserem Artikel. In einem anderen Fall stellte uns das Berliner Innenministerium Dokumente zur Verfügung, die wir zum Download im Artikel anboten.
Dass sich das im Zweifel dann nicht so schön liest wie eine Reportage, ist für uns zweitrangig. Für uns hingegen zentral: Egal wie einfach eine Recherche auch sein mag, wir erklären wann immer es möglich ist, wie wir vorgegangen sind. Damit unsere Leser es uns nachtun können, wenn sie auf solche Inhalte stoßen. So bringen wir den Menschen im besten Fall mit jedem Artikel selbst das Faktenchecken bei.
Wir werden angegriffen
Unsere Arbeit gefällt vielen Menschen nicht. Wir werden beleidigt, sexistisch belästigt und bedroht. Blogs oder Youtube-Kanäle, von denen wir Beiträge prüften, veröffentlichen außerdem oft vermeintliche Gegendarstellungen, in denen sie teilweise unsere Namen, Fotos und E-Mail-Adressen exponieren. Wir bekommen dann persönliche, teils heftige Hassnachrichten zugeschickt. Allein in diesem Jahr dokumentierten wir 69 solcher Angriffe auf uns. Darunter Post von Verschwörungsmystikern, an deren Weltbild wir rütteln, aber auch von bekannten Rechtsextremen, die uns einschüchtern wollen.
»Verdammte Bastarde«, »blöde Fotze«, »linke Zensoren«,
»ihr gehört an die Wand gestellt«
– diese und 65 weitere solcher Nachrichten erreichten uns allein in diesem Jahr
Blogs, die häufig mit Falschmeldungen auffallen, suchen gezielt nach Anlässen, um gegen unsere Arbeit zu klagen. Sie engagieren Anwälte, die uns in zeitintensive Rechtsstreits verwickeln wollen. Damit versuchen sie, ihr Geschäftsmodell – zu dem auch das Verbreiten falscher oder irreführender Informationen gehört – zu schützen.
Der Medienwissenschaftler Volker Lilienthal warnte angesichts juristischer Angriffe auf Medien im Deutschlandfunk bereits 2018 vor einer möglicherweise entstehenden „Schere im Kopf“ der betroffenen Journalisten, quasi einem Zurückschrecken vor der Aufarbeitung bestimmter, für die Gesellschaft relevanter Themen: „Bestimmte Kreise – Verantwortliche oder richtige Missetäter – bleiben dann unbehelligt von missliebiger Berichterstattung, sie müssen sich nicht mehr in der Öffentlichkeit rechtfertigen. Insofern ist es ein Verlust für die Meinungsbildung unserer Gesellschaft.“
Ein Beitrag für Demokratie,
Gesellschaft und
Journalismus
Weil wir genau dagegen aber eintreten wollen, lassen wir uns nicht einschüchtern. Wir sind davon überzeugt, dass unsere Arbeit ein wichtiger Beitrag für den gesellschaftlichen Diskurs und damit auch die Demokratie ist. Dabei überprüfen wir zum Beispiel Zitate von AfD-Politikern genauso wie die von Grünen-Politikern, nach den gleichen Kriterien. Wenn eine Information falsch ist, spielt für uns die politische Richtung keine Rolle. Wir wollen damit auch das Vertrauen in den Journalismus stärken.
»Gäbe es Faktenchecks nicht,
müsste man sie erfinden.«
Der Faktencheck sei ein wichtiges, eigenständiges Format im Journalismus, sagt Frank Überall, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes, gegenüber CORRECTIV. Fakten zu checken ist laut Überall generell eine ureigene journalistische Tätigkeit. „Das Format als eigenständiger ‘Faktencheck’ unterstreicht das, was die Profis am besten können: Fakes entlarven und so eine im Wortsinn anständige Grundlage für den gesellschaftlichen Diskurs schaffen.“
Auf diese Weise würde auch der Unterschied zwischen professionellem Journalismus und dem oft bloß „digital verlängerten Stammtisch“ der sogenannten Sozialen Netzwerke deutlich, wie Überall sagt. Gleichzeitig sei das Format geeignet, Medienkompetenz zu fördern. „Gäbe es solche Formate bisher nicht, müsste man sie erfinden.“
Es bleibt noch viel zu tun
Wir bemerken, dass unsere Arbeit einen positiven Einfluss auf viele Menschen hat. So erreichen uns immer wieder Mails, in denen Menschen uns für das erweiterte Bild, das wir anbieten, danken. Als Fachleute zum Thema Desinformation – national und international – geben wir Interviews, Workshops an Schulen oder Fortbildungen für Journalisten und Interessierte. Wir möchten Medienkompetenz vermitteln. Denn nur wenn alle ein Gespür für falsche Informationen entwickeln und Quellen einzuschätzen wissen, können wir Desinformation nachhaltig bekämpfen.
Viele Menschen haben bereits begriffen, dass dieses Problem das Potenzial hat, Demokratien zu zerreiben – und uns noch lange begleiten wird. Wir befinden uns immer noch am Anfang der Aufarbeitung. Doch die ersten Veränderungen sind sichtbar.
Die Tech-Konzerne reagieren langsam auf den Druck, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Die Bundesregierung informiert im Corona-Infokanal des Gesundheitsministeriums im Messenger Telegram gezielt über Desinformation.
Es ist ein Anfang.
Fakten für
die Demokratie
Mit 10 Euro im Monat sichern Sie
unabhängigen Journalismus.
Faktenchecks per Mail
Autoren: Alice Echtermann, Till Eckert
Redaktion: Olaya Argüeso Pérez, Justus von Daniels
Design: Benjamin Schubert
Titelfoto: Michael Ramey
09. Juli 2020