Deutsche Waffen für Russland
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gelangten über 7.000 zivile Schusswaffen westlicher Hersteller und fast acht Millionen Schuss Munition nach Russland. Sie sind dort zum Teil im Krieg im Einsatz. Auch deutsche Waffen gelangten nach Russland. Das liegt auch an Sanktions-Lücken.
Zwischen München und dem Bodensee liegt der Ort Isny im Allgäu. Touristen schätzen ihn für sein Heilklima, Wanderer und Jäger für die malerischen Waldgebiete, die sich über die Ausläufer der Allgäuer Alpen erstrecken. An der Ausfallstraße nach Osten, gleich am Waldrand, sitzt jene Firma, die hier das Zubehör für diese Freizeitaktivitäten bietet: die Blaser GmbH, Hersteller von Jagdausrüstung.
Auf ihrer Internetseite posieren blonde Frauen und Männermodels mit gepflegten Drei-Tage-Bärten in olivgrünen Jagdwesten und khakifarbenen Funktionshosen. Blaser, beschreibt der Text auf der Webseite, sei ein Traditionsanbieter, der „seit 60 Jahren innovative Jagdwaffen mit kompromisslosem Qualitätsanspruch“ entwickle und produziere. „Dabei richtet sich unser Augenmerk alleine auf den praktischen Nutzen bei der Jagd.“
Aber stimmt das, landen die Waffen wirklich nur bei Jägern?
Szenenwechsel: Der russische Telegram-Kanal „The Mile“ postet am 16. September dieses Jahres elf Fotos: Eine neue Lieferung an „Sniper Rifles“ sei angekommen, Scharfschützengewehre. „The Mile“ ist in Russland bekannt als Einkaufsportal, über das sich unter anderen die Söldnertruppe Wagner mit Waffen versorgt – auch für ihren Einsatz im Krieg in der Ukraine. Auf den Fotos sieht man eine geöffnete Kiste, darin liegt ein noch originalverpacktes Gewehr samt Zubehör und Bedienungsanleitung. Typ: R8. Hersteller laut beiliegender Gebrauchsanleitung: die Blaser GmbH.
CORRECTIV hat zusammen mit einem russischen Journalisten, einem Waffenexperten und einem Analysten von Exportdaten über mehrere Monate recherchiert und herausgefunden: Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine gelangen bis heute – Stand Oktober 2023 – weiter in großem Umfang tödliche Schusswaffen westlicher Hersteller nach Russland, trotz Ausfuhrbeschränkungen.
Einige davon, das lässt sich vor allem über Telegram-Kanäle nachvollziehen, kommen in Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine zum Einsatz. Zum Beispiel Pistolen vom österreichischen Hersteller Glock und automatische Gewehre des Typs AR-15. Andere, wie die R8-Gewehre des deutschen Produzenten Blaser, werden in Russland zumindest frei gehandelt. Sie tauchten nicht nur in Verkaufsportalen für Söldnertruppen auf, sondern kürzlich sogar auf einer Waffenmesse in Moskau.
Die deutschen Exportbehörden können dagegen laut geltender Rechtslage nicht viel tun – weil es sich offiziell um harmlose Jagd- und Sportgewehre handelt und die Hersteller sich offenbar an die bestehenden gesetzlichen Vorgaben hielten. Während ein anderes betroffenes Land, die USA, nun die Exporte ziviler Schusswaffen stark beschränkt, sind für Deutschland keine schärferen Exportgesetze in Sicht. Also bleibt es für russische Importeure wohl auch in Zukunft einfach, solche Waffen deutscher Hersteller zu importieren. Und für die Produzenten leicht, sich der Verantwortung zu entziehen.
Doch wie genau kamen die Waffen nach Russland und was wissen Blaser und die anderen Hersteller über das Ziel ihrer Produkte?
Kapitel 1: Was Russland importiert
Für unsere Recherche haben wir die staatliche russische Datenbank für Import-Zertifizierungen daraufhin ausgewertet: Wie viele und welche Schusswaffen brachten russische Handelsfirmen seit Beginn des Krieges in der Ukraine ins Land? Die Datenbank ist für jeden zugänglich, der mit einer russischen VPN-Adresse ins Netz geht – die Recherche darin ist aber aufwändig: Man muss sich einzeln durch Tausende Einträge wühlen, um eine Übersicht inklusive Seriennummern der Waffen zu bekommen.
Die Daten zeigen: Es wurden seither fast 7.300 Schusswaffen – darunter mehr als hundert Scharfschützengewehre – und knapp acht Millionen Schuss Munition importiert, die von westlichen Herstellern stammen. Darunter sind die US-Firmen Smith & Wesson, Barrett Firearms und Desert Tech, eine Reihe europäischer Waffenproduzenten wie etwa die österreichischen Firmen Glock und Steyr Arms, und auch mehrere deutsche Hersteller finden sich: die thüringische Firma Merkel Jagd- und Sportwaffen GmbH, die Munitionshersteller Nammo Schönebeck, RWS und Ruag Ammotech, und eben Blaser aus dem Allgäu.
Der Anteil der deutschen Fabrikate an den Schusswaffen ist dabei deutlich größer als der an der Munition:
Die Waffen, um die es geht, sind für Russland nützlich. Denn die Regierung versucht sich schon seit Jahren vergeblich an besseren Waffen aus eigener Herstellung. In der Vergangenheit scheiterten mehrere Versuche – etwa jener, Makarow-Pistolen mit größeren Magazinen herzustellen, oder der, eigene neue Sturmgewehre zu entwickeln.
Es erscheint deshalb als logisch, dass sich vor allem Söldnertruppen wie Wagner, die für Russland in der Ukraine im Einsatz sind, mit Waffen aus dem Westen versorgen.
Als besonders interessant für sie gilt dabei das sogenannte AR15-System: eine Waffenfamilie, die auch bei den US-Streitkräften und der Bundeswehr verwendet wird, aber auch zivile Versionen umfasst. In den USA sind sie politisch hoch umstritten, weil sie von Amokläufern genutzt wurden. Die von CORRECTIV ausgewertete Importstatistik zeigt, dass russische Firmen seit Kriegsbeginn etwa 50 solcher automatischen Gewehre allein von der US-Firma Smith & Wesson ins Land brachten.
Auch die Feuerwaffen der US-Firma Desert Tech, von denen allein im Dezember 2022 zehn Stück nach Russland gelangten, sind für russische Söldner im Angriffskrieg gegen die Ukraine attraktiv. CORRECTIV hat auf dem Telegram-Kanal „Grey Zone“, der mit der Wagner-Gruppe assoziiert wird, ein Foto gefunden, hochgeladen im März dieses Jahres: Darauf posiert laut Bildbeschreibung ein Wagner-Söldner in der Nähe der Stadt Bachmut mit einer Desert Tech-Waffe. Mit Sicherheit lassen sich diese Angaben nicht nachvollziehen.
Auch Pistolen gelangen ins Land. Die Importdaten zeigen, dass seit Kriegsbeginn 2.580 solcher Schusswaffen des österreichischen Herstellers Glock eingeführt wurden. Im Internet finden sich Hinweise darauf, wo diese Waffen unter anderem gelandet sein könnten:
Der frühere stellvertretende russische Premierminister Dmitry Rogoschin posiert im Oktober vergangenen Jahres in Donezk mit einem Gewehr des Systems AR-15 und einer Glock-Pistole:
Auch auf dem Anwesen des mittlerweile verstorbenen Chefs der Söldnertruppe Wagner, Jewgenij Prigoschin, wurde laut Medienberichten im Juli dieses Jahres unter anderem eine Glock-Pistole sichergestellt.
Im Netz finden sich auch Belege dafür, dass die Munition aus westlichen Staaten im Krieg verwendet wird: In einem Videoclip, der auf einem weiteren russischen Telegram-Kanal („Lobaev Z“) im August 2023 veröffentlicht wurde, erklärt ein Mann, der als Soldat bezeichnet wird, dass die aus dem Westen importierte Munition deutlich besser funktioniere als heimische Produkte.
Auch die Präzisionswaffen, die von der deutschen Firma Blaser stammen, sind für Russlands Krieg nützlich: Das Modell R8 etwa, das unter anderem kürzlich noch im Telegram-Kanal des russischen Waffenhändlers angepriesen wurde. Blaser bestätigt auf unsere Anfrage, die fraglichen Waffen – für die in der russischen Importstatistik Seriennummern angegeben sind – in andere Länder ausgeführt zu haben.
Bei den R8-Gewehren handelt es sich um klassische Scharfschützengewehre, deren Typ häufig auch beim Militär im Einsatz ist. Ob man damit auf einen Hirsch schießt oder einen Menschen – im Ergebnis ist es für beide gleich tödlich.
Laut der Beschreibung des Modells auf der Blaser-Webseite zeichnet sich die R8 durch diese Eigenschaften aus: präzise, zuverlässig, schnell. „Dank vollkommen entspannter Haltung von Schießhand und -arm wird die Treffsicherheit des Schützen bei jeder Anschlagsart deutlich unterstützt“, formuliert die Firma blumig.
Solche Waffen – sogenannte Repetierbüchsen – zeichnen sich dadurch aus, dass man nach jedem Schuss manuell durchladen muss. Weil sie nicht automatisch nachladen, gelten die Waffen nach deutschem Waffengesetz nicht als Kriegswaffen. Das macht die Ausfuhr generell einfacher.
Die deutsche Rechtslage ist die: Die Sanktionsbeschränkungen gegen Russland verbieten es, Kriegswaffen und auch Waffen wie die Blaser-Produkte nach Russland zu verkaufen. Für letztere aber ist es möglich, eine Exportgenehmigung an andere Staaten zu bekommen. Zuständig dafür ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), eine Behörde, die dem Bundeswirtschaftsministerium unterstellt ist. Sie teilt auf unsere Anfrage hin mit, nach Russland seien seit Kriegsbeginn keine Genehmigungen für den Export von Jagd- oder Sportwaffen erteilt worden, an andere Staaten aber schon.
Fest steht also: Die Waffen gelangten nicht direkt von den deutschen oder anderen westlichen Herstellern nach Russland. Sie müssen einen Umweg über Zwischenhändler in anderen Staaten genommen haben. Welchen genau, geben die offiziellen russischen Einfuhrdaten nicht her – sie zeigen nicht, aus welchen Ländern die Händler die Waffen bezogen. Aber: In der Importdatenbank finden sich genaue Lieferdaten wie Typenbeschreibungen und eben Seriennummern. Über sie müsste sich zumindest für die Hersteller nachvollziehen lassen, wohin die Lieferungen gingen. Doch die geben sich verschlossen.
Diese Grafik auf Basis der russischen Importdaten zeigt etwa für Blaser, wann wie viele Waffen des Herstellers nach Russland kamen.
Kapitel 2: Was die Waffenproduzenten sagen
Für unsere Recherche haben wir Anfragen an 14 Firmen beziehungsweise Marken gestellt, deren Jagd- und Sportwaffen oder Munition seit Kriegsbeginn laut russischer Einfuhrstatistik nach Russland kamen:
Barrett Firearms (USA), Blaser (Deutschland), Ceska Zbrojovka (Tschechien), Desert Tech (USA), Glock (Österreich/USA), Kel-Tec CNC (USA), Merkel Jagd- und Sportwaffen GmbH (Deutschland), Nammo Schönebeck (Deutschland), Ruag Ammotec (Deutschland/Schweiz), RWS (Deutschland), Savage Arms (USA), Sellier (Tschechien), Smith & Wesson (USA), Steyr Arms (Österreich).
Wir schickten den Firmen Excel-Listen mit den Zusammenstellungen der betroffenen Waffen und Munition aus ihrer Herstellung, und baten um Auskunft: Wissen die Verantwortlichen in den Firmen, dass ihre Waffen im sanktionierten Russland landen würden? Und: An welche Firmen in welchen Ländern wurden sie zunächst geliefert?
Lediglich sieben Firmen haben auf unsere Fragen geantwortet:
Die deutsche Firma Merkel Jagdwaffen teilte mit: „Bei Fragen zu Ausfuhren geben wir keine Auskunft.“
Der ebenfalls deutsche Munitionshersteller RWS schrieb, man liefere an „zahlreiche Kunden“ und jeder davon verfüge über „entsprechende Referenzen und behördliche Genehmigungen“. Und: Importeure aus Russland könnten bei ihren Behörden Einfuhrgenehmigungen beantragen, ohne dass der Lieferant etwas davon erfahre.
Glock aus Österreich – die Firma, deren Pistolen nachweislich von russischen Offiziellen genutzt werden – reagiert auf mehrere Anfragen nicht.
Auch die österreichische Firma Steyr Arms kann nichts dazu beitragen, den Weg der Waffen aufzuklären. Sie schreibt uns: „Wir geben, dem Datenschutz verpflichtet, generell keine Daten unserer Kunden an Dritte weiter.“
Sellier in Tschechien ließ erklären, sie könne den Weg der Waffen leider nicht nachvollziehen. Und die ebenfalls tschechische Firma Ceska Zbrojovka versuchte, den Spieß umzudrehen und bat uns, ihnen die Information zu geben, welchen Weg die Waffen genommen hätten – sonst könne sie die Fragen nicht beantworten.
Die Firma Blaser aus dem Allgäu verspricht nach mehrfacher Nachfrage, nachzuforschen und sich wieder zu melden.
Kapitel 3: Welchen Weg die Waffen genommen haben könnten
Unser Rechercheteam durchforstete daraufhin die Datenbank Comext, in der das Statistische Amt der Europäischen Union den Warenverkehr der EU-Staaten erfasst. Dort lässt sich nachvollziehen, wie viele Jagd- und Sportwaffen Deutschland wann und in welche Richtung verlassen haben. Darüber gibt die Datennummer 9303 30 Aufschluss, „Sporting, hunting and target shooting shotguns with one or two rifled bores (other than spring, air or gas guns)“.
Wühlt man sich durch die Zahlenkolonnen, lässt sich Erstaunliches feststellen: Seit Kriegsbeginn ist die Zahl der aus Deutschland exportierten Sportwaffen zwar insgesamt gesunken, in einige Länder jedoch gestiegen.
Besonders kräftig legten etwa im ersten Halbjahr 2023 gegenüber dem Gesamtjahr 2019 Lieferungen in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Kroatien, Ungarn, Kasachstan, Nordmazedonien, Polen und Usbekistan zu. Kasachstan etwa führte im ersten Halbjahr 2023 1015 dieser Waffen aus Deutschland ein. Gibt es dort so viele Jäger und Sportschützen?
Kasachstan ist einen näheren Blick wert. Denn das Land ist Teil der Eurasischen Wirtschaftsunion mit Russland. Das bedeutet, dass gehandelte Güter zwischen beiden Staaten nicht in Handelsstatistiken einzeln aufgeschlüsselt werden müssen. Das passt zu den Daten, die wir in den offiziellen russischen Einfuhrstatistiken gefunden haben: Dort sind die Waffenimporte vielfach mit dem Hinweis versehen, es seien keine weiteren Details erfasst, weil die Lieferungen „aus einem Mitgliedstaat der Zollunion“ stammten.
Verkaufen also westliche Hersteller ihre Waffen zunächst nach Kasachstan und von dort werden sie nach Russland weiterverschickt?
Im Internet finden wir einen Hinweis auf einen kasachischen Waffenhändler namens Korgan Center. Unter diesem Link auf die Webseite der Firma kann man sehen, dass Korgan eine breite Palette an Schusswaffen von Blaser im Angebot hat – auch das Präzisionsgewehr R8. Über Kontakte in Kasachstan konnten wir einsehen, was die Firma bei der offiziellen Steuerstatistik angegeben hat: Demnach haben sich die Steuern, die das Unternehmen auf Einfuhren bezahlte, im Jahr 2022 im Vergleich zum Jahr 2020 in etwa vervierfacht – was vermuten lässt, dass sie viermal so viele Waren eingeführt haben muss.
Wir haben dem Shop von Korgan in der kasachischen Millionenstadt Almaty einen Besuch abgestattet. Der große Laden liegt an einer belebten Einkaufsstraße. Innen sind drei Vitrinen mit Blaser R8-Repetiergewehren bestückt – doch die Vitrinen sind halb leer. Es sieht aus, als seien viele der Waffen kürzlich verkauft worden.
Unser Reporter wendet sich beim Besuch sich an einen Verkäufer: Er habe einen Freund, der aus Russland komme und sich für eines der R8-Gewehre interessiere. Ob es ihm wohl möglich sei, eines der Gewehre zu kaufen und nach Russland zu bringen? Die Antwort des Verkäufers: „Kaufen ist kein Problem.” Und der Transport nach Russland? „Schwierig, aber machbar.“ Unser Reporter verabschiedet sich mit der Ankündigung, sich bald wieder zu melden.
Wir haben die Firma Korgan nach dem Besuch konfrontiert und gefragt: Wie viele Blaser-Gewehre importierten sie seit Beginn des Krieges und woher? Wie viele der Waffen gingen seither nach Russland – und was weiß man bei Korgan darüber, ob etwa Wagner-Söldner sich mit den Waffen für den Krieg in der Ukraine ausrüsten? Eine Antwort bekamen wir bisher nicht.
Dass russische Kunden Waffen in Kasachstan kaufen und sie über die Grenze schaffen können, ist ein möglicher Weg. Es erklärt noch nicht, wie die russischen Importfirmen, die wir in der Einfuhrstatistik fanden, an die Lieferungen kommen konnten.
Wir haben deshalb außerdem die kasachischen Aufsichtsbehörden für den Zoll per E-Mail kontaktiert, das Ministerium für Finanzen und das für Handel. Wir fragten dort nach dem Anstieg der Importe ziviler Schusswaffen von Deutschland nach Kasachstan seit Kriegsbeginn: Wie stellen die Behörden sicher, dass keine dieser Schusswaffen nach Russland weiter gelangen? Und sind ihnen Fälle solcher Verkäufe kasachischer Händler bekannt geworden? Die Aufsichtsbehörden antworteten bislang ebenfalls nicht auf unsere Anfrage.
Fest steht: Waffen wie diese gelangen unter anderem in die russische Hauptstadt. Vor ein paar Wochen, Mitte Oktober, fand in Moskau eine Waffenhandelsmesse statt, Szenen von dort lassen sich bei YouTube verfolgen, zum Beispiel hier: Besucher stehen staunend vor einer Glasvitrine, in der (ab Minute 18.10) Blaser-Präzisionsgewehre ausgestellt sind. Einer der Besucher fragt erstaunt auf Russisch: „Wie konnte all dieses Zeug nach Russland gelangen?“ Neben den Blaser-Gewehren sind auf dem Video auch scharfe Waffen vieler anderer westlicher Hersteller zu sehen, die wir in den russischen Importstatistiken fanden, etwa von der US-Firma Barrett Firearms und der tschechischen Firma Ceska Zbrojovka.
Die Firma, die den Stand betrieb und auch die Messe veranstaltete, heißt Orel. Sie ist einer der größten Waffenhändler in Russland. Aus der russischen Importdatenbank geht hervor, dass ihre Einfuhren im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr im Wert um 72 Prozent gestiegen sind. Auch insgesamt stiegen die Einfuhren der russischen Waffenimporteure zuletzt – trotz Ausfuhrkontrollen und Sanktionen anderer Länder wie Deutschland. Woher diese stammen, lässt sich dort aber nicht nachvollziehen.
Wir haben die Firma Orel per E-Mail kontaktiert und gefragt, woher sie die Waffen bezieht – und an wen sie diese verkauft: auch an Söldner wie die Wagner-Gruppe? Auch von ihr kam bisher keine Antwort.
Was weiß Blaser aus dem Allgäu darüber, dass seine Jagdwaffen in Russland ganz offiziell zum Kauf ausgestellt sind?
Kapitel 4: Das Firmengeflecht um Blaser
Die Firma ist keine ganz so kleine regionale Jagdgewehr-Firma, wie man es von ihrer Webseite her zunächst vermuten würde. Sie gehört zu einem größeren Firmengeflecht: der Lüke Ortmeier-Gruppe. Hinter der sogenannten L&O Holding mit Sitz im westfälischen Emsdetten stecken zwei Männer, die in der Waffenbranche ziemlich bekannt sind: Michael Lüke und Thomas Ortmeier.
Zu ihrem Konglomerat gehören Hersteller, die an 30 Standorten Jagd- und Sportwaffen, Dienstpistolen und Sturmgewehre fertigen. Neben Blaser ist eine der Firmen, die beide Männer über die Jahre aufkauften, die Firma SIG Sauer.
Wegen dieser Beteiligung wiederum hatte die Firmengruppe vor ein paar Jahren Ärger mit dem Gesetz: 2019 verurteilte das Landgericht Kiel drei Gesellschaften und drei Geschäftsführer von SIG Sauer zu hohen Geldstrafen und Bewährungsstrafen – wegen des unerlaubten Exports von Waffen nach Kolumbien.
Die Waffen – insgesamt 47.000 Pistolen – waren nicht direkt ins von deutschen Exportsanktionen belegte Land gegangen, sondern über einen Umweg: SIG Sauer hatte sie zunächst in die USA verkauft. Die Strafermittler hatten in diesem Fall aber nachweisen können, dass der deutsche Hersteller wusste, die Waffen würden am Ende im von Drogenkriegen gebeutelten Kolumbien landen.
Vielleicht ist es Zufall, dass das Firmenkonglomerat mit einer anderen Tochterfirma jetzt in einem ähnlichen Fall auftaucht; mit Waffen in einem Land, in dem diese eigentlich nicht landen dürften.
Wir haben die L&O Holding gefragt, ob man dort von den russischen Importen der Blaser-Gewehre weiß und wie die Holding die Lieferungen ihrer Tochterfirmen überprüft. Bislang bekamen wir von dort keine Reaktion.
Der Geschäftsführer von Blaser antwortet schließlich auf die Fragen von CORRECTIV, man nehme sie sehr ernst und es sei ihm ein persönliches Anliegen, die Absatzwege zu überprüfen und nachzuvollziehen. Ein paar Tage später schreibt er wieder: Blaser habe nun so weit möglich nachvollzogen, welchen Weg die Waffen nahmen. 99 Prozent seien „innerhalb Europas an verschiedene Länder und an unterschiedliche Händler verkauft“ worden. „Gerade aufgrund dieser Streuung war es uns im Vorhinein nicht möglich, Rückschlüsse zu ziehen, dass diese Modelle nicht in den Ländern verbleiben. Das spricht aus unserer Sicht dafür, dass hier gezielt von russischer Seite bei Händlern in Europa eingekauft wurde.“
Nun stehe Blaser bereits mit den zuständigen Behörden in Kontakt, um diese proaktiv darüber zu informieren und sich zu erkundigen, wie sie solche Vorkommnisse in Zukunft vermeiden können.
Er schreibt also sinngemäß, Blaser sei kein Täter, der bewusst Sanktionen umgangen habe – sondern Opfer von Händlern, die gezielt in Europa Waffen für Russland einkauften. Zur Frage, woher der russische Waffenhändler Orel seine Waffen haben könnte, teilt er mit: Leider könne seine Firma dies nicht nachvollziehen. Sein Unternehmen jedenfalls habe seit Beginn des Ukraine-Krieges alle Geschäftsbeziehungen mit russischen Importeuren gestoppt.
Kapitel 5: Die Grenzen der Aufsicht
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, jene Behörde, die solche Exporte genehmigen muss, gibt sich zu dem Thema zugeknöpft. CORRECTIV hat dem BAFA über die vergangenen Wochen ein halbes Dutzend Anfragen per E-Mail gestellt: unter anderem zu den Fragen, ob die Behörde seit Beginn von Russlands Krieg in der Ukraine die Ausfuhren von Sport- und Jagdwaffen besonders unter die Lupe genommen hat, in welche Länder die Ausfuhren stiegen und ob es Auffälligkeiten etwa bei der Firma Blaser gab.
Das BAFA schreibt schließlich: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass das BAFA mit Blick auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sich nicht zu einzelnen etwaigen Ausfuhrvorgängen äußern kann.“ Und: „Sollten dem BAFA Hinweise auf mögliche Sanktionsverstöße bekannt werden, werden diese an das Zollkriminalamt in Köln weitergegeben.“
Das Zollkriminalamt wiederum teilt auf unsere Anfrage telefonisch mit, man habe die Firma Blaser nach der CORRECTIV-Anfrage und auch schon in der Vergangenheit daraufhin überprüft, ob mögliche Verstöße gegen Sanktionsregeln vorlägen. Man habe jedoch keine gefunden.
Unter der Hand ist vom Zollkriminalamt noch dies zu erfahren: Wenn eine Firma die nötigen Ausfuhrpapiere vorlege, endeten die Möglichkeiten der Aufsichtsbehörden. Wer solche Waffen außerhalb von Europa verkauft, erklärt er, brauche sogenannte Endverbleibszertifikate. „Aber die stellt Ihnen in Ländern wie Kasachstan oder auch China im Prinzip jeder aus, wie Sie es brauchen“, sagt ein Mitarbeiter der Ermittlungsbehörde. Und bei Verkäufen innerhalb Europas braucht es noch nicht einmal solche Zertifikate.
Was nichts anderes bedeutet als: Den Ausfuhrbehörden sind nach geltender Rechtslage die Hände gebunden.
Während Deutschland das Problem noch nicht angeht, scheint in den USA das Bewusstsein dafür größer zu sein, dass zivile Schusswaffen in anderen Ländern in die falschen Hände geraten könnten. Gerade Ende Oktober kündigte die US-Regierung an, den Export dieser Waffen vorerst an nicht-staatliche Nutzer auszusetzen.
Wir haben das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefragt, ob auch die Bundesregierung plant, diese Exporte ziviler Schusswaffen ganz oder teilweise auszusetzen. Bis Redaktionsschluss reagierte das Ministerium nicht.
Als Reaktion auf die Recherche fordert der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter, stellvertretender Leiter des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag, Deutschland solle sich den USA anschließen und ebenfalls den Export ziviler Schusswaffen aussetzen – mit Ausnahme von Lieferungen in die Ukraine und nach Israel. „Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Waffen oder Waffenteile in die Hände von Russland gelangen und im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg eingesetzt werden, muss der Export gestoppt werden“, so Kiesewetter. Europa wie auch Deutschland hätten im Sanktionsrecht „zahlreiche Schlupflöcher offen gelassen“, die es dringend zu schließen gelte.
Mitarbeit: Mohamed Anwar (Illustration), Charlotte Eckstein und Max Donheiser (Datenaufbereitung), Till Eckert und Justus von Daniels (Redigatur), Jean Peters (Faktencheck)
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Update: Nach der Veröffentlichung dieses Textes erreichte uns eine Stellungnahme des Munitionsherstellers Nammo Schönebeck. Das Unternehmen betonte, es habe seit Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine zu keinem Zeitpunkt direkt oder über sein Großhändlernetz Sportmunition nach Russland geliefert.